Bayern 2

     

Bayerisches Feuilleton "Scham di!"

Vertreibung aus dem Paradies, Wandgemälde, 20. Jh., Arbatu Ensessa (Prov. Tigray, Aethiopien) | Bild: picture-alliance/dpa/Yvan Travert/akg-images

Sonntag, 30.09.2018
20:05 bis 21:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

"Scham di!"
Die Verlegenheit im bayerischen Gefühlshaushalt
Von Thomas Kernert

Wiederholung vom Samstag, 8.05 Uhr
Als Podcast und in der Bayern 2 App verfügbar

Tiere schämen sich nicht. Das Schamgefühl gehört allein den Menschen. Seit dem Sündenfall, da Adam und Eva entdeckten, dass sie splitternackt waren, bestimmt die Scham, wofür man sich zu schämen hat und wofür nicht. Häufig sind es sexuelle Dinge, aber nicht nur. Keine Macht lenkt den mitteleuropäischen Alltag omnipräsenter und omnipotenter als die Scham, keine Macht tut dies freilich derart im Verborgenen. Sie ist "die" Graue Eminenz schlechthin.

Bayern ist weiß-blau und sein Bier gülden. "Gschamige" Gefühle fechten den Bayern nur selten an. Nach dem Wiesn-Besuch uriniert er ungeniert in den nächstbesten Hauseingang, vor den Landtagswahlen schwappt die politische Debatte über alle Ufer des Anstandes und der zwischenmenschlichen Schicklichkeit. Der Bayer definiert sich als Rousseau'sches Naturkind und als solches glaubt er sich einem gewissen Hang zum Grobianismus verpflichtet. Im Sonntagsanzug kann man etepetete sein, in der Tracht muss man "krachert" sein. Heilig wird man, wenn überhaupt, immer erst posthum.

Und dennoch wird gerade die bayerische Interaktion von vielen Anstandsregeln und oft unsichtbaren Schamgrenzen geregelt. Auch wenn er gerne den Elefanten mimt, weiß der Bayer doch sehr genau, dass er in einem Porzellanladen lebt. Achtungsverluste der unterschiedlichsten Art lauern immer und überall. Eben deshalb inszeniert er Freiräume wie die Wiesn, in denen die Schamgrenzen auf weit unter Normalnull sinken dürfen. Eben deshalb geht aber jede Wiesn nach zwei Wochen wieder unwiderruflich zu Ende.

Thomas Kernert enthüllt schamlos die Schammechanismen im bayerischen Gefühlshaushalt.

Hörkino zum Frühstück statt Frühstücksfernsehen

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