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Luftige Kunst Lüftlmalerei im Werdenfelser Land

Die Lüftlmalerei ist eine besondere Form der Wandbemalung und vor allem im Alpenraum verbreitet. An einigen Häusern gibt es wahre Kunstwerke und ganze Bildergeschichten zu sehen. Wir haben uns Schmuckstücke im Werdenfelser Land angeschaut.

Von: Angela Braun

Stand: 18.05.2020 | Archiv

Das Pilatushaus in Oberammergau ist ein besonderes Schmuckstück. Mitten im Dorf steht dieses prachtvolle Gebäude – rundherum bemalt. In roten und ockerfarbenen Tönen sind die Fenster umrandet, an den Ecken ziehen sich aufgemalte Säulen in die Höhe und auf der Südseite ziert ein gemalter Palast die Hauswand.

Das Pilatushaus – die bekannteste Lüftlmalerei im Werdenfelser Land

Diese wohl bekannteste Lüftmalerei im Werdenfelser Land stammt von Franz Seraph Zwink aus dem Jahr 1784.

"Es ist sicher eines seiner schönsten Werke, weil ja ursprünglich rundum das ganze Haus bemalt war. Der Hauptteil, vor allem auf der Südseite des Hauses,  ist auch der Grund für den Namen. Den hat Franz Seraph Zwink aus dem Passionsspiel gestaltet, nämlich die Verurteilung Jesu durch Pontius Pilatus."

Helga Stuckenberger, Gästeführerin

Ausschnitt aus Verurteilung Jesu auf dem Pilatushaus

Ob der Auftraggeber Andreas Lang damals den Pilatus in der Passion gespielt hat oder nicht, das lässt sich heute nicht mehr feststellen. Es gibt noch eine andere Variante, erzählt die Gästeführerin Helga Stuckenberger aus Oberammergau.

"Man könnte natürlich auch mit einem Lächeln sagen, vielleicht hat er sich's aufs Haus malen lassen als kleinen Wink mit dem Zaunpfahl – er würde gern den Pilatus spielen, da kann man sich‘s aussuchen, welche Geschichte einem besser gefällt."

Helga Stuckenberger, Gästeführerin

Architektur aufs Haus gemalt

Das Pilatushaus ist ein Beispiel für Lüftlmalerei in ihren facettenreichen Spielformen. Franz Seraph Zwink hat aber nicht nur einzelne Bilder auf die Hauswand gemalt oder Fenster umrandet.

"Er hat auch Architektur aufs Haus gemalt, 3D-Malerei würde man heute sagen. Da findet man Reliefs, Säulen, Treppen, die nach oben führen, auf das Haus gemalt. Wenn die Sonne scheint, dann wirkt das schon sehr realistisch."

Helga Stuckenberger, Gästeführerin

Bildergeschichten auf Hauswänden

Lüftlmalereien sind gemalte Bilder oder Bildergeschichten auf Hauswänden. Die farbenprächtigen Werke wurden kunsthistorisch kaum untersucht. Der Restaurator und Denkmalpfleger Klaus Klarner aus München versucht eine Einordnung dieser besonderen Volkskunst.

"Die Lüftlmalerei ist eine in Fresko ausgeführte Kunstrichtung der Fassadenmalerei des 18. Jahrhunderts, die hauptsächlich in Süddeutschland und im Tiroler Bereich vorkommt. Dort haben sich Zentren im Bereich Mittenwald und Oberammergau gebildet. Das war so die Handelsroute von Augsburg kommend nach Italien, wo auch die Händler sich stationiert haben und dort auch die Kenntnisse mit in die Fassadengestaltung haben einfließen lassen."

Klaus Klarner, Restaurator und Denkmalpfleger

Elemente aus dem Barock und dem Rokoko

Die Hauptelemente der Lüftlmalerei stammen aus dem Barock und Rokoko. Das war damals die angesagte Mode in der Kunst und so tauchen zum Beispiel immer wieder Muscheln oder Blumengirlanden auf.

"Die Maler haben des alles nicht von sich aus erfunden, die bauen ja vielfach auf Kupferstichen auf, die überall gehandelt wurden – in Italien, Frankreich, Holland. Berühmte Malereien sind ja von Kupferstechern nachgestochen worden. Diese Stiche sind dann wieder in den Handel gekommen, die dienten immer wieder als Vorbilder für die Malerei; gerade in der Lüftlmalerei hat man Elemente davon herausgezogen und in seine eigene Stilrichtung umgewandelt."

Klaus Klarner, Restaurator und Denkmalpfleger

Lüftlmalerei – woher kommt der Name?

Lüftlmalerei in Mittenwald

Mittenwald ist der zweite berühmte Ort für Lüftlmalereien. Aber woher kommt eigentlich der Name? Eine eindeutige Erklärung gibt es nicht. Die Mittenwalder Gästeführerin Regine Ronge hat sich auf Lüftlmalerei spezialisiert. Eine Theorie führt zurück auf den Hausnamen des Oberammergauer Malers Franz Seraph Zwink. Denn das Anwesen der Familie hieß im 19. Jahrhundert "beim Lüftl". Eine andere mögliche Namensherkunft hat mit der Besonderheit der Kunstform zu tun.

