Pferdebahn und Schoppenexpress Wie Straßenbahnen Bayern mobil mach(t)en
Elektromobilität ist in aller Munde, doch in vielen Städten Bayerns ist sie schon seit über hundert Jahren Realität – der Straßenbahn sei Dank. In Zeiten des Klimawandels ist sie wichtiger denn je. Und für manchen ist sie gar pure Leidenschaft.
Die Straßenbahn, ein bewegendes Thema, gleich in mehrfacher Hinsicht. Sie bewegt nicht nur die Menschen von A nach B, sondern bewegt auch die Gemüter. Jede Streckenstilllegung sorgt für Aufruhr, jede Neubaustrecke für Diskussionen. Im Internet gibt es unzählige Seiten, auf denen man die Entwicklung der Straßenbahnen nachlesen kann, und jede Straßenbahnstadt hat mindestens einen Verein, der sich um den Erhalt und das Erbe dieses Schienenfahrzeugtyps bemüht.
"Ein Stückchen Kulturgeschichte"
Doch woher kommt diese Begeisterung, diese Leidenschaft? "Sie transportiert eigene Geschichte, ist Teil der Stadtgeschichte, teils auch Arbeitsgeschichte, weil doch auch einige Leute dafür arbeiten mussten damit das funktioniert", weiß Markus Trommer von den Freunden des Münchner Trambahnmuseums. "Und auch ein Stückchen Kulturgeschichte." Schließlich gibt es Stücke, Lieder, "alles Mögliche", sagt Trommer zur Tram, der Lebensader der Stadt, wie er sie bezeichnet.
Sie habe München damals groß gemacht, denn ohne Tram das wäre die Stadtentwicklung um die letzte Jahrhundertwende gar nicht möglich gewesen, ist sich Trommer sicher. Und nicht nur Lebensader, die Tram war prägend für das "Gesicht der Stadt": Viele Plätze gibt es nur, weil dort früher Wendeschleifen der Bahnen waren.
Im MVG-Museum München gibt es viele Straßenbahn-Veteranen zu besichtigen. Andreas Ferkl ist ebenfalls Vereinsmitglied bei den Freunden des Münchner Trambahnmuseums und weiß über jedes Detail der Tram Bescheid.
Die kleine Marke zum Beispiel an der Eingangstüre: "Da steht ein kleines m, das ist die Metermarke, das heißt jedes Kind unter einem Meter, durfte kostenlos mitfahren." Weiter oben ein Schild mit dem Verbot, auf den Fußboden zu spucken. War auch nötig, denn früher war Kautabak groß in Mode, weiß Ferkl.
Tausende Arbeitsstunden
Leider hat das MVG-Museum keinen Z-Wagen mehr, den ersten Elektrischen von 1895. Und auch der Pferdebahnwagen ist ein Nachbau auf Gummireifen. Daneben steht der M-Wagen, der nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang das Münchner Stadtbild prägte.
Der nächste Wagen mit der Nummer 6-24, Baujahr 1939, war immerhin 30 Jahre im Dienst. Den hat das Museum von einem Sammler bekommen, in ziemlich ramponiertem Zustand. Nun wird er von der Werkstattgruppe des Vereins liebevoll wieder aufgepäppelt. Schleifen, Schweißen, Lackieren … einige 1.000 Arbeitsstunden wird das kosten.
Ganz hinten am Ende der Halle, steht noch ein trauriges Trambahngerippe, das seiner Restaurierung harrt. Zu dem hat Reinhold Kocaurek von der Werkstattgruppe ein besonderes Verhältnis: "Die Wanderbücherei ist für mich ein ganz wichtiger Wagen, weil ich da als Schüler noch drinnen war. Damals stand die an der Umkehrschleife am Nordfriedhof, und wir sind dann immer von der Schule rübergeführt worden um haben dort unsere Bücher geholt, in den 60er-Jahren."
Als die Tram noch Luxus war
Besonders Jugenderinnerungen scheinen die Trambahnleidenschaft zu entfachen, aber auch Oma und Opa, erzählt Peter Franz, der an Öffnungstagen auch den Museumshop leitet. "Wenn meine Eltern mich mal nicht haben wollten in der Wohnung, dann ist mein Opa mit mir immer auf große Fahrt gegangen, und das fand ich toll." Im großen M-Wagen von Endstation zu Endstation … "da kann ich mich noch heute erinnern, als wäre es vorgestern gewesen."
