Bayern 2


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Beispiele aus zwei Jahrhunderten vom Starnberger See Häuser erzählen Lebensgeschichten

Was ist wichtig beim Wohnen? Unser Feature zeigt anhand der Geschichte der Baumeisterfamilie Knittl aus Tutzing, wie sich das Bauhandwerk vom 19. Jahrhundert bis heute verändert hat. Was man wann, für wen und wie gebaut hat.

Von: Christine Gaupp

Stand: 21.07.2023 | Archiv

Die Geschichte der Baumeisterfamilie Knittl beginnt 1864: Herzog Ludwig in Bayern, Sohn von Herzog Max in Bayern und ältester Bruder der späteren Kaiserin Sisi, ist auf der Jagd in Tirol - in Weißenbach. Dort, wo jeder zweite Knittl heißt; übrigens auch die Geierwally - eigentlich Anna Knittl aus dem Nachbardorf. Die ist aber nicht verwandt mit dem schneidigen Maurermeister, von dessen besonderen handwerklichen Fähigkeiten der Herzog gehört hat und den der Fürst einlädt, bei Um- und Anbauten in seinem Schloss Possenhofen am Starnberger See mitzuwirken. Knittl stellt sich so geschickt an, dass er rasch zum Polier aufsteigt. Dann schaut er sich auch noch eine reiche Fischerstochter aus und hält um ihre Hand an.

"Er mußte sich beweisen vor den Eltern, weil er war ein Ausländer, ein Österreicher und da hat er gesagt - gut, ich gründe ein Baugeschäft und bau ein Haus. Und genau in dieser Zeit gab's einen großen Aufschwung, aufgrund des gewonnenen deutsch-französischen Krieges und da ging‘s dann aufwärts mit der Konjunktur."

Stefanie Knittl, Autorin des Buches über die Baumeisterfamilie Knittl

In Versailles wird das Deutsche Kaiserreich proklamiert - und auch in Tutzing ist die Zeit der Bauern und Fischer vorbei. Eben bestand der Ort gerade noch aus 40 Häusern rund ums Schloss - um die Hofmark - dann aber siedeln sich rasch immer mehr Handwerker auf Wanderschaft und Kaufleute an. Häuser schießen wie Schwammerl aus dem Boden - und der geschickte Maurermeister Knittl mittendrin. In gerade einmal fünf Jahren, von 1872 bis 1877, baut er 43 Häuser. Darunter auch sein eigenes in der Tutzinger Hauptsstraße. Der Beginn einer Baumeisterdynastie, die das bauen und Wohnen rund um den Starnberger See für Generationen geprägt hat. Die Häuser haben viel erlebt. Zum Beispiel das Haus der Dichterin Margarete Beutler in Seeheim bei Münsing:

"Das ist sie mit meinem Vater aufm Balkon - und dem mit ihnen befreundeten Christian Morgenstern - das muss so um 1910 gewesen sein - er hat versucht, die Ehe meiner Großeltern zu retten - und da sieht man sie in ein ernsthaftes Gespräch vertieft. Ich weiß, dass in späterer Zeit, wo es meiner Großmutter schlecht ging, war sie einmal in der Woche bei Pamela Wedekind zum Essen eingeladen - hier warn ja viele Künstler - bis in die heutige Zeit - denkt man an Loriot, Manfred Schmidt - Autor des Nick Knatterton."

Christian Freksa, Enkel der Dichterin Margarete Beutler

Was haben Knittl, seine Söhne und Enkel, für wen und wie gebaut? Die Palette reicht vom einfachen Handwerkerhaus über Landhäuser für Sommerfrischler, bohèmehafte Künstlerwohnsitze bis zum herrschaftlichen Gutshof. Viele der Häuser werden heute von den Nachfahren der einstigen Bauherren bewohnt, manche der heutigen Besitzer aber haben sich bewusst für - die alten Häuser entschieden:

"Als ich ankam, war das Schloss von der Eingangstür von innen mit einer dicken Eisschicht durchzogen, hab ich sehr schwer aufgekriegt. Ich hatte ne Phase, wo ich gedacht hab, mir fällt's überm Kopf zusammen. Und dann hab ich mir gedacht: da hinten wird n neues Haus gebaut; da bin ich in die Wohnung rein und dachte - nie kann ich so leben! 600 000 Euro für 60qm - nein - kann ich nicht. Dann wußt ich wieder - ich will ja gar nicht so leben!"

Beate Gross. Die Enkelin des Lageristen Konstanz Wastian bewohnt das Handwerkerhaus des Großvaters in Tutzing

"Das ist ein tolles Gefühl in so einem Haus leben zu können, das so eine Vergangenheit hat."

Stefanie Knittl, Autorin des Buches über die Baumeisterfamilie Knittl

Häuser sind eben mehr als nur "Unterkünfte", sie sind gebaute Geschichte.

"Häuser erzählen Geschichten - Die Baumeisterfamilie Knittl am Starnberger See (1872-1987)" von Stefanie Knittl ist im Apelles Verlag erschienen. ISBN-13: 978-3946375050; 39,80 €.


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