Bayern 2

     

Holger Kiesel wechselt ins Sozialministerium "Etwas bewegen für Menschen mit Behinderung"

Holger Kiesel, der bisher als freier Mitarbeiter bei Bayern 2 arbeitete, soll neuer Behindertenbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung werden. Er folgt damit auf Irmgard Badura, deren Amtszeit am 31. Oktober 2018 zu Ende ging. Die Amtseinführung ihres Nachfolgers ist noch für Januar geplant. Wir haben kurz zuvor mit Holger Kiesel gesprochen.

Von: Beate Guhl

Stand: 10.01.2019

Holger Kiesel | Bild: BR / Beate Guhl

BR: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Aufgabe als Behindertenvertreter der Bayerischen Staatsregierung!

Holger Kiesel: Vielen Dank. Es ist für mich sehr aufregend und ich freue mich auch schon sehr darauf.

Wie ist es denn dazu gekommen, dass Sie dieses Amt übernehmen? Und was war der ausschlaggebende Faktor für die Entscheidung?

Ich habe mich ganz normal in einem öffentlichen Verfahren um die Stelle beworben. Das Procedere war so, dass ich zunächst eine schriftliche Bewerbung abgegeben habe, dann nach längerer Wartezeit zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde mit einem Abteilungsleiter aus dem Sozialministerium, mehreren Kollegen aus dem Ministerium und dem Schwerbehindertenvertreter. Dann gab es Anfang November noch einmal ein persönliches Gespräch mit der Sozialministerin. Und am 18. Dezember habe ich schließlich den Anruf bekommen, dass ich den Job bekommen habe.

Was hat sie daran gereizt, sich für diese Stelle zu bewerben?

Gereizt hat mich vor allen Dingen, dass das eine Stelle ist, bei der man, wenn man es richtig anfängt, sehr viel bewegen kann für die Menschen mit Behinderung in Bayern, und zwar auf einer anderen Ebene als ich das bislang als Journalist konnte. Als Journalist kann ich viel dokumentieren, viel berichten, aber da kann ich hoffentlich aktiv politisch mehr verändern.

Ist das Amt ein bezahlter Full-Time-Job oder ist es ein Ehrenamt, bei dem Sie weiterhin auch beim BR arbeiten?

Nein, das ist eine richtige Geschäftsstelle, die aus sechs Mitarbeitern und mir als Beauftragtem besteht.

Ist die Aufgabe zeitlich begrenzt, an eine Legislaturperiode gekoppelt?

Die Aufgabe ist an die Legislaturperiode gekoppelt, allerdings mit der Möglichkeit zur Wiederberufung.

Wie sieht die Situation für Menschen mit Behinderung hierzulande generell aus – was sind Ihre Themen?

Es gibt natürlich immer ein paar große Themenfelder, die permanent beackert werden müssen und an denen man immer dranbleiben muss. Denn es gibt keinen Stand, der für immer gesichert ist, sondern darum muss immer weiter gekämpft werden. Ein ganz großes und umfangreiches Thema ist die Barrierefreiheit. Das fängt an bei so simplen Geschichten wie der barrierefreien Gestaltung von öffentlichen Gebäuden. Aber dann gibt es ja auch eine Zwischenzone von privaten Gebäuden, die zwar keinen öffentlichen Besitzer haben, aber doch öffentlich sind, zum Beispiel Lokale oder Einkaufsmöglichkeiten. Auch sie könnten noch barrierefreier gestaltet werden. Und dann wäre es wichtig, bei privaten Bauträgern das Bewusstsein zu schärfen, was denn noch alles gebraucht wird.

Aber diese baulichen Faktoren sind natürlich beim Thema Barrierefreiheit nur ein Aspekt, denn wir haben auch noch die Bedürfnisse der blinden Menschen, der gehörlosen Menschen. Da geht es dann zum Beispiel um die Installation von sogenannten Induktionsanlagen in öffentlichen Gebäuden, damit schwerhörige Menschen Vorträgen besser folgen können. Es geht um die Barrierefreiheit im Internet: Wie müssen Internetseiten gestaltet sein, dass sie möglichst für alle verschiedenen Behinderungsarten gut zugänglich sind? Also sprich: Untertitel bei Videos, für Menschen, die nichts hören oder Audios für Blinde und Sehbehinderte.