Heute ist die Tram alltägliches Beförderungsmittel. In der Anfangszeit war das für viele Luxus. Und so war die Straßenbahn auch nicht unter der Woche, sondern am Wochenende voll, mit Ausflüglern, wie Reinhold Kocaurek betont. "Es konnte sich auch nicht jeder leisten die Trambahn. Aber am Wochenende war das das große Erlebnis, rauszufahren."
"Es gab noch die Strecke raus Volksgarten, das ist eigentlich die Entstehung der Münchner Trambahn gewesen. Das war die erste Strecke. Wobei das Schloss nicht so der große Renner war, sondern der Volksgarten war wichtiger. Da gab's einen der größten Biergärten mit 6.000 Sitzplätzen, es war dort ein Kleines Theater, es gab dort eine Radrennbahn, das war um 1900 die große Leidenschaft der Münchner."
Reinhold Kocaurek
Auch das Freibad im Münchner Norden, das Ungerer-Bad, hatte eine eigene Tram. Und in Nürnberg sah es nicht anders aus: Das Erholungsgelände am Dutzendteich mit Restauration und Tierpark wurde mit der Straßenbahn erreicht. Nach Verlegung des Tiergartens nach Mögeldorf führte auch bald eine Tram dort hinaus. Und in Würzburg fuhren die Städter zu feuchtfröhlichen Ausflügen nach Heidingsfeld. Die Ausflugstradition setzt dort heute eine Partytram fort: der "Schoppenexpress".
Von der Trambahnritzenreinigerin zur Schaffnerin
Zurück in die Ausstellungshalle des MVG-Museums. Am Eingang grüßt eine Puppe, die als sogenannte Trambahnritzenreinigerin eingekleidet ist. Vereins-Vorstand Markus Trommer, erklärt, wie die Tram auch etwas zur Emanzipation beigetragen hat: "1915 im Personalbuch ist zu lesen, wie die Frauen zum ersten Mal nicht nur Putzdienste, sondern auch Schaffnerdienste verrichten durften. 1919 mussten alle wieder gehen, als die Männer wiederkamen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Frauen dann nicht mehr vertreiben lassen, beziehungsweise es sind nicht so viele Männer zurückgekehrt. Da war Schaffnerin ein Beruf, ganz normal."
Die Trambahn ist immer mitten ins Herz der Menschen hineingefahren. Zärtliche Spitznamen bekam sie: Die Strambers, die Strassabooh, die Bim, die Strahba. Kein Wunder, dass sie auch besungen wurde. Vom "Wagen von der Linie 8", sang der Weißferdl. Die Volksschauspielerin Ida Schumacher schwadronierte auf der Bühne als Trambahnritzenreinigerin, rechnete ab mit dem Obertrambahnfahrer Dieriggl, den sie mit einem Kübel von Altmünchner Schimpfwörtern übergoss. Der Sachse Gunther Schmäche fuhr im Lied gern mit seiner "Bimmel" und Reinhard Mey dichtete und sang seine liebevolle Ode an die Straßenbahn.
In München abgemeldet ...
Trotzdem scheinen die Münchner Verkehrsbetriebe noch nicht erkannt zu haben, welchen Schatz sie in den alten Wagen haben. Die historische Museumshalle ist eine begehrte Eventlocation, doch bei Vermietungen müssen die Museumsstücke ins Freie gefahren werden, bei Wind und Wetter.
Gerne würden die Freunde des Münchner MVG-Museums auch wieder einmal mit alten historischen Wagen fahren. Aber da gibt es ein Problem: Mit dem U-Bahnausbau sollte die Straßenbahn eigentlich ganz aus München verschwinden. Also meldete die MVG ausrangierte Fahrzeuge ab. Sie nun wieder in Betrieb zu nehmen, erfordert eine komplett neue Zulassung für jedes einzelne Teil. Eine schier unlösbare Aufgabe.
... in Nürnberg am Start
Diese Probleme hat man in Nürnberg nicht. Dort boomen historische Stadtrundfahrten geradezu. Niklas Schwarzmann ist bei der VAG Nürnberg zuständig für das Historische Straßenbahndepot und die Museumsfahrten. Die Verkehrsbetriebe sind stolz darauf, von jeder Nürnberger Baureihe mindestens einen fahrbereiten Wagen zu haben. Der Erhalt des historischen Bestandes wurde sogar als Firmenziel festgeschrieben.
