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Make Food not War Das Restaurant "Tawlet" in Beirut zeigt, wie man mit Essen Menschen verbindet

Man sieht den Bürgerkrieg noch. Es ist nicht einfach in Beirut. Kamal Mouzawak kämpft auf seine Art für den Frieden: In seinem Restaurant, dem "Tawlet", kochen 50 Frauen aller Nationalitäten. Denn Essen verbindet. Die Devise lautet: Make Food not War!

Von: Michael Marek und Saskia Guntermann

Stand: 26.06.2018

Make Food not War - das "Tawlet" in Beirut | Bild: BR / Michael Marek

„Politik und Religion grenzen Menschen aus. Im libanesischen Bürgerkrieg hat man sich aus nichtigen religiösen und politischen Gründen umgebracht. Essen aber verbindet und bringt die unterschiedlichsten Leute zusammen“, sagt Kamal Mouzawak, libanesischer Tausendsassa, Journalist und ehemaliger Fernsehkoch. „Deshalb lautet unser Motto: Essen statt Krieg!“

Rue Naher im Stadtteil Mar Mikhael: Hier, zwischen Downtown Beirut und Corniche, stehen Moscheen neben Klöstern, fahren Ferraris an bettelnden syrischen Flüchtlingskindern vorbei, sieht man durchlöcherte Häuserfassaden aus der Kriegszeit neben modernen Neubauten. "Hi, kifak, ça va?", auf der Straße ist ein Sprachenmix zu hören aus Englisch, Arabisch und Französisch, und es wirkt so, als würde sich niemand drum scheren, Hauptsache das Leben funktioniert, und sei es noch so gegensätzlich.

Nicht lamentieren, machen!

Mouzawak ist 48, großgewachsen und einer von diesen Menschen, denen nie die Energie ausgeht: Er ist Unternehmer, hat eine NGO gegründet und besitzt ein Restaurant. Aber das ist alles nur Mittel zum Zweck, wie er selbstbewusst formuliert, denn sein wichtigster Job – das worum es hier eigentlich geht – ist ein ständiger Kampf: Kamal Mouzawak kämpft für den Frieden im Libanon. Mit: Essen.  

„Tawlet bedeutet Tisch. Und genau darum geht es: Gemeinsam am Küchentisch zu sitzen und zu essen wie bei Muttern. Jeden Tag kommt eine andere Frau und kocht die typischen Gerichte ihres Dorfes oder ihrer Stadt. Hier arbeiten keine professionellen Köchinnen, die eine ausgeklügelte Molekularküche anbieten. Bei uns im Restaurant ist alles bodenständig, wird mit Herz und Persönlichkeit zubereitet. Denn nichts spricht uns mehr an als unsere Esskultur“, erklärt Kamal Mouzawak.

Gemeinsam essen

Zeinab Kachmar ist eine von 50 Köchinnen im "Tawlet"

50 Frauen aus den unterschiedlichen Regionen des Landes wechseln sich im Tawlet ab, darunter vor allem Libanesinnen, aber auch Palästinenserinnen, Syrerinnen – Frauen, die in den Libanon geflüchtet sind. In diesem Land, das sich über Jahrzehnte hinweg selbst an ethnischen und religiösen Fronten bekämpft hat, soll Kochen und Essen also ein erster Schritt sein, die alten und die neuen Barrieren zu überwinden, um Menschen im Libanon wieder zusammenzuführen – kann das funktionieren?

Kamal Mouzawak trägt ein blaues Jeanshemd und sitzt an dem langen Holztisch, der das ganze Restaurant durchzieht. Sein ehemals dunkles welliges Haar ist ebenso graumeliert und wie der kleine Oberlippenbart. Schnell und gestenreich redet da einer, der von seiner Idee überzeugt ist; einer, der energisch auf jede Frage antwortet, stets freundlich. Was ihn antreibt? Kamal wurde auf einem Bauernhof geboren, in einem kleinen Dorf  und bescheidenen Verhältnissen. Dabei wollte er es nicht belassen. Er studierte, wurde Journalist, entdeckte das Thema Essen für sich, arbeitete als Fernsehkoch und schloss sich der Slow Food Bewegung an.

