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Mystik am Abgrund Das Festspielhaus in Bayreuth

Am 22. Mai 1872, dem 59. Geburtstag von Richard Wagner, wurde der Grundstein für das Festspielhaus in Bayreuth gelegt. Für einen Ort der Extreme und der Ekstase. Was macht die Faszination des Hauses auf dem Grünen Hügel bis heute aus?

Von: Barbara Bogen

Stand: 25.05.2022 | Archiv

Richard Wagner und das Festspielhaus in Bayreuth – was für ein Ort! Ein Ort der Extreme und der Ekstase. Ein Ort der Polarisierungen und der scheinbar unauflösbaren Widersprüche. Ein Ort, an dem seit 150 Jahren Skandale zum buchstäblich guten Ton gehören und die Erlösung mit auf dem Spielplan steht. Ein Ort, an dem man immer wieder Gefahr läuft, Musik mit Mystik oder zumindest mit Religion zu verwechseln. Ein kultureller Ort, an den alle Jahre wieder im Hochsommer gepilgert wird wie sonst nur nach Lourdes oder Santiago de Compostela. Und ein Ort, in dessen Zusammenhang Wagner selbst einmal von einem "mystischen Abgrund" sprach. Aber dazu später.

Ein weltweit tatsächlich einzigartiger Ort, an dem ein genialischer, wenn gleichwohl egomanischer Komponist nur seine eigenen musikalischen Schöpfungen aufgeführt sehen wollte. Seine zehn schicksten Opern. Seine Musikdramen. Ein absolutistisch anmutendes Diktat eines Patriarchen, dem man noch heute gehorcht, als gäbe es auf der Welt nichts Selbstverständlicheres als das.

Ein exorbitant modernes Konzept

Zunächst einmal aber stand am Anfang des Bayreuther Festspielhauses ein tatsächlich exorbitant modernes Konzept – wenn auch damals schon geprägt von Größenwahn, irgendwo im göttlichen Spielfeld zwischen Schöpfungs- und Vernichtungsidee.  

"Ja, die Festspielidee entwickelt sich bei Wagner eigentlich parallel zur Entstehung des 'Ring des Nibelungen'. Und damit beginnt er ja eigentlich schon in der Dresdener Zeit mit der ersten Konzeption, dann aber im Wesentlichen in der Züricher Zeit der 1850er Jahre, so 25 Jahre bevor das dann hier was geworden ist in Bayreuth. Der Grund liegt einfach darin, dass Wagner nicht daran glaubte, dass diese Tetralogie, die es ja nun werden sollte, dieses Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend auf einem herkömmlichen Theater angemessen würde aufgeführt werden können."

Sven Friedrich, Wagner-Experte

Sven Friedrich ist ein Wagner-Kenner par excellence, eine Koryphäe nicht nur in Bayreuth, sondern international anerkannt und seit rund dreißig Jahren Herr über das Haus Wahnfried in Bayreuth, das legendäre Richard-Wagner-Museum, in dessen Garten übrigens Maestro Wagner heute begraben liegt.

"Deswegen dachte er, er muss ein Festtheater speziell zu diesem Zweck errichten, den Ring aufzuführen. Ursprünglich hat er da an eine ganz provisorische Geschichte an den Ufern des Rheins gedacht. 'Nur aus Brettern und Balken', schreibt er an seinen Freund Uhlig, richte ich mir dann ein Theater auf. Und dann wollte er den Ring dann dreimal spielen. Und dann sollte das Ganze abgebrannt werden und damit sein Ende haben. Die Partitur hinterherwerfen, also eine einmalige Geschichte. Dazu ist es dann aber nicht gekommen."

Sven Friedrich, Wagner-Experte

Die Vernichtung des eigenen Werkes lässt durchaus Assoziationen frei zu Performance-Darbietungen bildender Künstler der Gegenwart des 21. Jahrhunderts. So wie der Street-Art-Künstler Banksy etwa im Auktionshaus Sothebys im Jahr 2018 bei einer Kunstauktion Aufregung und Panik verursachte, indem er sein just für eine Million Euro versteigertes Kunstwerk zu schreddern versuchte. Kurzum: Wagner war in den Anfängen seiner kulturrevolutionären Ideen seiner Zeit ziemlich voraus.

