Bayern 2


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"Lesen streng verboten" Indizierte Bücher in bayerischen Klosterbibliotheken

Zensur unliebsamer Schriften und Ansichten gab es schon immer. Bevor der Staat vor rund 200 Jahren dafür zuständig wurde, fiel diese Aufgabe der Kirche als Sachwalterin von Wissenschaft und Literatur zu. Verbotene Bücher kamen auf den Index und wurden in einen "Giftschrank" gesperrt. Manche dieser Schränke haben bis heute überdauert.

Von: Andreas Höfig

Stand: 19.10.2022 | Archiv

Die Bibliothek der Erzabtei St. Ottilien in Oberbayern umfasst stolze 200.000 Bände, denn das Benediktinerkloster war früher auch eine philosophische Fakultät. Der große Lesesaal beinhaltet nur einen kleinen Teil der Bücher; der Rest füllt weitere drei Stockwerke. Über eine lange enge Wendeltreppe gelangen wir schließlich zu einem Flur mit einem großen, sehr schlichten Wandschrank, den sogenannten Giftschrank, in der Literatur auch als Hölle bezeichnet. Es wäre früher undenkbar gewesen, dass ein Mönch, der nicht Bibliothekar war oder eine offizielle Erlaubnis des Abtes hatte, einfach den Schrank aufmachen würde. Hier stehen mehrere hundert Bücher, deren Lektüre den Mönchen verboten war. Zum einen, weil sie auf dem römischen Index verzeichnet waren, zum andern weil ein Abt oder Bibliothekar der Meinung war, das sei nichts für seine Mitbrüder.

"Im Index librorum prohibitorum, dem Index der verbotenen Bücher, sind enorm viele Bücher aufgezeichnet, zum Teil ganze Lebenswerke von Autoren. Von Voltaire gibt's fast alles, Nietzsche ist unter Verschluss. Heine interessanterweise, Goethe nicht aber Heine! Und wenn man näher hinguckt, sieht man, dass es einige Titel gibt, die interessant wirken: zum Beispiel 'Skandal in der Kirche'. Ganz klar, dieses Buch ist nichts für ungeübte Augen, also muss es weggesperrt werden. Ein weiteres Ausschlusskriterium ist, dass das Buch protestantisch ist. Das war Grund genug, um weggesperrt zu werden. Andere sind Bücher die esoterisch angehaucht sind, oder dezidiert sexuelle Inhalte haben, also Bücher, die sozusagen das Seelenheil der Mönche irgendwie einschränken könnten."

Bruder Immanuel Lupardi, stud. Theol. Erzabtei St. Ottilien

Kloster St. Ottilien

Im Giftschrank finden sich auch theologische Werke - sogar von katholischen Autoren, die von der offiziellen Lehrmeinung abwichen. Mönche, die so etwas studieren wollten, konnten früher eine Erlaubnis zum Lesen der indizierten Bücher vom Abt erbitten, dann wurde aufgeschlossen. Heute sind die Bücher zugänglich für alle, auch ohne Erlaubnis, denn der römische Index wurde 1965 aufgehoben. Der "Giftschrank" wurde trotzdem beibehalten, als Zeitzeugnis. Denn genauso wie man die Geschichte der Inquisition nicht einfach aus der Kirchengeschichte streichen kann, genauso gehören auch solche Giftschränke in eine Klosterbibliothek - heute natürlich zugänglich: Neben protestantischen Werken und "schwierigen" Büchern katholischer Theologen vor allem Schriften über antike oder esoterische Geheimlehren, Bücher abtrünniger Mönche, Zauberbücher, kabbalistische Werke. In der St. Ottilier Hölle finden sich aber auch Kuriositäten. Zum Beispiel Schott, Römisches Messbuch. Das durchaus nicht verbotene Werk eines Benediktiners.

"Der 'Schott' ist ein katholisches Messbuch und ich glaube, dass das aufgrund des persönlichen Befindens des Bibliothekars hereingekommen ist. Hier steht: 'Diese Ausgabe des Schott, das vollständige Messbuch wird von den ewig Gestrigen benutzt. Wigratzbad (=das Priesterseminar der Piusbrüder, die das II. Vatikanum ablehnen d. Red.) hat eine Neuauflage drucken lassen'. Natürlich steht das Messbuch von Schott nicht im Index drin, aber bei uns wars im Schrank, weil es ewig Rückständig oder ewig gestrig bezeichnet wurde."