Tawlet heißt Tisch

Make Food not War: Tawlet-Betreiber Kamal Mouzawak will Barrieren überwinden

Hinter Kamal bauen seien Mitarbeiter das Büffet auf: gefüllte Auberginen, Fleischbällchen und Joghurtsuppe, Linsen mit Reis und karamellisierten Zwiebeln – alles zubereitet in der offenen Küche, heute von Fadia Chaptini. Sie kommt aus der Nähe von Tripoli im Norden des Libanon, und kocht, wenn sie nicht gerade in Kamals Küche steht, vor allem für ihre zwei Kinder.

„Heute gibt es ein typisches Gericht aus Tripoli. Es ist ein sehr altes Gericht, das kaum jemand noch kennt. Die Leute nehmen sich ja keine Zeit mehr für das Kochen: Ihr Terminkalender ist voll, also essen sie Fastfood: Hamburger oder Sushi. Trotzdem sitzen viele vor dem Fernseher, gucken diese Kochshows und notieren sich die Rezepte. Aber dann lassen sie alles liegen und verstecken die Rezepte in einem Kochbuch.“ Es gehe ihr nicht um das Geld, das sie hier verdient, sagt Fadia Chaptini, sondern darum, Traditionen zu erhalten, denn die libanesische Küche sei eine der besten der Welt. Und dann klingt ihre Stimme sehr stolz: Das „Tawlet“ sei wie ihre Familie, sagt Fadia, – nur etwas größer mit mehr Gästen. Dass in dieser Familie ausschließlich Frauen am Herd stehen, mag auf den ersten Blick nicht zum fortschrittlichen Konzept passen. Aber Kamal hat eine Erklärung: „Männer mögen es, aus dem Kochen eine Show zu machen. Bei Frauen ist das anders, sie sind so geschickt und intelligent, ihre Familie jeden Tag aufs Neue mit Essen zu versorgen. Aber wir würdigen das viel zu selten. Wir haben vergessen, welche Bedeutung die traditionelle bürgerliche Küche hat oder der Hausmannskost im besten Sinne. Diese Dimension des Essens wollen wir wieder aufleben lassen.“

Vom Bauernmarkt zum Restaurant

Begonnen hat alles 2004 mit einem Bauernmarkt im Zentrum von Beirut

Doch der Weg dahin war lang:  Begonnen hat alles 2004 mit einem Bauernmarkt im Zentrum von Beirut. Einmal die Woche ökologische Produkte aus der Region – Direktvermarktung. Am Anfang sei er für das Projekt belächelt worden, erzählt Mouzawak, heute ist der Markt eine Institution – und hat sogar die Spielregeln verändert: Damals, als Kamal anfing, gab es viele Bauern aus der Beiruter Gegend, die gerne regelmäßig ihre Produkte in der Stadt verkaufen wollten. Allerdings stellten die kleinen Produzenten nicht so viel her, dass sich die Supermärkte für ihre Lebensmittel interessiert hätten. Also erfand Kamal den Bauernmarkt "Souk el Tayeb". Und der stellte sich als genau das heraus, was gefehlt hatte: Heute bieten hier über 100 Bauern und Produzenten aus dem gesamten Libanon ihre Produkte an: Von der fruchtbaren Bekaa-Hochebene kommen die Milch und Käsespezialitäten, von der Küste der Fisch und aus dem Süden Eingemachtes und Honig. Muslime, Christen, Palästinenser und Drusen bauen jeden Samstag ihre Stände nebeneinander auf - friedlich und mit dem gleichen Ziel: ihre Bio-Produkte zu verkaufen.

„Ich bin der Sohn eines Landwirts, was lag da näher, als einen Bauernmarkt zu gründen. Ich wurde 1969 geboren; als ich sechs war, begann der Bürgerkrieg. Bis heute habe ich nicht verstanden, warum die Leute gekämpft haben. Gibt es einen Grund mich zu töten, nur weil ich eine andere Hautfarbe oder Religion habe, eine andere politische Meinung als du? Mir geht es vor allem um Mitmenschlichkeit und um etwas Gemeinschaftliches“, sagt Kamal Mouzawak. Nach dem Ende des Bürgerkriegs zwischen Muslimen und Christen 1990 arbeitete Kamal in einer Kultureinrichtung. Ein guter Ort, sagt Kamal: Leute, die sich vorher wegen politischer und religiöser Differenzen umgebracht hätten, seien auf einmal hierhergekommen, um gemeinsam Lesungen anzuhören oder Ausstellungen anzusehen. Da habe er verstanden, wie wichtig es sei, sich auf Gemeinsamkeiten zu besinnen - und wollte selbst einen solchen Ort schaffen. Und was würde mehr verbinden als Essen? Mouzawak sieht sich aber nicht als Idealist – im Gegenteil: „Ich bin Realist! Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann versuche ich es umzusetzen. Idealismus ist großartig, aber man muss seine Ideen auch umsetzen. Ich wäge die Vor- und Nachteile eines Projektes ab, und wenn ich sehe, dass es mehr Positives gibt, dann werde ich es auf alle Fälle umsetzen.“