Die Kunst und die Revolution

Schon Jahrzehnte bevor am 22. Mai 1872, übrigens dem 59. Geburtstag des Komponisten, der Grundstein für das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel gelegt wurde, war Wagner mit revolutionären Strömungen und anarchistischen Thesen in Berührung gekommen. Hatte sich von dem Frühsozialisten Pierre-Joseph Proudhon inspirieren lassen, der leidenschaftliche Ökonomiekritik schmetterte wie "Eigentum ist Diebstahl".

Im Zuge der Revolution von 1848 hoffte Wagner neben einer radikalen gesellschaftlichen Veränderung auch auf eine umfassende Erneuerung des Theater- und Kunstbetriebs. In Dresden hatte Wagner zudem den russischen Anarchisten und wildbärtigen Tausendsassa Michail Bakunin kennengelernt und mit ihm gemeinsam an Straßenkämpfen teilgenommen. Dort wird Wagner schließlich als Revolutionär steckbrieflich gesucht. Er flüchtet sich ins Exil nach Zürich. Und hier, im Schweizer Exil, das neun Jahre andauern wird, beginnt für den Komponisten ein Schaffensrausch sondergleichen, indem er seine visionären Ideen für Kunst und Künstlertum entwickelt.

Kunst war Wagners Meinung nach in einer vorgeblich dekadenten Gesellschaft zur Ware verkommen. Die Individuen der Gesellschaft schienen ihm ebenso isoliert wie die einzelnen Künste, die Wagner wieder zu einem Gesamtkunstwerk zusammendenken wollte. Sich selbst sah er dabei als Sonnengott und Erlöser, Dichter, Denker, Komponist, Bühnenbildner, Regisseur etc. Ein Uomo Universale wie einst in der Renaissance. Geniekultig.

"Erlösung" im Festspielhaus – Eintritt dabei frei

Wagner entwickelt sein Konzept des „Gesamtkunstwerks der Zukunft“ und zugleich seine Festspielidee als revolutionäres Projekt. Durch mythisch grundierte, großartige Erzählungen in Überlänge von Göttern, Helden, Fabelwesen, Nibelungen, gewürzt mit dem Geist von Schopenhauer, Feuerbach, Christentum, Buddhismus und allerlei mehr sollte das Publikum kathartisch gereinigt werden. Zugang zur „Erlösung“ war in seinem Festspielhaus allerdings zunächst nur für Eingeweihte und Freunde vorgesehen. Eintritt dabei frei. Wagner schreibt: "Mit meiner Konzeption trete ich gänzlich aus allem Bezug zu unserem heutigen Theater und Publikum heraus, breche für immer mit der formellen Gegenwart."

Warum Bayreuth? Und nicht München?

"Die Möglichkeit hatte er dann natürlich erst, nachdem König Ludwig II. von Bayern in sein Leben trat, 1864, weil er dann eben über die nötigen finanziellen Möglichkeiten auch verfügte. Und es sollte ja auch ursprünglich ein Wagner-Theater in München gebaut werden. Das war der Plan. Semper sollte das bauen. Wäre ungefähr ein Zwitter zwischen dem Bayreuther Festspielhaus und der Semperoper geworden und hätte heute auf den Isarhöhen etwa zwischen Maximilianeum und Friedensengel gelegen. Sagen wir mal, die Münchener werden sich ärgern heute, dass 'sies net gemocht homm'. Aber Wagner wurde ja dann aus München ausgewiesen, weil er sich wieder mal in die Politik eingemischt hat, und er war dann in Triebschen."

Sven Friedrich, Wagner-Experte

Und warum jetzt nochmal gleich ausgerechnet Bayreuth? Ein Zufall sozusagen, an dem Cosima, Wagners Frau, zumindest nicht ganz unschuldig war. 

"Cosima hatte in einem Lexikonartikel nachgeschaut und dort das Markgräfliche Opernhaus gefunden, das damals leer stand, das wunderbare Hochbarocktheater von Galli Bibiena, und dann ist man 1871 auch nach Bayreuth gefahren, hat sich das angeguckt, hat natürlich gleich gemerkt, für Ringvorstellungen völlig ungeeignet, ein hochbarockes Theater, viel zu klein und kein versenkter Orchestergraben und so weiter und so fort, aber die Bayreuther Stadtväter haben dann Wagner sehr schnell die Möglichkeit gegeben, ein Grundstück zur Verfügung gestellt, um das Festspielhaus zu bauen. Das war natürlich woanders als da, wo es jetzt ist, aber der Entschluss, Wagner nach Bayreuth zu holen, war dann sehr schnell gefasst."

