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Interview mit Katharina Nocun Wie wir am besten mit Verschwörungsmythen umgehen sollten

In der Krise haben so genannte Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Die Autorin und Digitalexpertin Katharina Nocun warnt davor, Verschwörungsmythen zu verharmlosen und gibt Tipps, wie wir am besten mit ihnen umgehen.

Von: Benedikt Mahler

Stand: 21.10.2020

Katharina Nocun | Bild: pa/dpa/Horst Gulaschka

Frau Nocun, was tun Sie ganz persönlich, um keiner Verschwörungserzählung auf den Leim zu gehen?

Grundsätzlich bin ich immer dann vorsichtig, wenn mir Erklärungen präsentiert werden, in denen es sehr pauschale Schuldzuweisungen gibt. Wenn eine Welt als schwarz und weiß beschrieben und mit starken Feindbildern operiert wird. Das ist ein Kernelement von Verschwörungserzählungen.

Es gibt nur selten einfache Antworten. Die Welt ist meistens komplizierter. Und gerade wenn ich Texte lese, wo beispielsweise die Sprache sehr emotional ist, wo man das Gefühl hat, hier wird mehr an meine Emotionen als an meine Ratio appelliert, bin ich persönlich vorsichtig.

Gemeinsam mit der Sozialpsychologien Pia Lamberty haben sie das Buch "Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" geschrieben. Worum ging es Ihnen dabei?

Uns war es ein wichtiges Anliegen, in einem Buch darzulegen, warum es eben nicht so ist, wie viele Menschen glauben, dass der Glaube an Verschwörungsmythen nur Randbereiche der Gesellschaft betreffen würde. Die meisten Menschen halten sich selbst auch nicht für anfällig.

Unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Studien konnten wir zeigen, dass viele Menschen eine Veranlagung für den Glauben an Verschwörungsmythen haben. Und vor allem in Krisenzeiten spielt diese Veranlagung eine sehr große Rolle. Aber auch generell zeigen die Untersuchungen, dass der Glaube an solche Verschwörungsnarrative in der Gesellschaft auch heute noch eine sehr große Verbreitung hat.

Sie sagen "noch heute". Dabei hat man manchmal den Eindruck, Verschwörungsmythen wären so verbreitet wie noch nie zuvor.

Ein gängiges Vorurteil über Verschwörungsmythen ist, dass es sich dabei um ein Phänomen des Internets handelt. Es reicht ein Blick in die Geschichte, um zu sehen, dass dem nicht so ist. Sehr oft wurde die Schuld an politischen Missständen einer gegnerischen Partei, einer Minderheit oder anderen Ländern in die Schuhe geschoben.

Da gab es beispielsweise die Verschwörungserzählungen in den USA, dass die Spanische Grippe durch Aspirin ausgelöst worden wäre. Aspirin ist ein Produkt der deutschen Firma Bayer. Verschwörungsmythen, die um eine Pandemie kreisen, sind kein Phänomen des Internets.

Aber das Internet verändert Dinge. Früher gab es einzelne Autoren, die verschwörungsideologische Schriften publiziert haben. An die musste man erst einmal gelangen. Heute kann man ganz zufällig auf Verschwörungsmythen stoßen, wenn man beispielsweise in eine Internet-Suchmaschine etwas zum Thema Impfung eingibt. Oder wenn man sich auf YouTube über 5G informieren will. Und über das Internet können auch neue verschwörungsideologischen Gruppierungen entstehen.

Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Studie hat jeder dritte Deutsche einen Hang zu Verschwörungserzählungen und manche dieser Mythen lassen einen ja auch schmunzeln. Was ist denn gefährlich daran, wenn jemand ernsthaft glaubt, die Erde sei eine Scheibe?

Man sollte diese Verschwörungsmythen nicht verharmlosen. Selbst Dinge, über die man als Außenstehender lacht, wie beispielsweise den Glauben, dass es Chemtrails geben würde – also, dass Menschen durch Flugzeuge vergiftet würden – hat konkrete Konsequenzen für eine Person, die daran glaubt.

Man muss sich mal vorstellen, was es mit einem macht, wenn man so etwas wirklich glaubt. Die Betroffenen haben Angst aus der Wohnung zu gehen, wenn Kondensstreifen am Himmel zu sehen sind. Und gerade Kinder, die in Familien aufwachsen, wo solch ein Narrativ Einzug erhalten hat, können enorm Schaden nehmen. Wenn die in dem Glauben heranwachsen, dass wir alle belogen und betrogen werden und alles zu Grunde geht, dann ist das überhaupt nicht lustig.

