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300 Jahre Erlanger Markgrafentheater Elefanten auf der Bühne

Oft stand es vor dem Ruin, immer wieder ist es auferstanden und noch heute Teil des städtischen Kulturlebens: das Markgrafentheater in Erlangen. Vor genau 300 Jahren wurde es eröffnet. Eine Reise durch drei Jahrhunderte bewegter Geschichte.

Von: Tilla Schnickmann

Stand: 18.01.2019 | Archiv

Wer in Erlangen das Markgrafentheater sucht, findet in der ganzen Stadt verteilte Hinweise: Überall künden Plakate, Flyer, Ausstellungen vom großen Jubiläum des Hauses. Allein der 300 Jahre alte barocke Theaterbau selbst ist fast zu übersehen, obwohl er direkt im Zentrum der Hugenottenstadt liegt. Wie eine Auster verbergen schmucklose Mauern die barocke Perle.

Des Markgrafen Heimkino

Die Front des Markgrafentheaters Erlangen

"Das ganze Theater ist versteckt, weil es der Markgraf nur für sich und seinen Hof gebaut hat", erklärt Wiebke Goldhammer, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit des Theaters Erlangen. "Der Bürger sollte gar nicht wissen, dass da so ein Schmuckstück in der Stadt steht." So, als würde man sich heute ein Heimkino kaufen, hat sich der Markgraf ein Theater gebaut.

Das Markgrafentheater tarnt sich mit einer schlichten Steinfassade aus den 1950er-Jahren. Auch Eingangsbereich und Garderobe verströmen etwas spröden Wirtschaftswunder-Charme. Über eine kahle Steintreppe geht es nach oben zum Parkett. Vor der Doppeltür zum Zuschauerraum sorgt ein roter Teppich für etwas Glanz. Aber hinter der Tür ...

Baldachin, Troddeln, Samt

Im Zuschauerraum des Markgrafentheaters

... entfaltet sich die ganz barocke Pracht: Hölzerne Balustraden mit fein ziselierten Ornamenten in Blau, Weiß und Gold, geschwungene Logen umfasst von ausgeschmückten Holzsäulen und in der Mitte die Fürstenloge, überdacht von einem prunkvollen Baldachin, mit vergoldeten Troddeln und überall rote Samtsitze. Ein Schmuckstück, das älteste bespielte Barocktheater Süddeutschlands.

Die Geschichte des Opernhauses beginnt mit Markgraf Georg Wilhelm. Erlangen war zwar nur die Nebenresidenz der Markgrafen und der Hof hielt sich hier nur zeitweise auf – doch wollte man auf das Vergnügen von Oper und Schauspiel nicht verzichten. Und so wurde das "Hochfürstliche Opern- und Comoedienhaus" eröffnet.

"Anno 1719, den 10. Januari kamen Serenissimus mit ihrem ganzen Hofstaat hierher. In dem Opernhauß wurde eine Oper Argenis und Poliarchus betitult, aufgeführet."

Fortan wurden hier zahlreiche Geburtstage, Namenstage und Carnevalsveranstaltungen gefeiert, weiß der Theaterwissenschaftler Professor Clemens Risi: "Die Oper hatte zu dieser Zeit klar einen Repräsentationsanspruch, die Macht und Herrlichkeit des Fürsten zu spiegeln und nach außen zu demonstrieren."

Der Homann'sche Kupferstich

Das zeige sich in den Libretti, in denen sich die Tugenden eines guten Fürsten symbolisch zeigen lassen. Aber auch die Laster der zu verachtenden Tyrannen als Gegenspieler. "Und dann haben wir die prächtigen Dekorationen, die von materiellem Reichtum zeugen und damit auch von der Bedeutung eines Hofes", so Risi.

Einen Eindruck von einem solchen Abend erhält man durch einen berühmten Kupferstich. Der nach seinem Urheber benannt Hohmann-Stich aus dem Jahr 1721 zeigt das Theater detailreich von innen: vollbesetzte Logen mit verkleideten Menschen bei buntem Treiben. Nicht alle Gäste blicken auf die Bühne, manche lesen auch, andere unterhalten sich. Auf der Bühne ist ein eindrucksvoller Triumphzug zusehen: Ein Prunkwagen, gezogen von zwei – Elefanten.

