Bayern 2

     

Nachtstudio Die Auslotung unserer Abgründe

Grafik einer geballten Faust, die aus dem Boden kommt | Bild: stock.adobe.com/tohengchai

Dienstag, 21.03.2023
20:05 bis 21:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Rache!
Oder: Die Auslotung unserer Abgründe
Von Christian Schüle
Diese Sendung hören Sie auch in der BR Radio App bei Bayern 2 und ist als Podcast verfügbar.

Gerächt wurde immer, gerecht ist Rache selten. Wer rächt, verschafft sich Heilung und schafft für andere neues Unheil. Der Mensch sinnt auf Rache, aber Rache hat keinen Sinn. Als Ausgleich für Kränkungen kann Rache krankmachen; sie durchdringt das persönliche wie gesellschaftliche Leben seit jeher und bis heute. Eifersucht, Häme, Schadenfreude Racheporno, Brandstiftung, Mord - im Kleinen rächt jeder, sich oder andere. Kulturen basieren auf dem Wechselspiel von Rache und ihrer Verhinderung.

Rache formuliert die Matrix weltliterarischer Epen, der biblischen Testamente, ist Stoff für Film, Theater, Oper, den Boulevard und das alltägliche Leben. Sie ist ein hochkomplexes Gefühl zwischen Schuld, Scham und Strafe, ein scheinbar unausrottbarer Trieb, den der Mensch nicht an Recht, Ratio und Großhirn delegieren kann, sie ist die rational geplante Irrationalität in einer durchrationalisierten Funktionsgesellschaft mit gestörter Affektkontrolle. So gut wie alle Anti-ismen, von Antisemitismus bis zu Antigenderismus, sind Erscheinungsformen der Rache.

"Bin ich's, ist's Gott oder wer sonst, der diesen Arm erhebt?", fragt Kapitän Ahab, Jäger des weißen Wals, seinen Steuermann Starbuck und wirft damit die existentielle Frage jeder Zivilisation auf: Woher kommt der Hass? Aus einer einzigen Szene des genialischen Romans "Moby Dick" von Herman Melville entwirft Christian Schüle eine Phänomenologie der Rache und erzählt von ihren Erscheinungsformen. Am Ende stellt er eine letzte, die entscheidende Frage: "Bleibt uns nur die Moral?"