Chatnachrichten an BILD Mathias Döpfner und die Neutralität
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Ausgerechnet Mathias Döpfner – der anderen nur zu gern vorwirft, nicht neutral zu berichten – weist die BILD-Redaktion an, die FDP zu pushen. Ein Kommentar von Simon Sahner.
Nach der Veröffentlichung der Chatnachrichten des Springer-CEOs Mathias Döpfner waren viele zurecht irritiert angesichts der herabwürdigenden Aussagen über Ostdeutsche und Muslime. Einige Nachrichten sind jedoch in journalistischer Hinsicht besonders bemerkenswert. Döpfner hatte Journalist*innen seines Medienimperiums angewiesen, die FDP im Wahlkampf hochzuschreiben und so auf eine schwarz-gelbe Regierungskoalition hinzuwirken. Ausgerechnet der Springer-Konzern, aus dem am lautesten Vorwürfe wegen fehlender Neutralität vor allem beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu hören sind, ist offensichtlich selbst nicht neutral. Das ist jedoch nicht verwunderlich und außerdem sollte es um etwas anderes gehen.
Journalismus ist nie neutral
Es ist auch keine neue Erkenntnis, dass oft diejenigen, die journalistische Neutralität einfordern, selbst von sauberem Journalismus an sich nicht sehr viel halten. Der Vorwurf, gerade aus rechtspopulistischer Perspektive, gegen Teile der deutschen Presselandschaft, eben insbesondere gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, nicht neutral zu sein, ist derzeit auch deshalb so beliebt, weil niemand so genau erklären muss, was mit Neutralität eigentlich gemeint ist. Es erscheint irgendwie sofort naheliegend, dass die Presse neutral zu sein hat. Die Absolutheit dieses Begriffs ist sowohl seine Stärke als auch seine Schwäche. Stärke, weil Neutralität kein Spektrum kennt und daher klar in seiner Bedeutung ist. Schwäche, weil es diese Absolutheit unmöglich macht, diesen Standard zu erreichen.
Lautstark die Neutralität der Presse einzufordern, ist in erster Linie eine Möglichkeit, sich scheinbar auf der Seite der Rechtschaffenen zu positionieren. Dabei wird niemand, wahrscheinlich nicht einmal Döpfner selbst, ernsthaft behaupten, die Berichterstattung der BILD und auch in großen Teilen des restlichen Springer-Konzerns an sich sei neutral. Auch in anderen Fällen ist bekannt, in welche gesellschaftspolitische Richtung ein Pressemedium tendiert. Das ist auch in Ordnung so. Wer Neutralität fordert, will meistens nicht über journalistische Standards sprechen, die vielleicht sogar relevanter sind. Nicht neutral zu sein ist vielmehr ein Grundzustand der Presse. Wenn es nicht so wäre, könnte man wahllos journalistische Websites aufrufen und ohne Hinzuschauen ins Regal an der Supermarktkasse greifen.
Unabhängigkeit ist entscheidend
Ich hoffe, dass Journalist*innen Meinungen haben und ihre Arbeit durch diese Meinungen geleitet wird. Wenn Neutralität bedeutet, dass menschenverachtende Aussagen und unwissenschaftliche Behauptungen ebenso viel Raum bekommen wie andere, dann bin ich gegen journalistische Neutralität. Neutralität ist aber auch gar nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, dass Journalist*innen frei und ohne Einfluss aus Politik und Wirtschaft arbeiten können, dass sie sich am Grundgesetz orientieren, das heißt die Würde des Menschen achten, dass sie ausgewogen berichten, also allen Seiten harte Fragen stellen und sie im Zweifel kritisieren. Entscheidend ist, dass auch Meinungen faktenbasiert sind und fair geäußert werden, dass transparent gemacht wird, wie Presseorgane arbeiten und wie sie finanziert werden. Entscheidend ist, dass im Journalismus niemand so viel Macht hat, dass er andere unter Druck setzen oder von sich abhängig machen kann. Wenn all das gegeben ist, dürfen Journalist*innen auch gerne nicht neutral sein.
Die Nachrichten von Döpfner erzeugen keinen Skandal, weil sie fehlende Neutralität offenbaren, sondern weil sie zeigen, dass in einem der mächtigsten Medienkonzerne der Welt ein Milliardär mit rassistischen Meinungen das Sagen hat, dass dort Journalist*innen nicht frei arbeiten können, weil sie von oberster Ebene dazu gedrängt werden, unausgewogen zu berichten, und sich nicht zum ersten Mal zeigt, dass bei Springer intransparente Machtstrukturen herrschen, in die auch Politiker*innen und Wirtschaftsleute eingebunden sind. Das sind Zustände, die dazu führen, dass der Konzern und sein CEO Einfluss in einer Form nehmen wollen und können, die für eine demokratische Presselandschaft ein Skandal ist. Das hat aber wenig mit fehlender Neutralität zu tun. Um zu wissen, dass die BILD nicht neutral ist, muss niemand Chatnachrichten von Döpfner lesen, dazu reicht ein Blick auf die tägliche Titelschlagzeile.