Elefanten in Erlangen?

Gab es im 18. Jahrhundert also Rüsseltiere in Erlangen? Forscher wie Risi versuchen das Geheimnis dieser Abbildung zu lüften. "Meine Vermutung ist, dass wir es bei diesem Hohmannstich möglicherweise doch mit einem Bild dessen zu tun haben können, was zur Eröffnung gezeigt wurde. Dann wären womöglich die Sklaven durch Elefanten ausgetauscht worden." Warum? Elefanten waren zu dieser Zeit ein spektakuläres Theatermittel, die staunen lassen.

Ob es sich aber tatsächlich um lebende Tiere handelt? Auf einer alten Inventurliste aus dem 17. Jahrhundert finden sich zwei Elefantenverkleidungen, vermutlich aus Pappmaschee oder Stoff. Also doch nur Theater? Könnten es echte Elefanten gewesen sein? Auf Nachfrage lächeln Öffentlichkeitsarbeit-Chefin Goldhammer und Dramaturgin Karoline Felsmann nur verschmitzt. "Die Legende wird weitergetragen, aber wir tragen sie natürlich auch gerne weiter."

Ganz anders als heute

Beim Blick auf die Größe der Bühne und das gepflegte Haus kann man sich das kaum vorstellen. Aber ist es überhaupt möglich, sich Theater vorzustellen, wie es damals war? "Was die Leute bei Führungen immer interessant finden, ist, dass Theater im 18. Jahrhundert ganz anders ablief als heute", sagt Karoline Felsmann. "Die Ränge sind nicht alle frontal auf die Bühne ausgerichtet. Man hat fast den besten Blick auf die Menschen gegenüber im Rang und das hat den Grund, dass damals der Adel vom Markgrafen eingeladen wurde, um ins Theater zu kommen."

Karten gab es keine zu kaufen und die Platzierung richtete sich danach, welchen Stand der Gast im Hofstaat hatte. Das machte es besonders interessant, wer wo sitzt und wer mit wem kommt. "Das Spektakel fand sowohl auf der Bühne als auch im Zuschauerraum statt."

Möglichst viel Spektakel

Rücksichtsvolles Schweigen, wie es heute geboten ist und stilles Sitzen hielten wohl erst im 20. Jahrhundert Einzug. Damals ging es munter zu, es wurde gegessen, Karten gespielt, es wurde sich unterhalten, das Publikum ging rein und raus. "Und deshalb war es auch für die Schauspiel-, Musik- oder Tanztruppen, wichtig, dass auf der Bühne möglichst viel Spektakel stattfand, damit die Zuschauer ab und zu auch dort mal hinsehen.

Exotische Tiere, Kanonenknall und Feuerwerk – kein Wunder, dass viele Theater abbrannten. Es ist vielleicht nur Zufall, dass Holz und Stoff im Erlanger Theater bis heute verschont blieben. Doch es kam anders: Schon damals gab es Pfusch am Bau. Nur 17 Jahre nach der Eröffnung – der opernbegeisterte Markgraf war bereits gestorben – passierte ein Unfall:

"Während einer Comödie fiel in Gegenwart sämtlicher fürstlicher Personen wegen Menge der Menschen das Parterre ein. Es verursachte einen großen Schrecken, doch hatte niemand weiter ein Unglück als ein Apotheker aus Altdorf so ein Bein brach."

aus der Chronik von 1721

Was aus dem Bein des Apothekers wurde, wissen wir nicht. Aber es zeigt, dass die Aufführungen in Erlangen schon früh auch dem Bürgertum offen standen. Dafür spricht auch, dass sich ein Eingang zur Stadt öffnet und der Zugang nicht nur über den Schlosskomplex zu erreichen war, wie es oft üblich war.

