Bayern 2

     

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Himmelsgaben Wachskerzen, Wachsfiguren, Votivbilder

Wachskerzen haben zu Advent und Weihnachten Hochkonjunktur. Sie galten jahrtausendelang als die edelsten Lichtspender überhaupt. Wir machen uns auf die Spuren jahrhundertealter Kerzenkultur in Bayern.

Von: Sarah Khosh-Amoz

Stand: 24.11.2021 | Archiv

Hans Hipp ist gelernter Lebzelter. Zwischen Honig und Wachs ist er aufgewachsen; die alte Handwerkstradition des Kerzenziehens und des Verarbeitens von Votivgaben, hat er bereits in frühester Jugend von seinem Vater gelernt.

"Die alte Zunftordnung prägt heute noch unser Geschäft. 1584 wurde festgeschrieben, dass nur der Lebzelter Honig und Wachs unter einem Dach verarbeitet."

Hans Hipp, Wachszieher und Lebzelter Pfaffenhofen

Hans Hipp

Um sich Meister nennen zu dürfen, mussten die Lebzelter aus harten und besonders feinfaserigen Obsthölzern kunstvolle Model, also Reliefs oder zweiteilige Hohlformen stechen können - flammende Herzen, rote Augenpaare, Rosenkränze und betende Hände, die wächsernen Figuren, die die Bittsteller verkörpern sollten. Solche einst kostbaren Votivgaben in den Kirchen sind Geschichte. Aber Hipp hat in seiner heutigen Konditorei ein Lebzelter- und Wachsziehereimuseum eingerichtet, wo er seine Schätze zeigt: Holzformen und große Gerätschaften zum Kerzenziehen. Jahrhundertealte Wachsfiguren, Fatschenkinder, die man wegen der hohen Kindersterblichkeit opferte, oft auch die rechte Hand oder das linke Bein, um dem Heiligen die schmerzende Stelle bildlich zeigen zu können.

"So lange wir Aufzeichnungen von Menschen haben, wissen wir, egal in welchem Kulturkreis, welcher Religion, dass hilfsbedürftige Leute als erstes in Kontakt mit himmlischen Kräften gegangen sind, als erstes. Wenn jemand sehr in Not ist und kommt zu mir in Laden und kauft eine große Kerze und opfert die in der Kirche, dann ist das ein Überbleibsel aus dieser Zeit."

Hans Hipp, Wachszieher und Lebzelter Pfaffenhofen

Wachszieherei Fürst

Ein Überbleibsel im Hipp-Haus und längst zu Museumsexponaten geworden sind die zwei Zugräder fürs Kerzenziehen. Die Räder stehen still. Das Kerzenziehen ist für Hans Hipp schon lange unrentabel geworden, doch es gibt sie noch: Wachszieher, die ihr Handwerk tagtäglich ausüben: Franz Fürst aus München: Er zieht Kerzen, in fünfter Generation. Wo die Konkurrenz 200 Tonnen am Tag verarbeitet, sind es in der kleinen Werkstatt in Sendling 15 pro Jahr.

"Des flüssige Wachs wird hier in einem beheizten Vorratsbehälter dann aufbewahrt, dass man es dann zur Verfügung hat und kommt dann hier in die Zugmaschine rein. Die Zugmaschine muss ich jetzt den Hörern wahrscheinlich beschreiben: Das sind zwei große Trommeln, um die der Docht gespannt wird. Dazwischen ist eine Wachswanne, die ist auch beheizt, in der befindet sich flüssiges Wachs. Da werd mittels Dochtgabeln der Docht unter das Wachs gedrückt und wenn die Maschine läuft, dann werd der Docht praktisch durch das Wachs gezogen. Man sieht’s, wenn man von unten jetzt so eine durchgeschnittene Kerze anschaut, dann sieht man, dass das lauter kleine Schichten sind und zwischen diesen Schichten sind Lufteinschlüsse drinnen. Das ist eigentlich das Geheimnis der gezogenen Kerze, weil diese Lufteinschlüsse, die isolieren die Wärme von der Flamme zum Rand der Kerze. Dadurch wird die Brennschale, die setzt sich dann nach unten in der Kerze fort, die Kerze leuchtet in sich stärker und ist dadurch eben auch und ist dadurch auch tropfsicherer, weil sie eben nicht zum Ablaufen neigt, weil das will man eigentlich nicht, dass eine Kerze tropft."

