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Debatte um Nobelpreis für Peter Handke Trennung von Autor und Werk

Der Streit um den diesjährigen Literaturnobelpreisträger Peter Handke wirft wieder die Frage auf, inwieweit sich Künstler und Werk voneinander trennen lassen. Doch das sollte gar nicht das Ziel sein, sagt Philosophin und Historikerin Bettina Stangneth. Gerade in der Reibung liege das Spannende der Kunst.

Von: Christoph Peerenboom

Stand: 23.10.2019

Der Autor reagiert auf Kritiker | Bild: Barbara Gindl/Picture Alliance

Bayern 2-radioWelt: Wie bewerten Sie, dass nach der Nobelpreisverleihung kaum öffentlich über Handkes Bücher diskutiert wird, aber umso vehementer über seine Rolle während der Balkankriege?

Bettina Stangneth: Das ist normal. Der Literaturpreis-Betrieb lebt davon, auch vom hemmungslosen Geschwätz: Je mehr über den Autor gesprochen wird, desto mehr Menschen meinen, auch mitsprechen zu können.

Ist es denn nur Geschwätz, was jetzt zur Sprache kommt über Peter Handkes Verhalten während der Balkankriege in den 90er Jahren?

Die Frage ist ja der Anlass, warum wir darüber sprechen. Natürlich kann man sagen, man muss Autor und Werk unbedingt gemeinsam betrachten. Dann muss man genau das aber auch tun und nicht nur über den Autor reden, oder über den Menschen, der dahintersteckt. Das klappt so nicht. Diese ganze Debatte über die Trennbarkeit von Autor und Werk ist meist entweder sehr banal oder unaufrichtig. 

"Man kann nicht so tun, als könne man nur über den Menschen reden und damit das Werk diskreditieren, oder nur über das Werk reden und damit den Autor enteignen."

Bettina Stangneth, Philosophin

Sie sagen also, man kann Handkes Bücher mit Genuss lesen, auch mit einem solchen Preis auszeichnen, unabhängig davon, was er womöglich Seltsames getan oder politisch geäußert hat?

Zunächst mal müsste man dann historisch fair sein und sich wirklich anschauen, wann er was gesagt hat, und wann sich eine Debatte verselbständigt hat, wo dann die Pop-Ikone Peter Handke wichtiger wurde als das, was der Mensch noch korrigierend gesagt hat - oder auch radikalisierend gesagt hat. Es gibt natürlich beides. Die Frage ist, worüber wir da reden. Wir haben ja auch die andere Seite, nämlich die Menschen, die jetzt versuchen zu sagen: ja, man muss sich nur auf das Werk konzentrieren. Das ist natürlich taktisch genauso durchschaubar.

Dahinter steht ja die Frage: messe ich das Werk an dem, was der Autor “im normalen Leben” tut oder sagt.

Wegen seinen Äußerungen zum Bosnien-Krieg in den 90er Jahren steht Peter Handke in der Kritik.

Die entscheidende Frage ist, ob ich überhaupt über das Werk reden will. Und ob ich überhaupt über Literatur und damit über Künstler reden möchte. Es geht eben auch um die Absicht, die die anderen Menschen vertreten, die eben sagen, wir wollen uns nur auf das Werk konzentrieren. Natürlich kann ich immer alles von allem trennen und alles mit allem zusammenpacken. Ich kann ja auch essen und mich nicht fragen, wer es gekocht hat. Das ist ganz unproblematisch, zu sagen, dass ich mir nicht einbilde, dass ich ohne Koch auch was zu essen bekomme. Die Frage ist doch tatsächlich: woher kommt Kunst? Und wo entsteht das, und was ist ein Autor? Da darf man sich keine romantischen Vorstellungen machen. Man setzt sich nicht so gemächlich hin und dann fließen die Worte aus der Feder und so, sondern Autoren, das schließt auch Sachbuch-Autoren ein, die sind meistens sozial auffällig, darum können die nämlich schreiben.

"Kunst stört. Das macht sie unverzichtbar. Das hat nichts damit zu tun, dass sie gefällt."

Bettina Stangneth, Philosophin

Was würden Sie denn vorschlagen, um beides zu betrachten, das Werk und den Autoren? So, dass es eben auch beiden gerecht wird?

Es einfach zu tun. Wenn ich gerne über Herrn Handke reden will, dann muss ich ihn lesen. Und dann muss ich ihm vielleicht auch mal zuhören, was er heute sagt. Das könnte ja auch interessant sein. Ich kann mich darüber gerne aufregen, ich kann mich daran auch stoßen. Darum geht es ja letztlich in der Kunst. Kunst stört. Das macht sie unverzichtbar. Das hat nichts damit zu tun, dass sie gefällt. Und das sein Künstler, wenn er etwas geschaffen hat, danach auch vielleicht etwas sagt, was mir nicht gefällt, das gehört dazu. Umberto Eco hat ja mal im Scherz gesagt, man müsste eigentlich Autoren - und er meinte sich - nach der Veröffentlichung ihrer Bücher erschießen. Damit sie sich nicht mehr in die Rezeptionsgeschichte einmischen können. Aber das erscheint mir doch etwas drastisch.

Die Kritik an Handke und an der Nobelpreisvergabe kam ja von vielen Seiten, z.B. aber auch von Saša Stanišić, dem Träger des Deutschen Buchpreises, der als Kind selber vor den Gräueln des Bosnienkriegs geflohen ist. Verstehen Sie, wenn er das Werk und die Person Handke mit einer anderen Brille betrachtet als vielleicht andere Menschen mit anderem biografischem Hintergrund?

BS: Ja natürlich tun wir das alle; ich verstehe nur nicht, warum man einen Autor, den man mögen kann oder nun nicht, mit “Zitaten” anführt, die gar nicht von ihm sind; ich verstehe nicht, warum man Menschen diffamieren muss, nur weil sie einen Preis bekommen. Das ist kein Grund. Man kann sich sachlich mit Themen auseinandersetzen. Man kann sich auch direct mit einem Menschen, der noch lebt, auseinandersetzen, man muss das nicht über die Medien tun, auch nicht über Twitter übrigens, und dann wird man vielleicht oft mal was darüber lernen, sowohl über sich als auch über den anderen, und eventuell lernt der andere ja auch was.

"Diese ganze Debatte über die Trennbarkeit von Autor und Werk ist meist entweder sehr banal oder unaufrichtig."

Bettina Stangneth, Philosophin


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