Was passiert beim Hirntod? Wenn unsere Schaltzentrale abschaltet
Der Tod wird anhand sicherer Todeszeichen festgestellt. Neben der Totenstarre oder Leichenflecken gehört dazu auch der irreversible Ausfall der Hirnfunktionen. Ein Uniklinikum, halb zwölf Uhr nachts. Das Wummern eines Hubschraubers nähert sich, wird immer lauter. Kurze Zeit später bringen die Rettungskräfte einen schwerverletzten Autofahrer auf die Notaufnahme. Schon auf dem Weg in die Klinik haben sie ihm eine Narkose gegeben und einen Schlauch in die Luftröhre geschoben, zur künstlichen Beatmung.

Auf dem Notfall stellen die diensthabenden Chirurgen fest, dass der Patient ein schweres Schädel-Hirn-Trauma hat, mit mehreren Brüchen und einer Blutung im Kopf. In einer Notoperation öffnen sie den Schädel und stillen die Blutung. Der Patient kommt nach der OP auf die Intensivstation, wo er weiter im Koma liegt und künstlich beatmet wird. Vier Tage später dann die ernüchternde Botschaft: Der Druck im Schädel ist trotz Notoperation so groß geworden, dass das Hirn des Patienten hat nicht mehr arbeitet.
Irreversibler Ausfall der Hirnfunktionen
Es sind Situationen wie diese, zu denen Neurologen wie Dr. Stefanie Förderreuther von der Neurologischen Klinik der LMU München immer wieder gerufen werden. Ihre Aufgabe ist es, den Hirntod des Patienten festzustellen. Förderreuther verwendet dafür lieber den Begriff "irreversibler Ausfall der Hirnfunktionen".
"Man möchte damit vermeiden, dass der Eindruck entsteht, es gebe verschiedene Arten von Tod: Herztod, Hirntod, Erstickungstod... Ich meine: Es gibt nur einen Tod. Der beschreibende Begriff des 'Irreversiblen Ausfalls der Hirnfunktionen' bedeutet, dass das Hirn nicht mehr arbeitet und sich auch nicht mehr erholt."
PD Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologischer Konsiliardienst, Klinik LMU München
Die elementaren Hirnfunktionen erlöschen
Das heißt: Die Gesamtfunktion des Gehirns kommt dauerhaft zum Erliegen – also die von Großhirn, Kleinhirn, Zwischenhirn und Hirnstamm, dem entwicklungsgeschichtlich ältesten Teils unseres Hirns. Dort sitzen viele Regulationszentren wie das Atemzentrum oder die Schaltstelle zur Regulation der Körpertemperatur. Diese elementaren Funktionen erlöschen mit dem irreversiblen Gehirnfunktionsausfall dauerhaft – der Mensch kann sich davon nicht mehr erholen.
Verschiedene Gründe
"Letztendlich können sehr viele unterschiedliche Schädigungen des Gehirns dazu führen. Entweder es sind Schädigungen, die sich direkt am Gehirn abspielen, zum Beispiel durch ein schweres Schädelhirntrauma oder durch Hirnblutungen. Oder es sind Schädigungen, die das Gehirn indirekt betreffen, etwa bei Patienten, die im Rahmen eines Herzinfarkts einen Herzstillstand und im Rahmen dessen einen Sauerstoffmangel im Gehirn erleiden."
PD Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologischer Konsiliardienst, Klinik LMU München
Hirn-Nervenzellen sind besonders empfindlich
Selbst wenn den Ärzten bei einem Herzstillstand eine Wiederbelebung des Patienten gelingt und der Blutkreislauf wieder in Gang kommt, kann das Gehirn durch den vorübergehenden Sauerstoffmangel so schwer geschädigt worden sein, dass die Hirnfunktionen in der Folge nach und nach erlöschen. Die Hirn-Nervenzellen sind nämlich wesentlich empfindlicher als etwa die Herzmuskelzellen und halten es nur wenige Minuten ohne Sauerstoff aus. Bereits dann kommen die ersten Stoffwechselvorgänge zum Erliegen, und die Zellmembranen, also die Außenwände, bekommen kleine Lecks. Es kann Flüssigkeit in die Hirn-Nervenzellen eindringen, die dadurch dicker wird.
"Jede Form von Hirnschädigung läuft so ab, dass die Zellen zunächst anschwellen. So wie das Knie dick wird, wenn man es sich anhaut, so werden auch die Hirnnervenzellen dick. Es entwickelt sich ein sogenanntes Hirnödem. Und da das Gehirn im Schädelinneren liegt und durchweg von Knochen umgeben ist, führt das zu einem Druckanstieg. Die maximale Schwellung ist oft nach vier bis fünf Tagen zu beobachten. Wenn man durch die Therapie den erhöhten Hirndruck nicht in den Griff bekommt, werden die Hirnnervenzellen zunehmend schlechter durchblutet. Es kann letztendlich soweit kommen, dass der Druck im Schädelinneren höher wird als der mittlere Blutdruck."
PD Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologischer Konsiliardienst, Klinik LMU München
Das Herz kann dann noch so sehr pumpen – es kommt gegen den Druck im Gehirn nicht an. Das Hirn wird also nicht mehr durchblutet, und die Nervenzellen sterben ab. Schon nach zehn Minuten ohne Durchblutung ist davon auszugehen, dass sie sich nicht mehr erholen. Und im Gegensatz zu anderen Organen wie etwa der Leber hat das Hirn nicht die Fähigkeit, sich zu regenerieren. Deshalb erlischt die Hirnfunktion mit dem Absterben der Nervenzellen dauerhaft.
"Es ist so, dass sich der Ausfall der Hirnfunktionen in der Regel über Tage entwickelt. Auch innerhalb des Gehirngewebes gibt es Regionen, die empfindlicher auf Schädigungen reagieren und solche, die weniger empfindlich sind. Die Natur hat es sinnvollerweise so gemacht, dass die ganz essentiellen Hirnfunktionen am wenigsten empfindlich sind. Sie fallen deswegen auch zuletzt aus. Das heißt, wir sehen Patienten, die sind im tiefen Koma und können nur noch sehr eingeschränkt reagieren. Es sind aber noch gewisse Reflexe erhalten. Aber im Verlauf der Erkrankung gehen durch den zunehmend steigenden Hirndruck auch die letzten Reflexe nach und nach verloren."
PD Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologischer Konsiliardienst, Klinik LMU München