Wilhelmine brachte die Wende

Überhaupt ist das Erlanger Theater zumindest architektonisch moderner als das erst 1748 fertiggestellte Opernhaus in der Hauptresidenz Bayreuth. Doch der neue Markgraf Friedrich wollte auf Dauer nicht beide Häuser finanzieren. So kursierten Ideen aus dem Theater ein Salzlager zu machen – oder vielleicht eine Reitschule.

Die große Wende brachte dann eine Frau: Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen, kurz Markgräfin Wilhelmine, Schwester Friedrichs des Großen und Gattin von Friedrich von Brandenburg-Bayreuth. Sie prägt Erlangen kulturell bis heute.

Bayreuth statt Hampton Court Palace

"Sie hat das preußische Wappen hier eingefügt, um ihre Herkunft zu demonstrieren", sagt Susanne Ziegler, die Herausgeberin des Jubiläumbuches zum Theatergeburtstag. "Sie war eigentlich zu Höherem berufen, sollte englische Königin werden und ist dann in der Bayreuther Provinz gelandet. Was erstmal ein totaler Schock für sie gewesen ist, doch sie hat das Beste daraus gemacht und hat sich hier gut eingerichtet. Und hat auch in Erlangen viel bewirkt."

Die Nebenresidenz in der Hugenottenstadt liebte Wilhelmine besonders. Sie gründete die Universität und drängte auf den Erhalt des nahezu brachliegenden Theaters, dass sie "sehr hübsch" nannte und eine "ausgezeichnete Akustik" bescheinigte. Auf ihr Geheiß hin wurde der bekannte venezianische Theaterarchitekt Paolo Gaspari engagiert. Mit ihm zusammen gestaltete sie das Theater im zeitgenössischen Rokokostil um.

6.000 Kerzen

In nur zwei Jahren stellten sie das Theater-Juwel fertig, so wie wir es heute kennen. 1744 konnte das "neue theatro" feierlich eröffnet werden. Viele durchziehenden Künstler aus aller Welt waren fortan hier zu Gast, und die kunstbeflissene Markgräfin dirigierte, schrieb und inszenierte viele Aufführungen selber. Die beiden weiblichen Hermen an der Mittelloge – sie symbolisieren die Tragödie und die Komödie – gehören zu Wilhelmines Erbe.

Goldene Engel, ionische Pilaster, es glitzert und funkelt. Das lag früher nicht nur am Glanz des Blattgoldes, weiß Susanne Ziegler. "Hier im Markgrafentheater wurden an einem Abend bis zu 6.000 Kerzen abgebrannt. Das heißt, es wurde sehr warm. Die Damen damals hatten oft Korsette und sind dann in Ohnmacht gefallen wegen der Hitzeentwicklung." Und weil die Kerzen den ganzen Sauerstoff aus dem Raum gezogen haben.

Eine Vielfalt von Gerüchen

Sicherlich feierlich – doch trotz aller Roben und Rüschen, Perücken und Puder vielleicht kein Genuss für alle Sinne. Denn Deos gab es noch nicht. "Es wurde ja auch gegessen, also es durfte vermutlich eine Vielfalt von Gerüchen hier gewesen sein", sagt Ziegler. Kerzen, Parfüm, ungewaschene Körper, Hühnchen "oder was man da so gespeist hat."

Wie gesagt, Theater bedeutete Kunst, aber auch Spektakel. Aus den Libretti und den Inventarlisten ist zu lesen, was auf der Bühne geboten wurde: Pyramiden, gotische Kirchen, viele Wälder, Meere. Und auch akustisch griff man in die Trickkiste. Einige barocke Effektgeräte sind derzeit im Erlanger Stadtmuseum zu besichtigen, darunter der Nachbau einer barocken Brandungsmaschine, eine große Trommel, gefüllt mit Linsen, die per Kurbel in einem Holzgestell gedreht werden konnte.

EIn Theater für die Uni?