Angehörige, die so etwas in ihrem Umfeld erfahren, sind zurecht in großer Sorge. Es ist eine immense Belastung, wenn man zum Beispiel mitbekommt, dass jemand eine schwerwiegende Erkrankung hat und sich einfach weigert, wissenschaftlich sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen und stattdessen auf irgendwelche unsichtbaren Strahlen, einen Magier oder Handaufleger setzt. Und genau solche Fälle gibt es eben.

Warum verunsichern uns die sogenannten Verschwörer, Querdenker, Skeptiker und Leugner so sehr?

Studien zeigen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Glauben an Verschwörungsmythen und der Gewaltbereitschaft einer Person. Wenn Menschen glauben, dass alles um sie herum irgendwie von einer bösen Macht kontrolliert wird, dann kann das natürlich auch dazu führen, dass man Gewalt eher als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen für legitim erachtet. "Das ist quasi Notwehr", heißt es da etwa.

Es gibt auch Studien, die zeigen, dass Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, sich teilweise aus politischen Prozessen zurückziehen. Das heißt, sie sind weniger aktiv in Parteien, sie gehen eher weniger zur Wahl. Und das ist natürlich auch etwas, wo man sagen muss: Das hat natürlich Auswirkungen auf die Demokratie. Im Extremfall sind Menschen so sehr verunsichert, dass sie jegliches Vertrauen in zentrale Institutionen verlieren.

In Krisenzeiten haben Verschwörungsnarrative häufig Konjunktur. Warum ist das so?

Gerade in Situationen, in denen Menschen das Gefühl von Kontrollverlust erleben, können Verschwörungsmythen eine Art "inneres Geländer" geben. Die Betroffenen haben dadurch das Gefühl, man könne zumindest ganz konkret Schuldige benennen. Und wir wissen aus der Vergangenheit - auch aus anderen Epidemien und Pandemien -, dass Verschwörungsmythen bei der Eindämmung eine große Rolle spielen können.  Etwa bei der Frage, wie viele Menschen sich impfen lassen sobald ein Impfstoff verfügbar ist, oder wenn es um konkrete Maßnahmen geht, die zur Pandemieeindämmung empfohlen werden.

Während der Ebola-Epidemie im Osten der Demokratischen Republik Kongo war das ein reales Problem. Prediger haben in Kirchen Verschwörungsmythen verbreitet und deren Anhänger haben daraufhin nicht mehr an die Empfehlungen von Medizinern geglaubt.

Das klingt so, als wären Sie nicht besonders überrascht, dass diese Mythen auch bei uns in den letzten Monaten Anhänger gefunden haben.

Zur Teilnahme an den sogenannten "Corona-Demos" haben auch sehr viele altbekannte Influencer aus einer ganz bestimmten Szene aufgerufen. Und das Milieu, das sich dort hat mobilisieren lassen, war in Teilen vorher schon offen für Verschwörungsnarrative.

Es gab in Deutschland – im Vergleich zu anderen Ländern – schon immer eine große Szene, die beispielsweise Impfungen skeptisch bis ablehnend gegenüber stand. Dort haben Verschwörungsmythen immer schon eine große Rolle gespielt. Und es gab schon lange Berührungspunkte zwischen dem verschwörungsideologischen Milieu und esoterischen und rechtsextremen Zirkeln.

Was mich überrascht hat war, dass das Phänomen in der Politik und in den Medien als etwas Neues wahrgenommen wurde. Dabei sind die Zusammenhänge schon lange bekannt.

Was an den Influencern der Szene sofort auffällt: Es sind fast ausschließlich Männer. Warum?

Es gibt Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass Männer etwas anfälliger sind für den Glauben an Verschwörungsmythen. Der Zusammenhang ist aber nicht wirklich stark. Grundsätzlich ist es so, dass wir in der rechtsextremen Szene generell einen starken Männer-Überhang haben. Das ist auch beispielsweise bei Gruppierungen der Identitären Bewegungen immer so gewesen, wo Verschwörungsmythen eine immense Rolle spielen. Oder in der Reichsbürger-Szene.

Ansonsten kann man nur mutmaßen, inwiefern gewisse gesellschaftliche Rollenbilder da eine Rolle spielen, wenn es beispielsweise darum geht, in der Öffentlichkeit zu stehen.

Warum wird die Gesellschaft erst jetzt in der Krisenzeit darauf aufmerksam, dass es da offenbar schon viel ältere und viel tiefer liegende Strukturen gibt?

Der Glaube an Verschwörungsmythen war lange Zeit ein Tabuthema. Darüber hat man nicht diskutiert. Viele Menschen wissen noch nicht einmal, dass es Beratungsstellen für Betroffene gibt, an die sie sich wenden können.

