Bayern 2

     

BAYERN 2-SOMMERRADIO Bayerisches Feuilleton Bayerische Passionen: Das Ratschen

Samstag, 29.08.2020
08:05 bis 09:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Sommerradio-Reihe
Bayerische Passionen
Das Ratschen
Von Andreas Pehl

Wiederholung am Sonntag, 20.05 Uhr, Bayern 2
Als Podcast verfügbar

"Da bin ich! d'Ratschkathl! Ich bin eine ächte Münch'nerin vom alten Schlag und als solche natürlich eine Ratschkathl. Wer das nicht versteht, der nennt mich von mir aus: Klatschbas'n!" Mit diesen Worten präsentierte sich 1889 eine neue Wochenzeitung. Ihr Name: "Münchener Ratsch-Kathl". Eine Zeitung, die ratschen will, fast so wie am Gartenzaun, wenn es Neuigkeiten gibt. Gerüchte und Tatsachen verbreiten sich auf diesem Weg manchmal schneller als per Chat oder Twitter.

Vielleicht hat der englische Anthropologe Robin Dunbar gar nicht so unrecht, der im Ratschen nichts anderes als das Lausen sieht, eine verbale Fellpflege des Homo sapiens, bei der die sozialen Strukturen der Gruppe geklärt werden. Denn wer viel über die anderen weiß, hat auch Macht über sie. Irgendwie scheint das Ratschen ja vor allem eine weibliche Angelegenheit zu sein. Diderot ging sogar so weit, in einem seiner Romane (t)ratschende Vaginae auftreten zu lassen.

Aber der Hausmeister und der Friseur sind Paradebeispiele für ratschende Männer. Und das vermeintlich starke Geschlecht hört es wohl gar nicht gerne, dass ausgerechnet der Kaffeeklatsch ursprünglich eine Männerdomäne war. Der Stammtisch ist davon nur noch ein schwacher Ab-Klatsch. Aber wer genau hinschaut, findet die Ratscher immer noch. Da gibt es die Latte-Macchiato-Ratscher, die Flatrate-Ratscher und die nonverbale Form, bei der statt des Gartenzauns das Smartphone zwischen den Gesprächspartnern steht. Aber sind Twittern (Zwitschern) und Chatten (Schwatzen) tatsächlich moderne Formen des Ratschens?

Die "Münchener Ratsch-Kathl" wurde nach 32 Jahren eingestellt. So etwas kann dem analogen Ratschen so schnell nicht passieren, denn auch wenn das Ratschen nicht nur eine bayerische Passion ist, auch wenn andere schnacken, tratschen oder klatschen: wir Bayern haben das Ratschen zum Kult gemacht - und zwar in der Person der Ratschkathl.

Bayerisches Feuilleton - Sommeredition: Beiträge zur Philosophie des Alltäglichen und zur Metaphysik des Banalen.

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