Franz Fürst, Wachszieher am Dom, München

Mariahilf-Altar im Alten Peter

Seit 1862, in der fünften Generation werden bei den Fürsts Kerzen gezogen. Er erzählt von seiner Kindheit, die Werkstatt ein großer Abenteuerspielplatz für ihn und seinen Bruder, doch mittlerweile herrscht dort schon lange kein Trubel mehr. Der 58-Jährige geht alleine ein und aus, er ist der letzte seiner Art, eine Bürde oder Ehre? Nur gute fünf Minuten Fußweg von Franz Fürsts Kerzenladen am Dom entfernt befindet sich hinter dem Marienplatz die älteste und traditionsreichste Pfarrei Münchens, St. Peter. Kerzen gibt’s hier überall - selbstverständlich auch beim Bild des Hl. Blasius: Mit den gekreuzten Kerzen in der Hand ist er einer der wenigen Heiligen, die mit Kerzen dargestellt werden.

"Für den Blasius-Segen kommen die Leute in großen Scharen in die Kirche, das ist einfach katholisch gelebtes Brauchtum. So sieht man das, dass das doch noch sehr verwurzelt ist, wie manche Dinge eben nicht mehr. Aber dieses Empfangen des Blasius-Segens und des Aschekreuzes, das ist doch noch sehr sehr beliebt, bei Alt und Jung."

Peter Zobel, Mesner St. Peter München

Das Wachs der Bienen ist eng mit der Liturgie der Kirche verbunden. Eine noch viel größere Rolle hat es in der Volksfrömmigkeit und im Brauchtum gespielt. Hans Hipp etwa hat über zehntausend Einträge in den Mirakelbüchern der Wallfahrtskuratie Niederscheyern gelesen. Nachrichten aus einer vergangenen Welt.

"Ein gewisses armes weib hatte 2 offene schadthafte Füess, verlobt sich hierher mit eine[m] gewissen gebet, worauf die füess von sich selbst ohne anderes mittl zu gebrauchen gehayllt, und wiederum besser worden."

Mirakelbucheintrag aus dem Jahr 1746

Kloster Scheyern

Von menschlicher Hilfebedürftigkeit, von persönlichen Wundererfahrungen, von Hoffnungen, die sich wider aller Erwartungen erfüllt haben, davon erzählen die wächsernen Votivgaben. Wenn Heilkundige die Kranken aufgegeben hatten, blieb ihnen oft nur das Beten und der starke Glaube daran, dass ihre Bitten von einer himmlischen Macht auch erhört wurden. Überhaupt: Wachs und Gefühle sind eins:

"Für viele Menschen sind so Symbolhandlungen auch Handlungen geworden, wenn ihnen die eigenen Worte fehlen, aufgrund der großen Not oder der eigenen Sprachlosigkeit oder Betroffenheit, vielleicht auch weil man es nicht mehr geübt hat irgendwo ins Gespräch zu kommen mit der anderen Wirklichkeit, mit Gott. Und da helfen natürlich diese Symbole, wie ein Kerzerl anzünden ganz groß weiter. Und ob das die Kerze ist, ob das das Kreuz ist, ob das ein bestimmter Ort ist, ob das eine bestimmte Haltung, Körperhaltung, Gebetshaltung ist, es braucht auch diese äußere Form, um das Innere letztlich irgendwo zum Ausdruck bringen zu können."

Pater Lukas Wirth (OSB), Cellerar, Abtei Scheyern


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