Sven Friedrich, Wagner-Experte

Der von Wagner erhoffte Erfolg blieb zunächst aus

Es ist verblüffend, wie schnell sich die hochfliegenden Ideen und Ideale Richard Wagners allerdings schon damals, vier Jahre nach der Grundsteinlegung erschöpfen. Als 1876 das Festspielhaus mit dem "Ring des Nibelungen" feierlich eröffnet wird, ist auch der junge Philosoph Friedrich Nietzsche unter den Gästen. Nietzsche ist einer der ersten glühenden Wagnerianer. Das Hopplahopp, das Nietzsche bei der Premiere in Bayreuth mit Adel und Geldadel erlebt, lässt den sensiblen Denker mit nacktem Entsetzen reagieren.

Auch der von Wagner erhoffte Erfolg blieb zunächst aus. Das Publikum war vom altgermanisch-romantischen Inhalt doch ein wenig verstört. Die ersten Festspiele mit drei Ringzyklen erwiesen sich als finanzielles Desaster. Sechs Jahre lang konnte das Haus gar nicht bespielt werden. Wagner aber gab nicht auf, handelte nüchtern Finanzierungs- und Darlehensverträge aus. Und glaubte zugleich an seinen „mystischen Abgrund“, wie er den Abstand zwischen dem ersten und zweiten Proszenium nannte, mit dem geschlossenen Schalldeckel über dem Orchestergraben. Die Realität sowie die theatralen Produktionsbedingungen sollten verschwinden und die Zuschauer in nichts weniger als in den „Zustand des Hellsehens“ versetzt werden.     

Der Philosoph Theodor W. Adorno wird das später Wagners „Illusionsmaschinerie“ nennen und in Bayreuth eine „Vorahnung der Kulturindustrie“ erkennen, „Regression auf magisches Denken im Spätkapitalismus“. Wagners letztes Werk, das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ kommt im Juli 1882 zur Uraufführung. Kurz darauf stirbt Richard Wagner in Venedig.

Familienbetrieb in Bayreuth – nach Wagners Tod

Das Bayreuther Festspielhaus um 1920

Nach seinem Tod 1883 bleibt das Festspielhaus in Bayreuth ein stramm geführter Familienbetrieb. Wagners gestrenge Frau Cosima führt das Haus bis 1909. Danach folgt Sohn Siegfried Wagner, dann dessen Frau Winifred. Später, nach 1951, wollen Wagners Enkel Wieland und Wolfgang mit „Neu-Bayreuth“ einen ästhetischen Neuanfang wagen und bleiben doch im konservativen Inszenierungsgerüst stecken. Übertragen allerdings Avantgarde-Künstlern wie dem französischen Filmregisseur Patrice Chéreau die Inszenierung des sogenannten „Jahrhundert-Rings“ zum 100. Jubiläum der Festspiele 1976, an dessen Ästhetik angeblich keiner mehr vorbeikommt. Gegenwärtig führt Katharina Wagner, die Urenkelin des Maestros das Haus.

Ein ganz normaler Bau – mit "Ausstrahlung"

Wer sich heute etwa an einem trüben regnerischen Morgen auf den Grünen Hügel in Bayreuth begibt, erlebt einen Bau, der zunächst scheint wie andere Gebäude eben auch. Ein zwar wälsungenhaft großes, dennoch irgendwie normal wirkendes Gemäuer aus dem architektonischen Geist der sogenannten „hellenistischen Romantik“.  Stiefmütterchen davor, lilafarben hübsch und gelb. Erst nach einer Weile, wenn man das Gelände überquert, den Bau umrundet, bemerkt man, dass etwas von ihm auszugehen und irgendwie, tja, zu „strahlen“ scheint, eine „Ausstrahlung“ ist da, und unweigerlich fragt man sich, ob sie nun magisch ist oder kontaminiert.

