Bayern 2

     

1

Medizin-Ethiker zur Gentherapie-Verlosung "Hier werden Überlebenschancen verlost"

Es gibt Babys mit einer lebensbedrohenden Erbkrankheit. Und ein neues, sehr teures Medikament, das ihr Leben retten kann. Der Hersteller verlost es jetzt für 100 Kinder. Für Prof. Georg Marckmann ist das nicht akzeptabel. Er ist Musikethiker am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der LMU München.

Von: Kerstin Grundmann

Stand: 06.02.2020

ILLUSTRATION - 03.02.2020, Baden-Württemberg, Backnang: Ein Beatmungsgerät steht hinter einem Kind, das an spinaler Muskelatrophie (SMA) leidet. Bei der Verlosungsaktion einer Gentherapie für todkranke Babys haben jetzt auch Kinder in Deutschland eine Chance.
Das Schweizer Pharmaunternehmen Novartis startete die Verlosung einer Behandlung mit Zolgensma für 100 Kinder am 03.02.2020. Es handelt sich um das teuerste Medikament der Welt, mit rund zwei Millionen Euro für eine Dosis. Die Therapie ist für Kinder unter zwei Jahren, die an SMA leiden, die Muskelschwund verursacht und in schweren Fällen unbehandelt zum Tod führen kann. Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: dpa-Bildfunk/Sebastian Gollnow

Die Verlosung eines Medikamentes, das zwei Millionen Euro pro Dosis kostet – ist das großzügig oder eher perfide?

Man muss grundsätzlich sagen, dass eine Verlosung eigentlich ein faires Verteilungsverfahren ist, denn jeder hat zumindest die gleiche Chance, das zu bekommen. Es hängt aber sehr davon ab, was verlost wird. Und ich glaube, das ist hier das Problem. Es werden nämlich Überlebenschancen mit diesem Medikament verlost. Ich glaube, dass das aus ethischer Sicht nicht akzeptabel ist. Im Gegenteil: wir versuchen ja mit Medikamenten, mit Gesundheitsversorgung allgemein, so ein bisschen die Auswirkungen, die Benachteiligung der natürlichen Lotterie zu mildern. Das heißt, es gibt Veranlagungen zu schweren Erkrankungen, die man selber nicht zu verantworten hat. Und da versucht man dann entsprechend gegen zu wirken.

Nun sagt aber Novartis: Wir haben uns vorab mit einem Ethikrat zusammengesetzt, und aus unserer Sicht ist eine Verlosung die gerechteste Variante. Was wären denn Alternativen aus ihrer Sicht?

Die Alternative wäre der normale Gang der Dinge, die man bei neuen Medikamenten einschlägt: Nämlich, dass dieses Medikament von den Arzneimittelbehörden zugelassen wird, wie es in den USA schon der Fall ist. Die Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur steht kurz bevor, und wenn das Medikament dann entsprechend geprüft wurde auf Wirksamkeit und Sicherheit, dann muss man über den Preis verhandeln. Und dann sollte es allen Patientinnen und Patienten mit der Erkrankung zur Verfügung stehen und nicht nur hundert, die zufällig ausgewählt wurden.

Da sagen die betroffenen Eltern mit den schwerkranken, todkranken Kindern: Wir brauchen das Medikament sofort. Das ist natürlich auch ein Argument, was man nicht vom Tisch wischen kann.

Das ist schon richtig. Da muss man aber zwei Argumente dagegenhalten: Das eine ist, dass es noch ein anderes, bereits 2017 zugelassenes Medikament gibt, Spinraza, was man allerdings mehrfach geben muss, und das muss in den Rückenmarkskanal eingespritzt werden. Und das andere ist, dass wir ja mit gutem Grund diese Zulassungsverfahren haben. Sie wurden unter anderem nach dem Contergan-Skandal eingeführt, um sicherzustellen, dass die Medikamente, die dann im großen Maße angewendet werden, tatsächlich wirksam und vor allem auch sicher sind. Diese sorgfältige Prüfung sollten wir nicht mit einer Lotterie umgehen.

"Es werden nämlich Überlebenschancen mit diesem Medikament verlost. Ich glaube, dass das aus ethischer Sicht nicht akzeptabel ist."

Prof. Georg Marckmann

Umgeht denn Novartis mit dieser Kampagne, die ja auch mit der Verlosung einhergeht, möglicherweise die Zulassungsbestimmungen, weil man sagt, man braucht dieses Medikament sofort hier auf dem Markt?

Nein, Novartis kann das Zulassungsverfahren nicht umgehen. Aber das ist natürlich eine sehr öffentlichkeitswirksame Aktion. Das heißt, alle Eltern von Kindern mit der Spinalen Muskelatrophie werden aufmerksam auf das Medikament. Es wird ein Druck erzeugt unter den Betroffenen. Und es wird dann natürlich für die einzelnen Gesundheitssysteme immer schwieriger, harte Preisverhandlungen mit dem Hersteller zu führen. Und diese sind aus meiner Sicht notwendig, denn ich finde es vollkommen unklar, ob dieser Preis von zwei Millionen Euro tatsächlich gerechtfertigt ist.

Wie kommt denn solch eine Preisfestlegung zustande?

Es ist tatsächlich so, dass die Preisfestlegung durch die pharmazeutische Industrie in der Regel sehr intransparent ist. Das heißt, die Unternehmen geben nicht wirklich an, was die Gründe sind. In diesem Fall hat Novartis sich an dem anderen alternativen Medikament orientiert, an dem Spinraza, und hat gesagt, wenn man das auf zehn Jahre hochrechnet, dann wären die Kosten mit dem neuen Medikament, ungefähr halb so hoch. Das wäre eine plausible Rechtfertigung, wenn wir den Preis von dem anderen Medikament, von Spinraza, als fair erklärt hätten. Aber dieser Preis ist einfach vom Pharmaunternehmen auch festgelegt worden, ohne dass man wirklich geprüft hat, ob das ein fairer Preis ist oder nicht. Insofern glaube ich, dass wir da sehr viel genauer hingucken müssen, wie solche Preise zustande kommen. Und ich glaube auch, dass wir als Gesundheitssysteme da dagegenhalten sollten. Wir sollten uns nicht unter Druck setzen lassen, von den pharmazeutischen Unternehmen.


1