Bayern 2

     

radioTexte am Dienstag In memoriam Klaus Wagenbach

Klaus Wagenbach | Bild: picture alliance / Eventpress | Eventpress Rekdal

Dienstag, 21.12.2021
21:05 bis 22:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Anarchist und Cavaliere, Berlin-Kenner und Italien-Liebhaber, Verlagsgründer, unabhängiger politischer Kopf, wilder Leser und begeisterter Geschichtenerzähler, Radfahrer und Rotweintrinker: Klaus Wagenbach - Das Urgestein unter den deutschen Verlegern ist am 17. Dezember 2021 im Alter von 91 Jahren in Berlin gestorben.
Eine Autorenlesung aus Klaus Wagenbachs Erinnerungsbuch "Die Freiheit des Verlegers".

Als der italienische Regisseur Roberto Rossellini 1947 seinen berühmten Film "Germania Anno Zero" drehte, die Berliner Trümmerfrauen zum Symbol des Wiederaufbaus wurden, war Klaus Wagenbach gerade 17 Jahre alt und bereits ein Überlebenskünstler. "Die Schulen waren noch geschlossen, also bin ich zum Hofapotheker Weber in Licht, in Oberhessen, gegangen, der auf die Idee kam, Herzkranken "Digitalis" zu verkaufen. Also haben wir Fingerhut gesammelt und daraus eine Tinktur gemacht und sie verkauft. Niemand ist an Herzkrankheit gestorben", erinnerte sich später Klaus Wagenbach, der als Schwarzhändler bei der US-Army auch Kondome der Marke "Silver Tex" klaute, um "Geschlechtskrankheiten zu bekämpfen". Einige Jahre später absolvierte der am 11. Juli 1930 in Berlin-Tegel geborene Sohn eines Sekretärs des "Bundes deutscher Bodenreformer" und einer Telefonistin eine Lehre und studierte Germanistik, Archäologie und Kunstgeschichte. Mit gerade 29 Jahren wurde er Lektor beim S. Fischer Verlag und hatte eine berühmte Dissertation über Franz Kafka verfasst: "Ich bin Kafkas dienstälteste lebende Witwe", wiederholte er nicht ohne Koketterie. Unter dem Motto "Geschichtsbewusstsein, Anarchie und Hedonismus" gründete er 1964 seinen eigenen Verlag, der ihm wegen der Veröffentlichung des "RAF-Manifests" zwei Strafprozesse einbrachte. Der "rote Klaus" - er trug stets rote Socken - mauserte sich vom politisch engagierten zum Intellektuellen zu einem der erfolgreichsten, unabhängigen Verleger des Nachkriegsdeutschlands. Zu seinen großen editorischen Leistungen gehören die Veröffentlichung von Erich Frieds "Gesammelten Werken", die "Freibeuter Schriften" von Pier Paolo Pasolini sowie die Bücher der wichtigsten zeitgenössischen italienischen Autoren. In seinem Erinnerungsbuch "Die Freiheit des Verlegers" und im Gespräch mit Antonio Pellegrino lässt Klaus Wagenbach die wichtigsten Stationen seiner langen Verleger-Lebens Revue passieren. Am 17. Dezember ist das Urgestein unter den deutschen Verlegern im Alter von 91 Jahren in Berlin gestorben.

Mit freundlicher Genehmigung des Wagenbach Verlages können wir die Sendung bis 20. Januar 2022 als kostenlosen Podcast anbieten.