Der Traum: Ein "Tawlet" in Paris

Dazu gehört auch der "Migrant Workers’ Day", an dem Arbeiter aus Äthiopien, Nepal, Sri Lanka und dem Sudan den Libanesen ihre Heimatküche näherbringen sollen – tausende von ihnen leben seit Jahren im Libanon. Außerdem hat Mouzawak unter dem Namen "Köstliche Vergangenheit" ein Trainingsprogramm für Frauen aus Syrien ins Leben gerufen, um ihnen in libanesischen Restaurants eine Anstellung zu verschaffen: Dort kochen sie und verdienen damit Geld, das ihre Familien zum Leben dringend benötigen. Unterstützt wird das Projekt unter anderem vom UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Doch Kamal Mouzawak gibt sich immer noch nicht zufrieden: Er träumt von einem neuen Projekt – will seine Erfahrungen von Beirut nach Paris exportieren: „Wir arbeiten gerade für ein ‚Tawlet‘ in Paris. Da soll es nicht um die libanesische Küche gehen, sondern um traditionelle Hausmannskost aus Paris, aus Frankreich und der verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen. Denken Sie nur an die Vietnamesinnen und Marokkanerinnen der zweiten und dritten Generation. Die sind mittlerweile so französisch wie der Rest der Bevölkerung, aber viele leben in schrecklichen Wohnsilos ohne sich auszutauschen.“

Eines der vielen verschiedenen Gerichte im "Tawlet": Vospou Kefta

Im Restaurant riecht es inzwischen nach Spicy Humus, wildem Thymian, Sumach, diesem säuerlichen Gewürz, das in der gesamten arabischen Welt in die Eintöpfe geworfen wird - und Sesam – dem Allstar. Es ist 13 Uhr, Zeit zum Mittagessen. Das „Tawlet“ füllt sich mit Angestellten, Künstlern Taxifahrern, Nachbarn - Beirutis, die gekommen sind, trinken erst einmal "Café Blanc". Das ist kein Kaffee oder Espresso, sondern heißes Wasser mit Orangenblüten. Herrlich blumig und exotisch! Dazu gibt es "Knefeh", eine süße Kalorienbombe aus Griesteig und flüssigem Käse, die libanesische Variante des Käsekuchens.

Beirut kämpft sich zu alter Schönheit durch

Draußen, auf der Rue Naher, vor dem Lokal surfen Kinder mit ihren Skateboards, während die Eltern in Restaurants und Cafès sitzen, an ihren Smartphones hantieren oder die Läden internationaler Marken wie Zara, Dior und Chanel besuchen. Autofahrer hupen leidenschaftlich, ausländische Hilfskräfte säubern derweil die Bürgersteige. Eine Fahrraddemo gegen den nicht zu bändigen Verkehr ist unterwegs, asiatische Kindermädchen laufen auf den Bürgersteigen, auf den Balkonen darüber wird gegrillt. Dem Schrecken zum Trotz kämpft sich die Stadt wieder zu alter Schönheit durch und hat sich erholt von den Konflikten und Krisen. 2015 wurde Beirut zu einer der "Neuen sieben Weltwunderstädte" gekürt. Zu Recht, schließlich gilt Beirut als "Paris des Nahen Ostens".

Beirut zeigt all das, was es im Nahen Osten heute an vielen Orten nicht mehr gibt oder geben darf: Offenheit und Liberalität. Das funktioniert. Auch wegen des Engagements von Menschen wie Kamal Mouzawak – und ihrem Credo: Make Food not War!

Die Beiträge der Sendung

  • Make Food not War - Das Restaurantprojekt “Tawlet Beirut”. Von Michael Marek und Saskia Guntermann
  • Büffel, im Erdloch geschmort - Über den Aufstieg des “Bush Tucker” in Australien. Von Marie Wildermann
  • Achterbahnfahrt der Aromen - Die neue Spitzenküche in Perus Hauptstadt Lima. Von Anne Herberg

Die Songs der Sendung:

  • Mashrou Leila - Ala Babu
  • Xavier Rudd – Storm Boy

Moderation: Bärbel Wossagk


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