Noch in den Jahren 1979 und 1986 hatte die Stadt Bayreuth für den Vorgarten des Festspielhauses bei dem Bildhauer Arno Breker zwei Büsten in Auftrag gegeben, Porträts von Richard und Cosima Wagner. Man steht auf dem Grünen Hügel heute, betrachtet die holzschnitthaften Breker-Skulpturen und ist irgendwie, ja, was soll man sagen, bestürzt. Arno Breker, der Lieblingsbildhauer des nationalsozialistischen Deutschland, der einmal gesagt hatte er könne „von Muskeln nie genug“ kriegen.  Wer hätte nicht die Fotografien vor Augen. Paris 1940. Breker neben Adolf Hitler und Albert Speer. Drei „Un-Geistesverwandte“ nach der deutschen Okkupation vor dem Eiffelturm.  

Hitler wollte mit seinen zwei Kulturkumpels Speer und Breker Paris wieder aufbauen, nachdem er die Stadt, so sein Plan, zerstört hatte. Noch in den Siebziger Jahren nimmt Breker den Ehrenring des rechtsextremen „Deutschen Kulturwerkes Europäischen Geistes“ entgegen. Reue kannte er bis zu seinem Tod 1991 nie.

"Hitlers Hoftheater"

In den Jahren zwischen 1933 und 1940 ist Adolf Hitler regelmäßig zu Gast in Bayreuth und wird strahlend empfangen von der tausendprozentigen Winifred Wagner, der Ehefrau von Richard Wagners Sohn Siegfried. Hitler residiert in der Villa Wahnfried. Fotos zeigen den Diktator und Massenmörder auf dem Hügel neben einem entspannt lachenden Goebbels. Hitler selbst lacht nicht.

Der Dichter Thomas Mann nennt das Festspielhaus „Hitlers Hoftheater“. Später, viel später wird der zeitgenössische slowenische Philosoph Slavoj Zizek die Figur Wagner als „protofaschistisch“ beschreiben und Bayreuth als das „Mekka der kulturellen Fundamentalisten Europas.“

Heute ist die Breker-Büste von Richard Wagner im Vorgarten des Festspielhauses umstellt von Gedenktafeln der Biographien jener Künstler, die aufgrund ihrer jüdischen Identität nach 1933 den Hügel nicht mehr betreten durften. Winifred kannte keine Gnade. Der Antisemitismus war ihr ebenso heilig wie der „Grüne Hügel“ selbst. Viele der jüdischen Musiker und Sänger und Sängerinnen, die in Bayreuth gewirkt hatten, wurden deportiert, ermordet in Theresienstadt wie der Flötist Bernhard Samuels oder der Violinist Eduard Weiss etwa, dessen Spur sich in Majdanek „verlor“. Oder der Cellist Lucian Horwitz, der ebenso wie die Altistin Ottilie Metzger-Lattermann in Auschwitz starb.

Die Botschaft, die hier heute ausgesendet wird, ist mindestens widersprüchlich. Einerseits die Zumutung der Breker-Büsten, andererseits die Gedenktafeln zur kritischen Erinnerung an den Ungeist, der in Bayreuth lange Zeit herrschte. Dazu fällt einem selbstredend auch der berühmte Spruch ein, dass Richard Wagner nichts dafürkonnte, dass Adolf Hitler ihn mochte. Nein, natürlich nicht. Und doch zeugt Wagners Schrift über „Das Judenthum in der Musik“ von dumpfer, geistloser, geradezu verschwörungstheoretischer Gesinnung.      

"Man muss Wagner sicher den Vorwurf machen, dass er nicht nur ein herrschendes antisemitisches Ressentiment aufgegriffen hat, und auf die Kunstdebatte auf die Ästhetik übertragen hat, nein, er hat den Antisemitismus damit im Rahmen seines ja sehr hoch stehenden Kunstverständnisses im Grunde in den Rang einer Kulturtheorie erhoben und damit zu einer Frage der deutschen Identität gemacht. Denn Kultur war ja in Deutschland, anders als anderswo eine Identitätsfrage."