Wie groß werden Ihre Einflussmöglichkeiten in solchen Fragen sein? Werden Sie vorwiegend beraten und Empfehlungen aussprechen oder werden sie konkret beim Gesetzgebungsprozess mitwirken können?

Beides. Ich kann sowohl Empfehlungen aussprechen im direkten Kontakt mit den Menschen mit Behinderung, mir ihre Sorgen anhören. Ich kann klarmachen, wo es Bedürfnisse gibt, die noch besser berücksichtigt werden müssen und die verschiedenen Ministerien darauf hinweisen - übrigens nicht nur das Sozialministerium. Meine Aufgabe ist es, in Bezug auf Menschen mit Behinderung mit allen Ministerien zusammenzuarbeiten. Denn es gibt ja auch Fragen, die primär andere Ministerien berühren.

Zum Beispiel die Inklusion in der Schule fällt hauptsächlich ins Kultusministerium oder die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung ist beim Gesundheitsministerium angesiedelt. Tatsächlich gehört es aber auch zu meinen Hauptaufgaben, an allen Gesetzesvorhaben, die das Thema Behinderung in irgendeiner Form betreffen oder berühren, aktiv mitzuarbeiten und dafür zu sorgen, dass die Interessen der Menschen mit Behinderung angemessen berücksichtigt werden.

Was ist Ihr Herzensanliegen in Ihrem neuen Job? Was ist Ihnen persönlich am wichtigsten? Wo wollen Sie Schwerpunkte setzen?

Mir sind aus persönlicher Erfahrung heraus zwei Themen ganz besonders wichtig. Das eine ist das Thema Arbeit. Ich kann mich noch gut erinnern: Als ich eingestiegen bin in den Beruf, war meine größte Angst, den ersten Arbeitsmarkt irgendwann wieder verlassen zu müssen und im sogenannten "zweiten" oder geschützten Arbeitsmarkt zu landen in irgendeiner Werkstätte oder dergleichen. Das war für mich eine Horrorvorstellung und ich glaube, dass es viel mehr Menschen als bisher möglich wäre, einen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Es geht ja auch darum, dass Potenziale nicht genutzt werden, die da sind und die der Gesellschaft nützen würden.

2012 am BR-Sternstunden-Telefon

Und das zweite Thema ist das Thema Wohnen. Ich selber habe mein Leben lang eigenständig gewohnt. Ich habe aber viele Freunde, die in Gemeinschaftseinrichtungen wohnen. Mich persönlich bedrückt es immer etwas, dass so viele Menschen mit Behinderung auf so engem Raum unter sich bleiben müssen, dass sie nicht mit Menschen ohne Behinderung zusammenwohnen und -leben dürfen. Gerade in solchen großen Einrichtungen wäre es ja schön, auch Menschen ohne Behinderung unterzubringen, denn da gäbe es viele Möglichkeiten sich zu begegnen und Inklusion zu ermöglichen, ohne dass man dafür großen Aufwand betreiben müsste.

Wie würden Sie die Situation für Menschen mit Behinderung beim BR einschätzen? Wird hier genug getan für sie?

Das Thema Barrierefreiheit ist sicher noch ausbaufähig beim BR. Es ist im Großen und Ganzen ganz gut gelöst, aber es geht noch einiges mehr. Zum Beispiel ist für mich als Rollstuhlfahrer zu erkennen, dass die Wege, die man gehen muss, um irgendwo barrierefrei hinzukommen, in der Regel länger sind als für die Fußgänger. Was die Aufnahmebereitschaft und das Klima und die Offenheit von Kollegen für Menschen mit Behinderung betrifft, sind wir aber schon sehr gut aufgestellt.

Es ist eine tolle Chance, diese einflussreiche politische Funktion übernehmen und die Lebensumstände von Menschen mit Behinderung in Bayern damit mitgestalten zu können. Aber Sie sind auch mit Leib und Seele Journalist und schon viele Jahre beim BR. Trauern Sie dem Journalismus nicht ein bisschen nach?

Ich werde versuchen, meine Trauer dadurch klein zu halten, dass ich meine Kernkompetenz als Journalist möglichst weit versuche, in den neuen Job mit einzubringen, einfach das zu machen, was ich am besten kann: Öffentlichkeit zu generieren, auf der Bühne für Themen und für Anliegen zu werben, Gespräche zu moderieren – all diese Dinge kann man auch gut in den neuen Job mit einbringen und das werde ich versuchen.

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