Beste Bedingungen, findet Schwarzmann, der auch Vorstand des Vereins Freunde der Nürnberg-Fürther Straßenbahn ist. 20 der 450 Mitglieder führen die Museums-Fahrten durch und leisten den nötigen Schaffnerdienst. Langsam fädelt sich der Wagen (Baujahr 1935, bis in die 70er-Jahre im Dienst) in den Verkehr ein. Mit beiden Armen bedient Schwarzmann Schalter und Kurbeln – natürlich im Stehen – und erklärt nebenbei.
"Wir haben hier einen kombinierten Fahr- und Bremshebel … dann haben wir hier die Handbremse, weil die motorische Bremse natürlich nur bis so drei bis fünf km/h runterbremst. Den Rest mach ich mit der Handbremse. … Und dann haben wir hier noch eine Einrichtung, eine unabhängige Schienenbremse. Da gehen Elektromagneten unten an die Gleise und bremsen das Fahrzeug sehr abrupt ab. Für den Notfall, wenn einem jemand vor den Wagen läuft oder ähnliches."
Der Schaffner: Kassierer, Respektsperson, Blinker
Es ist ziemlich kalt, denn die Türen sind nur durch Gitter gesichert. Früher sind hier ständig Gäste zugestiegen und haben die Stehplätze beim Fahrer gefüllt. Auch wenn die gerade nicht dabei sind, ist der Schaffner als zweiter Mann an Bord.
"Von ihm krieg ich unser Glockensignal", erklärt Schwarzmann. "Wir fahren hier nach den Vorschriften, wie dieses Fahrzeug in den 30er Jahren zugelassen wurde. Der Schaffner ist nicht nur Zierde da, sondern der ersetzt tatsächlich Funktionen, die bei einem modernen Fahrzeug die Technik übernimmt." Heute gibt es Sicherungssysteme für geöffnete Türen oder falls der Fahrer bewusstlos wird. Früher war dafür der Schaffner da – neben vielen anderen Aufgaben; der Fahrtrichtungsanzeige zum Beispiel.
Überhaupt waren die Schaffner Respektspersonen, und wie sich viele erinnern, durchaus manchmal bärbeißig unterwegs: Ein strenges Regiment! Die Fahrpläne und natürlich die Preise hatten sie im Kopf. Eine App brauchte damals keiner. Die Münzen landeten im Galoppwechsler vor dem Bauch des Schaffners.
Der Schaffner der Nürnberger Museums-Fahrt, Tobias Schneider, schwärmt von der Federung des Wagens: "Er ist doppelt abgefedert. Das war ein Qualitätsmerkmal damals der MAN, und sogar Henry Ford hat mal in einem Essay über die Nürnberger Straßenbahn geschrieben, weil er meinte, man solle doch den ruhigen Lauf der Nürnberg-Fürther Straßenbahn zum Vorbild nehmen, um das Automobil ordentlich zu federn."
Ab in den Tram-Stall
Gemütlich schlängeln wir uns zurück zum Historischen Straßenbahndepot in St. Peter, das seit 1888 in Betrieb war. Seine Architektur verrät, dass es auch hier mit der Pferdebahn losging, denn in einem großen Gebäudeteil waren früher Stallungen. In der Schienenwerkstatt der VAG Nürnberg erzählt der zuständige Bereichsleiter Thomas Luber, dass es in Nürnberg viel früher losging mit der "Strambers" als in anderen Städten. Denn die erste Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth fuhr nicht immer unter Dampf, sondern meist als Pferdebahn.
"Das war damals kein Zuschussbetrieb, sondern ein Geschäft. Der Gründer der Nürnberger Straßenbahn war Heinrich Alfes, das war ein Bremer Kaufmann. In einer atemberaubenden Geschwindigkeit hat der den Pferdebahnbetrieb eröffnet. Wir haben noch die Original-Pferdebahnwagen von 1881 hier", so Luber. Auch der erste elektrische Triebwagen ist im Depot. 1896 ging es los mit Fahrten unter Strom an der Noris.
Nürnberger Wagen in Krakau? Ein Glück!