Sven Friedrich, Wagner-Experte

Was Frank Castorf am Ring fasziniert

2013 inszeniert Frank Castorf, damals noch Chef der Berliner Volksbühne, den „Ring des Nibelungen“, den Kampf der Götter um den Erhalt der Macht und deren Untergang als Kampf um das moderne Gold, das Öl. Die geistigen Zusammenhänge des Festspielhauses mit dem Dritten Reich interessieren Castorf hier schon nicht mehr. Was Frank Castorf indessen am Ring faszinierte:

"Dass er nicht deutbar ist. dass er sich der Deutung entzieht. Dass er nicht einordbar ist, dass er eine fröhliche Anarchie hat. Dass er all das hat, was mir manchmal auch wichtig ist, das ist das Paradoxale, in der Musik, im Text, in den Zuordnungen, mythisch-märchenhaft-philosophischer, psychologischer Einordnung. Und mir geht’s immer so, eigentlich kann ich nicht zu einer einfachen Wahrheit kommen. Ich kann auch nie zum Schluss kommen, iss übrigens dett Schönste, dett ikk endlich mal siebzehn Stunden inszenieren darf, ja."

Frank Castorf

Im Jahr 2004 wird der Aktionskünstler Christoph Schlingensief für die Inszenierung des „Parsifal“ auf dem Grünen Hügel verpflichtet. Und der begreift Wagners Bühnenweihfestspiel wie Castorf als offenen Raum für regelfreie Interpretation. Vor seinem frühen Tod wird Christoph Schlingensief, schon konfrontiert mit einer Krebsdiagnose, öffentlich erklären, dass er seine Arbeit in Bayreuth am „Parsifal“ mit seiner Erkrankung in Verbindung bringt.

Weltberühmte Sängerinnen, Sänger und Dirigenten

Richard Strauss, Arturo Toscanini, Karl Böhm, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan, Paul Hindemith, Eugen Jochum, Wolfgang Sawallisch, Carlos Kleiber, Hans Knappertsbusch, Georg Solti, James Levine, Lorin Maazel, Pierre Boulez, Colin Davis, Placido Domingo, Daniel Barenboim, Kirill Petrenko, Christian Thielemann – was weltberühmte Sänger, Sängerinnen und Dirigenten nach wie vor anzieht, ist ohne Zweifel die Akustik des Hauses, die als eine der besten der Welt gilt. Neben dem Prestige des Ortes versteht sich. Klingende Namen, unzählige Sänger und Sängerinnen, Dirigenten, die sich lesen wie ein Who is Who der Opern- und Musikgeschichte. Erst im Jahr 2021 übrigens dirigiert mit der Ukrainerin Oksana Lyniv erstmals eine Frau im Festspielhaus, und zwar den „Fliegenden Holländer“. 

Zu befragen ist die Anziehung, die das Haus immer wieder auf Künstler hat, die man nicht unbedingt in Bayreuth vermuten würde, wie den munter-avantgardistischen Schauspielregisseur Christoph Marthaler oder den damals fast 80-jährigen Dramatiker Tankred Dorst, der zu dem Zeitpunkt gar keine Opernerfahrung hatte oder den Berliner Opernchef Barry Kosky, der wohl nicht allein aufgrund seiner jüdischen Identität nach eigenen Aussagen Richard Wagner und Bayreuth geradezu verachtete und im Festspielhaus dann doch eine urkomische „Meistersinger“-Inszenierung vorlegte, die mit antisemitischen Klischees lustvoll spielte, natürlich, um diese Stereotype ad absurdum zu führen.

Bayreuth als NoGo, auch das gibt es immer wieder. Autorenfilmer Wim Wenders verzichtete auf die Regie, ebenso wie der dänische Filmregisseur und Drehbuchautor Lars von Trier, Konflikte, Überforderungen. Und doch zieht es ganz junge Regisseure nach Bayreuth. In diesem Jahr wird der 33-jährige Österreicher Valentin Schwarz den „Ring“ inszenieren und hat bereits angekündigt, ihn als Netflix-Familien-Serie in Szene setzen zu wollen. Storytelling. Ganz trivial.  

Bayreuth – ein Ort der Widersprüche

Bayreuth polarisiert, noch heute. Man hasst den Ort, zu viel kulturblöde Schickeria, man liebt den Ort wegen der – alle Jahre wieder – erhofften künstlerischen Verheißung. Bayreuth – eine scheinbar ewige Provokation. Magisch, monströs, ein „mystischer Abgrund“ und inzwischen wohl auch im Jahr 2022 ein wenig „Komische Oper“.


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