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Kommentar zur Grundrente Der Scheinriese kommt

Lange hat die Große Koalition in Berlin über die Grundrente gestritten – nun wurde sie doch noch vor der Sommerpause des Bundestags beschlossen. Durch das Versprechen, endlich würden die "Helden des Alltags" belohnt, wurde sie aber zu einem politischen Mythos aufgeblasen. Doch dem kann sie kaum gerecht werden, meint Kommentator Kai Küstner. Denn zu viele bleiben außen vor.

Stand: 03.07.2020

Grundrente und Deutschlandfahne | Bild: picture alliance/dpa-Zentralbild

Manchmal sagt ein lautmalerischer Ausdruck mehr als tausend Worte: Dass nun endlich die Grundrente kommen soll, lässt sich durchaus mit einem erleichterten "Uff" kommentieren. Denn selbstverständlich ist es richtig, dass Deutsche, die 33 Jahre oder länger hart geschuftet haben, nicht mit einer Minirente, die kaum zum Überleben reicht, abgespeist werden. Man fragt sich, warum darüber ein gutes Jahrzehnt gestritten werden musste.

Kleiner Empfängerkreis - große Diskussion

Gleichzeitig aber sollte man die Grundrente als das benennen, was sie ist: ein "Scheinriese". Der Kinderbuchautor Michael Ende hat sich für seinen Bestseller "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" einen gewissen Herrn Tur Tur ausgedacht. Herr Tur Tur ist ein "Scheinriese", der aus der Ferne betrachtet groß und mächtig erscheint, der aber auf Normalniveau schrumpft, sobald man ihm näherkommt. Ähnlich verhält es sich mit der Grundrente. Insgesamt 1,3 Millionen Menschen werden in den - verdienten - Genuss dieses Aufschlags kommen. Das sind deutlich weniger als die drei bis vier Millionen Menschen, für die das ursprünglich mal geplant war. Diesen Empfängerkreis hat die Union - aus ihrer Sicht erfolgreich, aber zu Ungunsten der Rentenempfänger - klein verhandelt.

Keine pauschale Absicherung für Rentner

Allein der Begriff Grundrente verspricht mehr, als er hält: Erweckt er doch den Eindruck, dass Rentenbezieher pauschal eine Sicherung eingebaut bekommen, die sie auch im Alter ruhig schlafen lässt. Doch das ist nicht der Fall: Gegen Altersarmut schützt die Grundrente nämlich mitnichten. Darauf weisen FDP und Grüne zu Recht hin. All jene, die zum Beispiel längere Zeit arbeitslos waren und eben nicht 33 Jahre Erwerbstätigkeit vorweisen können, werden auch weiter ohne Zuschlag leben müssen. Und zu guter Letzt: Dieser Zuschlag wird im besten Fall bei rund 400 Euro monatlich liegen, im Schnitt - wie Experten errechnet haben - jedoch eher bei 75 Euro. 

Wichtiges Signal in der Corona-Krise

Insofern: Es ist gut, dass die Grundrente 1,3 Millionen Männern und vor allem Frauen den entwürdigenden Gang zum Sozialamt erspart. Was wäre das auch für ein erbärmliches Signal der Großen Koalition gewesen, wenn in der Corona-Krise zwar richtigerweise die Lufthansa gerettet wird, Großkonzerne wie Puma oder Adidas mit Milliarden-Krediten bedacht werden, aber für bedürftige Rentner dann nichts mehr übrig gewesen wäre.

ARD-Korrespondent Kai Küstner | Bild: WDR/Markus Krüger

Kommentator Kai Küstner.

Durch den jahrelangen Dauerstreit aber - durch die jüngsten, immer neuen Versuche, das Projekt doch noch zu torpedieren; durch das mantrahaft wiederholte Versprechen, die "Helden des Alltags" würden nun endlich belohnt - wurde der Grundrente fast schon eine Art Legendenstatus zuteil. Sie wurde aufgeblasen zu einem politischen Riesen, einem "Scheinriesen" eben, der bei genauerer Betrachtung auf Normalmaß schrumpft.


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