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Hollywood im Isartal Wie der Western nach Bayern kam

Lag München einst am Rio Grande? Vor gut hundert Jahren boomte der sogenannte Isar-Western. Das Voralpenland wurde beim Dreh zum Wilden Westen, die Oberlandbahn zum Pacific Express. Ein kurioses Stück bayerische Filmgeschichte.

Author: Friedemann Beyer

Published at: 2-4-2022 8:05 AM | Archiv

Die Isar bei Grünwald, ein sonniger Tag im Frühsommer 1918, perfekt für einen Sonntagsspaziergang. Plötzlich peitschen Gewehrschüsse. Ein Mann mit Cowboyhut und Waffe in der Hand bricht aus dem Gebüsch. Rufe schallen, man hört Pferdegetrappel. Ein Reiter kommt den Weg entlang galoppiert, mit nacktem Oberkörper und Federschmuck in den langen schwarzen Haaren, das Gesicht mit dunkler Farbe beschmiert. Schüsse, ein Cowboy und ein – Indianer? Geschockte Anwohner alarmieren die Polizei.

"Die Leute, die da g‘wohnt haben, haben gar nicht richtig mitbekommen, was da eigentlich los ist, und haben vorsichtshalber die Polizei geholt. Manchmal gab’s sogar Verhaftungen und ähnliches, weil da irgendwelche seltsam verkleideten Leute durch die Wälder geschlichen sind und die Anwohner nicht wussten, was da überhaupt dahintersteckt."

(Hermann Wilhelm, Heimatforscher)

Was da dahinter steckt, sind die Dreharbeiten zu einem Film, genauer: zu einem Western. Der Wilde Westen, südlich von München, im Kriegsjahr 1918 – wie kann das sein?

Nach dem Ersten Weltkrieg fehlen die Filme aus Hollywood

Broncho Billy, Gilbert Anderson (Filmplakat, ca. 1915)

Frühjahr 1918: Der erste Weltkrieg geht in seine entscheidende Phase. Seit die USA ein Jahr zuvor in den Krieg eingetreten sind, taumeln das deutsche Kaiserreich und seine Verbündeten der Niederlage entgegen. Die deutschen Städte blieben bislang verschont, so auch München. Doch die USA haben ein Wirtschaftsembargo verhängt.

Plötzlich mangelt es an vielem, Lebensmittel, Gebrauchsgüter und Rohstoffe, wie Baumwolle zum Beispiel. Und es mangelt an einem Stoff, den vor allem junge Leute schmerzlich vermissen: Kinofilme aus Hollywood. Schon zu dieser Zeit sind vor allem Western populär, mit Serienhelden wie Broncho Billy und Tom Mix. Sie fehlen nun.

Junge bayerische Regisseure beginnen Western zu drehen

Standfoto aus dem Film "Die Rache im Goldtal" | Bild: Archiv Brandlmeier

Bild von den Dreharbeiten zu "Die Rache im Goldtal"

In dieser Situation wittern junge bayerische Regisseure ihre Chance und drehen südlich von München einige Dutzend Filme. Die Isar-Western tragen Titel wie „Der Schwarze Jack“, „Der Cowboy-Milliardär“ oder „Die Rache im Goldtal“ und laufen erfolgreich in bayerischen Kinos, einige auch nördlich der Mainlinie.

Heute, ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung, ist der Großteil der Filme verschollen. Geblieben sind Standfotos, die am Filmset aufgenommen wurden, Inhaltsangaben der Filme, Drehberichte, Zensurbescheide und Kritiken. Genug, um einen genaueren Blick auf ein kurioses Kapitel Filmgeschichte werfen zu können, das sogar bis in die Gegenwart reicht.

In seiner Spurensuche trifft Friedemann Beyer nicht nur Heimatforscher und Filmhistoriker, sondern auch Kinoschaffende, die bis heute an die Tradition der Isar-Western anknüpfen.


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