"In der Folge hatte die Stadt Nürnberg sehr große Ausbauwünsche an die Gesellschaft, die sie nicht erfüllen konnte", erklärt Luber weiter. "Und so war ein weiterer Meilenstein die Verstädterung des Betriebes. Das war im Jahr 1904, und bis 1914 ist das Streckennetz annähernd verdoppelt worden."
Die Weltkriege setzten den Straßenbahnbetrieben überall zu. In München fuhren beschlagnahmte Wagen aus Italien. Nürnberg hingegen mussten Wagen nach Krakau liefern. Heute ist das ein Glücksfall für die Restaurierung. Denn die Kollegen in der polnischen Partnerstadt sind ebenso begeisterte und versierte Trambahn-Techniker wie die Nürnberger.
Und trotzdem: Auch in Nürnberg sollte die Straßenbahn einst ganz abgeschafft werden. Aber man verschrottete die Wagen nicht, sondern stellte sie einfach nur aufs Abstellgleis. So konnten sie 1985, zum Jubiläum "150 Jahre Eisenbahn", wieder reaktiviert werden. Gleichzeitig gründete sich der Verein Freunde der Nürnberg-Fürther Straßenbahn und öffnete eine Ausstellung im historischen Depot in St. Peter. Ein Geniestreich – der historischen Bedeutung angemessen!
Wenn die Tram mit den Gleisen spricht
Schaffner Tobias Schneider leitet im Hauptberuf die Werkstatt für Schienenfahrzeuge der VAG. Er darf in Nürnberg auch fast alles fahren, vom Oldtimer bis zum Zugpferd der modernen Flotte, den Typ GT8N. Und der ist vollgepackt mit Technik. Er spricht sogar mit den Gleisen.
"Die automatische Weichensteuerung", erklärt Schneider. "Der Wagen weiß über die Ortung, wo er ist, und gibt dann an den Weichen aus, ob sie nach links oder rechts gestellt werden muss. Er hat auch einen Gleit- und Schleuderschutz." Und stehen muss der Fahrer oder die Fahrerin auch nicht mehr: Die klimatisierten Fahrerkabinen sind mit vielfach verstellbaren Sitzen ausgestattet.
Doch wer nimmt dort Platz? Fahrer werden bundesweit händeringend gesucht. Auch in den Werkstätten braucht es Mitarbeiter, die über Nacht die vielen Unfallschäden -im Schnitt ist es einer pro Tag – reparieren. Nebenan steht ein moderner Straßenbahnzug, der mit sich mit einem Bus angelegt hat. Der halbe Triebkopf ist abgerissen. Er wird wohl sechs Monate ausfallen. Ein herber Verlust, denn draußen steigen die Fahrgastzahlen stetig. Ganze Stadtviertel müssen neu angeschlossen werden.
Kommt die führerlose Straßenbahn?
Doch wie wird die Tram in Zukunft aussehen? Sehr, sehr spannend, findet Schaffner Schneider dieses Thema. "Man arbeitet heute sehr viel mit Fahrerassistenzsystemen, aber bis zur Serienreife beim autonomen Fahren der Straßenbahnen dauert es noch mindestens 25 bis 30 Jahre", meint er. Wegen des langen Bremswegs muss Straßenbahnfahren proaktiv und vorausschauend sein, erklärt Schneider, nicht reaktiv. Dazu erwartet er mehr Komfort für Fahrgäste, klimatisierte Innenräume, USB-Ladebuchsen …
Vieles wird aber gleich bleiben, ist sich Schneider sicher: "Man wird Räder unten brauchen." Und auch der Vorstand des Münchner Vereins, Markus Trommer, glaubt an eine blühende Zukunft der Tram: "Habe ich weniger Verkehr, ist ein Bus das richtige Mittel der Wahl, ist es eine mittlere Menge, ist eine Straßenbahn viel effizienter, abgesehen davon, dass sie elektrisch fährt."
Mobilität lässt sich nicht mehr reduzieren auf ein Verkehrsmittel, ist sich Trommer sicher. "Das war eigentlich schon immer etwas suboptimal: U-Bahn gegen Bus gegen Straßenbahn – miteinander funktioniert's." Elektromobilität ohne Tram? Schier undenkbar. Bimmeln und Rattern wird es auch in Zukunft in den bayerischen Städten.