Doch dann endete die glanzvolle Zeit der Markgrafen. Durch die Siege Napoleons ging das Fürstentum Bayreuth zunächst an Frankreich, das es 1810 an das verbündete Königreich Bayern verkauft. König Ludwig I. wusste nicht viel mit dem Gebäude in Franken anzufangen und vermachte es 1818 kurzerhand der Universität. Doch was will eine Bildungseinrichtung mit einem Theater? Die Bürger beschwerten sich in der Zeitung über diese Vernachlässigung:

"Wir haben eine Bühne, wie man sie in akustischer Hinsicht wenige finden wird. Trotzdem läßt man es lieber in Trümmer gehen, als nur das Geringste darauf zu verwenden. (…) es ist traurig, daß das Theater der Universität gehört."

historischer Zeitungsartikel

Die Kritiker wurden nicht müde, bis die Universität das Theater schließlich für 4.280 Gulden an die Stadt verkaufte. 1838 wurde das Erlanger Stadttheater eröffnet. Bespielt wurde es von Theatergesellschaften aus Würzburg, Nürnberg und Bamberg. Doch war dem Haus kein Glück beschieden und rechnete sich nicht. Und so wurde still im Theater, dessen grandiose Akustik selbst Experten verblüffte.

Theater e.V.

Die Rettung kam vom erstarkten Erlanger Bürgertum. 1876 gründeten Bürger und Gelehrte der Universität den gVe (gemeinnütziger Verein in Erlangen) und brachten viel Engagement, Ehrenamt und Geschick mit. Sie übernahmen die Programmplanung, luden Gastspiele ein, nahmen bauliche Veränderungen vor, unter anderem wurde eine Heizung eingebaut, eine Gasbeleuchtung, später elektrisches Licht.

110 Jahre lang prägte der gVe die Geschicke des Theaters, nur unterbrochen durch die Nazi-Zeit und kurz danach. Mit der Machtübernahme der NSDAP war es vorbei mit der Freiheit des Theaters. Im Rahmen der Gleichschaltung und Überwachung der Kultur in Deutschland musste sich auch der gVe anpassen, erst wurde er zur "Deutschen Bühne Ortsgruppe Erlangen" und ging ab 1937 in der Nazi-Freizeitvereinigung "Kraft durch Freude" auf. An vielseitiges Theater war unter dem Hakenkreuz nicht mehr zu denken.

Krieg zu Ende, Theater läuft

Trotzdem kam das Theater glimpflich davon. Die Stadt und auch das Theatergebäude blieben weitgehend unzerstört. Als die Amerikaner nach Kriegsende nach Erlangen kamen, fanden sie ein sofort bespielbares Haus vor. Und das schützte es vor Zweckentfremdung, davon zeugt ein Plakat der Militärregierung, das zum Schutz aufgehängt wurde:

"This Theater ist reserved for showings oft he german civilian population Commanding officer 6870th district."

Plakat der US-Militärregierung

So wurde der Spielbetrieb dort viel schneller wiederaufgenommen als in anderen Städten. "Ein Intendant und eine Geschäftsführerin haben beschlossen, wir machen hier Theater: Dörner und Probst", berichtet Theaterhistorikerin Dorothea Pachale. Die haben eine Truppe zusammengetrommelt, die hier ab Spätsommer 1945 Theater gespielt hat. Bei erschwerten Bedingungen angesichts der Not nach dem Krieg.

"Da gibt es die Bitte an die Stadt, dass die im Stadtanzeiger den Hinweis bringt, dass das Theater geheizt ist", so Pachale. "Als Argument für Zuschauer, ins Theater zu gehen, weil vielleicht die eigene Wohnung nicht geheizt war. Oder der Aufruf an das Publikum, Literatur zu spenden."

"Eine der vielen Schwierigkeiten, mit denen das Theaterunternehmen zu kämpfen hat, ist die Beschaffung der notwendigen dramatischen Literatur. Wir bitten daher unsere Erlanger Mitbürger, ihre Bücherschränke nach modernen und klassischen Dramen aller Art durchzusehen und diese dem Markgrafentheater geschenk- oder leihweise zu überlassen. Willkommen sind vor allem auch Reclam- und Schülerausgaben klassischer Bühnenliteratur."