Ich denke aber auch, dass die derzeitige Debatte eine Chance ist, die wir jetzt nutzen müssen. Damit wir das Thema endlich aus der Tabu-Ecke rausholen. Damit klar ist: Das ist ein Phänomen, das geht quer durch die Gesellschaft. Das kann in den besten Familien passieren. Und nur weil jemand "Professor Doktor" ist, heißt das nicht, dass er nicht plötzlich in einer Krisensituation an Verschwörungsmythen glauben kann. Vor allem muss deutlich werden: Verschwörungsmythen sind keineswegs harmlos.

Welchen Informationen im Zusammenhang mit der Pandemie schenken Sie mehr Vertrauen als anderen?

Bei neuen Erkenntnissen zur Pandemie versuche ich herauszufinden: "Was sagen die einschlägigen Experten dazu?" Ich bin keine Virologin. Ich kann bei medizinischen Studien nicht einschätzen, ob etwa ein Versuchsaufbau gut ist oder nicht. Aber es gibt eben Experten, die in diesem Feld eine jahrelange Expertise und auch wissenschaftliches Renommee haben. In Zeiten der Pandemie kommen wir nicht drum herum, uns auf Experten zu verlassen.

Ich denke, das ist auch für manche Menschen schwer zu akzeptieren. Man kann sich da schnell ausgeliefert fühlen. Und dann geht es auch viel um Vertrauen. Ich denke, das ist auch unter anderem das Gefährliche an Verschwörungsmythen, dass sie gezielt darauf abzielen, unser Vertrauen in wissenschaftliche Institutionen zu zerstören.

Was kann man, tun, wenn man es im eigenen Umfeld plötzlich mit Verschwörungsmythen zu tun bekommt?

Wenn das jemand ist, zu dem ich eine persönliche Beziehung habe, habe ich viel größere Chancen etwas zu erreichen, als bei irgendeiner mir fremden Person im Internet. Egal, wie man reagiert, das Wichtigste ist, dass man überhaupt reagiert. Dass man zumindest sagt: "Nein, ich bin nicht einverstanden mit dem, was du sagst". Selbst, wenn man sich keine inhaltliche Debatte zutraut oder vielleicht auch gerade keine Energie oder Kraft dafür aufbringen kann. Aber gerade wenn beispielsweise im Gruppen- oder Familienchats so etwas verteilt wird, sollte man zumindest auch ein Signal an die anderen Mitleser aussenden.

Wenn man jemanden wirklich überzeugen will, dann sollte man ein Gespräch unter vier Augen führen. Denn da hat der andere auch den Raum, einen Irrtum ohne öffentlichen Gesichtsverlust eingestehen zu können. In einem solchen Gespräch können dann auch Faktenchecks hilfreich sein.

Aber wenn Menschen schon so weit radikalisiert sind, dass sie beispielsweise von einer großen Presseverschwörung ausgehen oder von einer großen Wissenschaftsverschwörung, dann wird es schwierig. Dann akzeptieren Verschwörungsgläubige nämlich auch Studie und Faktenchecks nicht mehr, weil sie eben glauben, das sei alles Teil der Verschwörung. Bei solchen Fällen kommt man dann eher mit Fragen weiter, die den anderen dazu anregen, seine Annahmen selbst zu hinterfragen. Bei Antisemitismus und Rassismus sollte man auch immer eine rote Linie ziehen. 

Meine ganz persönliche Strategie ist recht einfach umzusetzen: Man kann einfach auch mal fragen: "Wie geht es dir gerade?" Ein Gefühl von Kontrollverlust kann schließlich ein möglicher Auslöser dafür sein kann, warum Menschen sich in eine Fantasiewelt flüchten. Es kann sein, dass es tiefer liegende Probleme im Privaten gibt. Und wenn man das erstmal gemeinsam angeht und die Verschwörungsmythen zunächst beiseite schiebt, dann kann es sein, dass das am Ende viel zielführender ist.

Zur Person

Katharina Nocun ist Digitalexpertin und Autorin. In ihrer Arbeit setzt sie sich mit dem Spannungsfeld Digitalisierung und Demokratie auseinander. In ihrem Blog kattascha.de und ihrem Podcast "Denkangebot" beleuchtet sie die Auswirkungen neuer Technologien für die Gesellschaft. Ihr erstes Buch "Die Daten, die ich rief" erschien 2018.

2020 folgte (gemeinsam mit Pia Lamberty) "Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen." Darin beschreibt sie, wie sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft durch Verschwörungen radikalisieren und die Demokratie als Ganzes ablehnen, welche Rolle neue Medien in diesem Prozess spielen und wie schnell jeder von uns zu einem so genannten Verschwörungstheoretiker werden kann.

Katharina Nocun wird am Freitag beim Zündfunk Netzkongress sein.


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