"Für viele hat des immer noch was Leichtes, Luftiges. Lüftl ist a Bries, luftiger Höhe, man braucht Luft. Die alten Fresken hätten sonst nicht entstehen können. Für mich ist es ab dem Zeitpunkt Lüftlmalerei, wenn sowas eine Geschichte erzählt."

Regine Ronge, Gästeführerin

Im ältesten Ortsteil von Mittenwald, im Gries, ducken sich ein paar kleine Häuser aneinander. Die farbenfrohen Fassaden leuchten in der Sonne. Ein Haus in rötlich- gelben Tönen hat eine ungewöhnliche Bemalung.

"In Führern wird es oft als Splitter- und Balkenhaus bezeichnet. Die Szene in den Medaillons, die man sehen kann, zeigt zwei Männer. Der eine hat etwas Größeres im Auge, der andere etwas Kleineres – Symbole für den Splitter und den Balken. Links und rechts davon stehen selbstgebastelte Haussprüche, in Flammen: Was ein Nächster bös verbricht, jeder mit Luchsaugen sieht. Was er selbst tut und bös vollbracht, das sieht er nicht, nimmt‘s nicht in Acht."

Regine Ronge, Gästeführerin   

Lüftlmalerei in der Ballenhausgasse in Mittelwald - auf einem der ältesten Häuser

Die Hausmalerei erinnert auch an die Feuersbrunst, die am 29. Februar 1764 viele Häuser im Gries zerstört hat. Ein paar Meter weiter stehen drei Häuser mit Werken von drei Mittenwalder Malern: Franz Karner, Sebastian Pfeffer und Heinrich Bickel haben die Fassen gestaltet. Bickel hat im 20. Jahrhundert gemalt. Zu sehen ist eines der religiösen Motive, wie sie im Ort häufig auftauchen, erzählt Regine Ronge.

"In der Mitte sehen wir eine Szene der Heiligen Familie von dem Maler Heinrich Bickel. Von ihm ist ab den späten 1920er-Jahren ein Anschub ausgegangen, die Häuser wieder zu bemalen, das hier stammt von 1964."

Regine Ronge, Gästeführerin

Lüftlmalerei von 1750 bis heute

Das Geigenbau-Museum in Mittenwald

Die erste Phase der Lüftlmalerei beginnt um 1750 und endet mit der Säkularisation 1802. Erst über 100 Jahre später entstehen wieder neue Bilder an den Hauswänden; aus den 1920er Jahren sieht man in Mittenwald großformatige Darstellungen von Landschaften, Flößern, von Fuhrwerken und Festgelagen. Warum die Farben bis heute so intensiv leuchten? Weil sie in Freskotechnik ausgeführt sind, also in den frischen Putz gemalt wurden, erklärt der Restaurator Klaus Klarner. Das Hauptbindemittel des Freskos ist der Kalk, so Klaus Klarner. Er spricht auch von "Luftkalk", weil die Luft eine wichtige Rolle spielt. Und schon sind wir wieder bei der Lüftlmalerei.

Einflüsse aus Italien

Die Geigenbauer in Mittenwald und die Schnitzer in Oberammergau haben im 18. Jahrhundert für Wohlstand gesorgt. Das meiste Geld aber kam über die Handelsroute, erzählt Helga Stuckenberger aus Oberammergau. 

"Oberammergau lag an der Handelsroute Venedig – Augsburg, das hat den Oberammergauern immer sehr geholfen. Weil wir ja in einer Gegend sind, wo Landwirtschaft schwierig war. Die Handelsroute half beim Einkommen, Pferde und Ochsen wurden gewechselt, von Italien oder umgekehrt Waren zwischengelagert und da sind wir wieder bei den Einflüssen aus Italien. Gerade im Kunsthandwerk hat man mitbekommen, wenn sich eine Mode verändert hat, dann konnte man darauf reagieren. Die Maler konnten anbieten, was grade 'in' war."

Helga Stuckenberger, Gästeführerin

Das Hänsel- und Gretlheim und das Rotkäppchenhaus

Lüftlmalerei in Oberammergau - aus dem 20. Jahrhundert

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist in Oberammergau das "Hänsel- und Gretlheim" entstanden. Die deutsch-amerikanische Opernsängerin Marie Mattfeld hat das Haus am Ortseingang für Waisenkinder aus München gestiftet. Offiziell heißt es "Marie Mattfeld-Haus". Heute leben dort Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen. Das Hauptgebäude ist mit Märchenszenen der Gebrüder Grimm bunt bemalt: wie ein großes Bilderbuch sieht es aus – das "Hänsl- und Gretlheim", wie es die Einheimischen nennen. Gegenüber steht das "Rotkäppchenhaus". Und vor ein paar Jahren ist das dritte Gebäude renoviert worden – bemalt mit den Bremer Stadtmusikanten.


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