Der Erlanger Oberbürgermeister in einem Amtsblatt von 1945

Der Wunsch war groß, den Menschen wieder geistige Nahrung zu bieten. Das Theater lebte, es herrschte Aufbruchsstimmung. Und erstmals in der Geschichte hatte Erlangen ein eigenes Ensemble. Klassiker und zeitgenössische Stücke wurden gespielt. Allein in den ersten 16 Monaten wurden 272 Aufführungen gegeben. Bis 1948 die Währungsreform das erfolgreiche Unternehmen in die Insolvenz trieb. Das Stadtparlament gewährte keine Subventionen. Erneut stand das Theater vor dem Aus.

Der Abriss droht

Der Innenraum während der Renovierungsarbeiten

Der gVe übernahm daraufhin die Leitung, jedoch nur bis 1956. Von heute auf morgen musste der Spielbetrieb komplett eingestellt werden. Der Grund: akute Baufälligkeit. Es war wohl der tiefste Einschnitt. Das Theater wird dichtgemacht, der Abriss droht. Man entschied sich für einen radikalen Umbau.

Während der Renovierungsarbeiten

"Der Zuschauerraum wurde verschalt, alles andere wurde Anfang der Sechziger im damaligen Baustil renoviert, und so sieht es aus", sagt Theaterhistorikerin Pachale. Das Vorderhaus mit Foyer, Gänge und Garderoben entstanden neu, ebenso die Bühnentechnik modernisiert. Der Innenraum jedoch wurde in seiner reinen Form von 1744 wiederhergestellt und von den Stilbrüchen der Renovierungen des 19. Jahrhunderts befreit.

Lange Liste bekannter Namen

Auch wenn die Fassade sehr klar ist und gar nicht barock: Denkmalschutz besteht trotzdem. "Das gesamte Ensemble des Theaters steht unter Denkmalsschutz, auch wenn noch nicht alles 300 Jahre alt ist", erklärt Pachale. 1959 wurde das Theater- und Opernhaus mit der "Hochzeit des Figaro" wiedereröffnet.

Fortan setzte sich die Liste der bekannten Namen, die der gVe mit Gastspielen nach Erlangen holte, weiter fort. Tilla Durieux war zu sehen, Theo Lingen, Klaus Maria Brandauer oder Mario Adorf. Auch im Musikbereich verpflichtete der gVe, der bis heute mehrere Konzertreihen in Erlangen veranstaltet, Größen wie Max Reger, Paul Hindemith oder Wilhelm Kempff.

Die jungen Wilden

Das Publikum kam zahlreich und doch rührte sich etwas im Untergrund, eine Gegenbewegung zum eher konservativen Programm im Theater. 1974 wurde aus der Feuerwehrgarage, einer ehemaligen höfischen Kutschenremise, eine Studiobühne, die sogenannte "Garage". Was zunächst als Kinder- und Jugendtheater gedacht war, wurde unter dem ersten Intendanten Manfred Neu bald zu etwas viel Größerem, das in den öffentlichen Raum drängte.

"Das Labor. Die Experimentalbühne", erinnert sich der Erlanger Schauspieler Winni Wittkopp an die "Garage". "Wir hatten ja früher unheimlich viele Studenten als Zuschauer, das gibt's ja heutzutage nicht mehr." Es wurden Agitprop-Stücke gegeben, Politisches von Fernando Arrabal, Benito Gutmacher oder Fuga, "die jungen Wilden", sagt Wittkopp. Da fuhr schon mal eine Gondel in einem extra angelegten Kanal durch die Theaterstraße zum Stück "Krach in Chiozza".

"Da hat sich alles so vermischt, auch verrücktes Theater. Das war eine wilde Aufbruchsstimmung. Wilde Zeit."

