Bayern 2

     

Bayern - Land und Leute Der Schneider von Aschaffenburg

Köhler-Nähmaschine in der Ausstellung von Elmar Rehborn in Glattbach | Bild: Katinka Strassberger

Sonntag, 06.10.2013
13:30 bis 14:00 Uhr

BAYERN 2

Der Schneider von Aschaffenburg
Johann Desch und die Textilindustrie am Untermain
Von Katinka Strassberger
Als Podcast verfügbar

Als der Glattbacher Schneidergeselle Johann Desch im 1866er Krieg Maßuniformen für das preußische Militär anfertigte, fiel ihm auf, dass der menschliche Körper genau zu bestimmende anatomische, miteinander in Beziehung stehende Größenverhältnisse aufweist. Also wäre es doch ökonomischer, folgerte Desch, die Produktion von Bekleidung zu standardisieren. Ein Bankier, den er für seine Idee begeistern konnte, gewährte ihm einen Kredit von 20.000 Goldmark. Mit diesem Startkapital gründete Johann Desch 1874 in der Aschaffenburger Sandgasse seine erste Fabrik, in der er Herrenanzüge in Serie fertigen ließ. Das Geschäft florierte, um 1900 erzielte er bereits einen Umsatz von mehr als einer Million Goldmark.
Angeregt durch Deschs Erfolg entstanden viele weitere Textilfirmen in und um Aschaffenburg. Unzählige Heimarbeiter aus dem wirtschaftlich schwachen Spessart nähten für diese Fabriken, ganzen Dörfern verschaffte der Boom einen bescheidenen Wohlstand. Noch bis in die 1970er Jahre galt die Region als eine der größten Schneiderwerkstätten Deutschlands - mit 29.000 Beschäftigten in rund 400 Betrieben.
Doch mit der Globalisierung begann der Niedergang: seit den 1980er Jahren wurde die Produktion sukzessive in Billiglohnländer verlagert, statt ratternden Nähmaschinen findet man heute am Untermain fast nur noch sogenannte "Factory Outlets". Das einst so berühmte Familienunternehmen Desch produziert nicht mehr selbst, sondern vertreibt heute hochwertige Herrenmode anderer Hersteller unter der Leitung der Nachfahren des Gründervaters. Eine Aschaffenburger Initiative bemüht sich darum, wenigstens die Erinnerung an die große Tradition der Textilfabrikation am Untermain zu bewahren; sie setzt sich für die Gründung eines Bekleidungs- und Modemuseums ein.
Katinka Strassberger erinnert an Johann Desch.