Bruder Immanuel Lupardi, stud. Theol. Erzabtei St. Ottilien

Bruder Immanuel Lupardi

Das Wegschließen von indizierten Büchern sollte also die Mönche vor Verwirrung oder Anfeindungen schützen und abweichende Meinungen unter Verschluss halten. Heute dagegen bleibt es den Mönchen selbst überlassen, was sie lesen wollen. Schließlich sind sie ja freiwillig im Kloster. Zensur, so meint Bruder Immanuel, findet heute eher außerhalb der Kirche statt.

"Zensur ist ja nicht out! Heute zensiert die Kirche zwar nicht mehr, aber der Staat umso stärker. Man kann immer sagen: Das ist typisch katholisch. Da schließen sie die Bücher weg, und dann glauben sie, dass sie sozusagen aus den Augen aus dem Sinn sind. Aber in anderen Bereichen findet ja auch Zensur statt, und zwar viel subtiler. Die Medien zensieren ja auch sehr stark. Und wenn wir in den Fernen Osten schauen. Es gibt ganze große Nationen die heute das Internet zensieren. Ist eigentlich nichts anderes, bloß auf einer globalen Ebene, während das hier nur in paar Mönche betroffen hat, die lesen konnten, oder die interessiert daran waren, betrifft es heute ja Millionen oder Milliarden von Menschen."

Bruder Immanuel Lupardi, stud. Theol. Erzabtei St. Ottilien

Freilich - die Welt stellt sich uns nur in Ausschnitten dar. Wir können nicht alles gleichzeitig wahrnehmen und begreifen. Auch die Medien können bloß Ausschnitte der Wirklichkeit darstellen. Doch solche Ausschnitte sind nicht immer Produkt bewusster Zensur. Wobei man auch hierbei unterscheiden muss zwischen gewissermaßen amtlicher Fremdzensur, freiwilliger Selbstzensur, wie etwa der 1949 gegründeten FSK, der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, oder der unbewussten Zensur, der Schere im Kopf, die bei jedem von uns zuschlagen kann, wenn er gern unliebsame Wahrheiten unter den Tisch fallen lässt. Vor dieser Schere sind natürlich auch Journalisten und Redakteure nicht gefeit, die doch eigentlich speziell für unabhängige Berichterstattung ausgebildet werden.

Kabalistisches Werk im Index

Was die Kirche angeht: Sie hat im Zug der Trennung von Kirche und Staat jegliche Zensur abgeschafft. Seit 1965 gibt es seitens des Vatikan nur noch Warnungen, Empfehlungen, oder "Hinweise, dass Werke nicht mit der Glaubenslehre übereinstimmen". Doch Zensur bleibt natürlich auch weiter ein Thema. Mittlerweile scheint sie in ganz neuen Bereichen nötig zu werden. Zum Beispiel im Fall der Black-out Challenge auf dem Social Media Netzwerk TikTok: Im Rahmen dieser "Challenge" sollen sich Teilnehmer dabei filmen, wie sie sich bis zur Ohnmacht strangulieren. Mehrere Kinder und Jugendliche in USA und Europa sind dabei bereits gestorben. Wäre ein Verbot solcher Seiten nicht dringend nötig? Wäre das andererseits tatsächlich "Zensur" oder einfach nur gesundheitliche Prävention? Die Grenzen sind fließend.

In China, im Iran oder in Russland ist offene und brutale staatliche Zensur an der Tagesordnung. Der Schriftsteller Salman Rushdi muss seit 1989 wegen seines Buches "Satanische Verse" täglich mit seiner Ermordung rechnen. In Deutschland garantiert das Grundgesetz die Freiheit von Kunst und Wissenschaft, sowie die Presse- und Meinungsfreiheit. Ein hohes Gut, das es jeden Tag aufs Neue zu schützen gilt.


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