Winni Wittkopp, Schauspieler

Durfte "Garagen"-Gründer Manfred Neu anfangs nur mit dem Weihnachtsmärchen im prächtigen Markgrafentheater spielen, erkämpften sich seine Nachfolger Andreas Hänsel und Hartmut Henne immer mehr Spielzeit im barocken Haus. Und unter der Intendantin Sabina Dhein – der ersten Frau seit Wilhelmine – wurde das Theater Erlangen wirklich selbständig. Die Zeit des gVe als Gestalter des Theaterspielplans war vorbei. 1989 fanden Haus und Theaterbetrieb zusammen.

Kantine im Café

Heute wird das Markgrafentheater von einem festen städtischen Schauspielensemble bespielt, das Klassiker und Moderne zeigt. Auch Festivals finden hier ein Zuhause. Ein 300 Jahre alter Opernraum und modernes Schauspiel – oft ein Spagat, manchmal Grätsche. Musiktheater ist nur noch durch gelegentliche Gastspiele vertreten.

Für die Schauspieler ist der Raum eine Herausforderung, sagt Herman Große-Berg, seit acht Jahren im Ensemble: "Ich war schon an einigen Häusern. Aber wenn man von der Bühne in den Zuschauerraum guckt, ist man jedes Mal überwältigt, das habe ich so noch nicht erlebt. Das ist so richtig, wie sich meine Großmutter ein Theater vorgestellt hat – im besten Sinne."

Katja Ott, Intendatin des Theaters Erlangen

Die Geschichte des Erlanger Markgrafentheaters ist voller Wechsel, Atempausen und Herausforderungen. Seine Rolle und Funktion hat sich dabei stets mit der Gesellschaft verändert. Aus dem höfischen Opernhaus ist ein echtes Stadttheater geworden. Und spätestens unter der amtierenden Intendantin Katja Ott auch mitten in der Stadt angekommen.

"Ich glaube, was alle Mitarbeiter heute eint und auch die der letzten 300 Jahre ist die Liebe zum Haus, zum Raum und zum Theater. Das ist eine verbindende Kraft, die einen Arbeitsplatz ganz großartig machen kann."

Katja Ott, Intendantin Markgrafentheater Erlangen

Die Räumlichkeiten sind für den modernen Betrieb zu eng, deshalb spürt man jetzt auch überall auf der Straße etwas vom Theater. "Ja, das Theater hat weder eine Pforte, was eigentlich zu jedem Haus dazugehört, noch eine Kantine", sagt Intendantin Ott, "und so haben die Künstler und sämtliche Mitarbeiter sich auf den Weg gemacht, um eine Kantine zu schaffen."

"Theatercafé" und "Kulisse" heißen die Kneipen nebenan. Hier trifft sich das Ensemble, hier wird diskutiert und einmal sogar ein Spielplan auf dem Bierdeckel entworfen. "Man muss in die Kneipen gehen nach der Vorstellung", empfiehlt die Intendantin, "da erfährt man von denen, die auf der Bühne standen, wie die Vorstellung gelaufen ist und von den Zuschauern, wie sie die Vorstellung fanden."

Doch auch für die Büros der Intendanz ist kein Platz, sie liegen verteilt in der Innenstadt. Die Probebühne ist fußläufig entfernt, Kulissen werden hin und her über die Straße geschoben, die Kostüme ebenso getragen. "Es läuft alles über die Straße", sagt Ott. "Ich glaube darum heißt sie auch Theaterstraße. Da findet das Theater statt, Requisite, alles läuft über die Gasse."

"In Erlangen ist ja alles ganz eng zusammen und das Publikum hat auch eine Beziehung zum Ensemble."

Katja Ott, Intendantin Markgrafentheater Erlangen

Die 300-jährige Geschichte des Erlanger Theater ist wechselvoll. Oft stand es vor dem Ruin und ist doch immer wieder auferstanden. Und noch bemerkenswerter: Das barocke Juwel ist nie zu einem reinen Denkmal geworden, sondern wurde immer bespielt, und blieb stets zugänglich für das Publikum – bis heute. Kein Wunder, dass die Erlanger das Jubiläum ihres Markgrafentheaters nun ein ganzes Jahr lang feiern werden.


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