Die Zwanziger Jahre Hauptstadt der Erregung – München oder Berlin?
Spätestens seit der Fernsehserie "Babylon Berlin" weiß jeder: die Welthauptstadt der Roaring Twenties lag an der Spree. Und doch, auch in München ist in den Goldenen Zwanzigern die Moderne nicht aufzuhalten: das erste Hochhaus wächst in den Himmel, Monumentalfilme werden gedreht und Raketenschlitten getestet. Parallel dazu rückt die Stadt nach rechts.

Tempo, Tempo – das war das Motto der 1920er Jahre. Eine radikale Zeit, in der sich die Welt beschleunigte: Autos und Motorräder nahmen Fahrt auf, die Menschen kommunizierten per Fernsprecher, hörten Grammophon und Radio, gingen ins Kino. Frauen schnitten sich die Haare ab und tanzten den Charlston.
Von der "leuchtenden" Stadt zur "Hauptstadt der Bewegung"
Politisch waren die Zwanziger Jahre eine kontroverse Zeit des Auf- und Umbruchs, besonders auch in Bayern. Die Folgen des Ersten Weltkriegs, Hyperinflation und Extremisten von links und rechts belasteten die junge Demokratie. Aus München, der einst weltoffenen, "leuchtenden" Stadt, wie Thomas Mann sie beschrieb, wurde Hitlers "Hauptstadt der Bewegung". Künstler wie Bert Brecht, Heinrich Mann oder Lion Feuchtwanger kehrten München den Rücken und folgten dem Ruf Berlins, Welthauptstadt der Goldenen 20er Jahre.
High Life im "Deutschen Theater" in München
Verantwortlich für den Erfolg des "Deutschen Theaters" war der rührige Gastronom und Unternehmer Hans Gruß. Gruß holte zahlreiche Unterhaltungsgrößen mit Gastspielen an sein Haus, so die Tiller-Girls aus New York oder, aus Berlin, den König der Revue-Kunst Rudolf Nelson.
Nach dem Vorbild amerikanischer Varieté-Bühnen wollte Hans Gruß dem Münchner Publikum moderne Unterhaltungsshows präsentieren, so auch die international gefeierte Tänzerin Josephine Baker. Berühmt war Josephine Baker für ihren Bananentanz: halbnackt und zuweilen schielend, schwang sie mit grotesken Verrenkungen im Charleston-Rhythmus ein Bananenröckchen.
Nach gefeierten Gastspielen in New York, Paris und Berlin sollte Josephine Baker im Februar 1929 nun auch an Münchens 'Deutschem Theater' auftreten. Obwohl bereits angekündigt, verbot die Polizei mit Billigung des Stadtrats kurzerhand die Veranstaltung, weil "eine Verletzung des öffentlichen Anstandes und damit der öffentlichen Ordnung" zu erwarten gewesen wäre. Direktor Gruß protestierte und drohte mit der Schließung seines Theaters – vergeblich.
Auch Joachim Ringelnatz kehrte München den Rücken
Im gleichen Jahr, als der Auftritt Josephine Bakers verboten wurde, verließ als einer der letzten prominenten Dichter Münchens Joachim Ringelnatz die Stadt und zog nach Berlin. Sein Urteil über München war ambivalent:
"München ist Sumpfland. Das Tempo ermüdet, der Schritt wird langsamer. Man löst den steifen Kragen, legt Eleganz, Mode und Wichtigkeit ab, steckt heimlich Würde und Miene in die Tasche. Wird münchnerisch, verfällt in den fast provinzialen, familiären Ton.
Beugt sich – alle beugen sich dem Geiste einer gewissen Kultur, lehnen jede Sensation ab. Nichts triumphiert hier, weder der Offizier, noch der Akademiker, nicht der Kaufherr und nicht der Maler."
(Joachim Ringelnatz)
"Hollywood im Isartal"
Und doch, auch in München ist die Moderne nicht aufzuhalten: auf dem Starnberger See werden Schlitten mit Raketenantrieb getestet, in München wächst das erste Hochhaus in dem Himmel und in Geiselgasteig entstehen Monumentalfilme, die München zum "Hollywood im Isartal" machen.
Friedemann Beyers "Bayerisches Feuilleton" beleuchtet die legendären "Roaring Twenties" als ein Jahrzehnt, in dem München und Berlin als Konkurrenten in Beziehung stehen. Eine komplexe, schillernde, höchst spannungsreiche Beziehung mit durchaus aktuellen Bezügen.
Kulturtipp:
Das Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg präsentiert noch bis 7. Februar 2021 die Ausstellung "Tempo, Tempo - Bayern in den 1920ern".