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Philip Roth wird 85 Ein großer, unerschrockener Erzähler

Jedes Jahr warteten seine Leser vergeblich darauf, dass der große Autor von "Der Menschliche Makel" und "Verschwörung gegen Amerika" den Nobelpreis bekam. Jetzt wird es wohl nichts mehr, Roth hat sich seit "Nemesis" (2010) aufs Lesen statt aufs Schreiben konzentriert. Heute wird er 85.

Stand: 19.03.2018 | Archiv

Porträt des US-amerikanischen Schriftstellers | Bild: picture-alliance/dpa Miguel Rajmil

Als Kind hat er sich in die Literatur verliebt; später sagte er sich dann, könnte er doch eigentlich Schriftsteller werden. Und tatsächlich hat er seither nie etwas anderes gemacht. Sein erstes Buch erschien 1959 und hieß "Goodbye, Columbus". Roth war damals 26 und bekam mit dem National Book Award für sein Debüt einen der höchsten Literaturpreise der USA. Zehn Jahre später machte Roth mit "Portnoys Beschwerden" weltweit von sich reden. Alexander Portnoy, der Titelheld des Romans, hält darin einen gigantischen Monolog über das Erwachen seiner Sexualität und den Kampf mit seiner jüdischen Mutter, die mit den sexuellen Obsessionen des Pubertierenden gar nicht klar kommt. Die Presse fand das Buch vulgär, die jüdischen Leser hassten es und die Buchhändler waren begeistert: Sie verkauften 3,5 Millionen Exemplare innerhalb einiger Monate. 28 Bücher hat Roth inzwischen geschrieben. Die ersten drei waren noch einigermaßen konventionell, aber mit "Portnoys Beschwerden" hörte Roth auf, handzahm zu sein.

Manche nennen ihn einen "skrupellosen" Erzähler, weil er nichts beschönigt. So ist es seither geblieben. Alter, Krankheit, Lust, Angst und Tod - die großen Themen, in die Roth eintaucht, ergründet er gewissenhaft. Und was er zutage fördert aus den Abgründen der menschlichen Seele wird für die Leser zur Offenbarung.

Nathan Zuckerman und Coleman Silk

Nathan Zuckerman, Schriftsteller und Alter Ego Roths, tritt in zehn seiner Romane auf. Seit seiner Prostatakrebsbehandlung ist er inkontinent und impotent. In "Der menschliche Makel" erzählt er die Geschichte des jüdischen Intellektuellen Coleman Silk, der seinen Job als Dekan an der Uni verliert, weil ihm zwei Studenten unterstellen, Rassist zu sein. Das ist ironisch, denn Silk ist selber - ein sehr hellhäutiger - Afro-Amerikaner. Bloß weiß das keiner, nicht einmal Silks Frau.

Es sind Lebenskonstruktionen wie Silks "weiße" Lüge, die Roth faszinieren. So, wie er Silk eine fiktive Autobiografie leben lässt, schafft sich auch der Autor Philip Roth immer wieder alternative Autobiografien in seinen Werken. "Man erfindet Welten, die man nicht besucht hat, Krisen, die man nicht erlebt hat, Gefahren, mit denen man nicht konfrontiert wurde. Es ist wie ein Laborexperiment", sagte er einmal in einem Interview, "a game of let's pretend."

"Nemesis" - das letzte Buch

Mit diesem Spiel ist es nun seit 2010 aus. Ende 2012 gab Roth dem französischen Kulturmagazin "Les Inrocks" ein Interview, in dem er verkündete, "Nemesis" sei sein letztes Buch gewesen. In dem Roman um den Sportlehrer Bucky Cantor erzählt er zum einen die Geschichte einer Polio-Epidemie, die in den 40er-Jahren in Newark ausbricht, zum anderen schildert er Buckys im wahrsten Sinne verhängnisvolles Verantwortungsgefühl. Diese inneren Dämonen, die Roths Romanfiguren umtreiben, sie antreiben in ihren Entscheidungen, ihren mehr oder weniger rationalen Verhaltensweisen, beschreiben sie mehr als alle Adjektive des Autors es könnten. Er diktiert den Lesern nicht, was sie von Portnoy, Zuckerman, Silk, Sabbath und all den anderen zu halten haben, er lässt sie denken und handeln und sich dadurch selbst charakterisieren. Dazu kommen Roths szenisches Gespür und sein Gefühl für "echte" Dialoge - Talente, die es ihm ermöglichen, eine Dichte und Tiefe zu erreichen, die dabei erstaunlich wenig Worte braucht.

Inzwischen ist Roth schon sechs Jahre im Ruhestand - und er steht nach wie vor zu seiner Abstinenz: "Die Bedingungen, die mich dazu gebracht haben, mit dem literarischen Schreiben aufzuhören, haben sich ja nicht verändert." Und diese Bedingungen legte er schon 2012 offen - so gnadenlos ehrlich mit sich selbst wie sonst mit seinen literarischen Figuren "Ich hatte einfach nicht mehr die geistige Lebhaftigkeit oder die verbale Energie oder die physische Fitness um einen großen kreativen Angriff auf eine komplexe Struktur wie einen Roman zu starten. Jedes Talent hat seine Bedingungen, seine Beschaffenheit, sein Ausmaß, seine Kraft - nicht jeder kann für immer ergiebig sein."

Wir gratulieren dem passionierten Ex-Schriftsteller zu seinem 85. Geburtstag!