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Mehr als nur Luftholen Gesundes Atmen und Atemnot

Atmen – das geht eigentlich ganz von allein, der Mensch muss seinen Körper dazu nicht steuern. Und doch kann er die Atmung gezielt beeinflussen. Atemnot kann allerdings ganz unterschiedliche Gründe haben – und hat nur selten etwas mit Sauerstoffmangel zu tun.

Von: Veronika Wawatschek

Stand: 19.04.2022

Silhouette eines jungen Mannes, auf der graphisch seine oberen Atemwege und die Lungenflügel hervorgehoben sind. | Bild: picture-alliance/dpa

Atmen – das geht eigentlich ganz von allein, der Mensch muss seinen Körper dazu nicht steuern. Und doch kann er die Atmung gezielt beeinflussen. Atemnot kann allerdings ganz unterschiedliche Gründe haben – und hat nur selten etwas mit Sauerstoffmangel zu tun.

Experte:

Prof. Dr. med. Jürgen Behr, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik V des LMU-Universitätsklinikums München und Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin/Pneumologie an der LMU, Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Ärztlicher Direktor der Asklepios Fachkliniken München Gauting, Vorstand Stiftung AtemWeg

Etwa 50 Mal in der Minute holen Säuglinge in der Minute Luft, Erwachsene mit voll ausgebildeter Lunge nur etwa 15 Mal. Die Lunge versorgt uns durch die Atmung mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff- und gibt das Kohlendioxid ab, welches durch Zell-Stoffwechsel anfällt. Ein Prozess, den der Mensch nicht lernen muss, den er aber – anders als das Kreislaufsystem – willentlich steuern kann. Atemnot kann psychisch bedingt sein, kann aber auch sehr unterschiedliche medizinische Ursachen haben. Sie herauszufinden ist der erste Schritt für eine gelungene Therapie der Atemnot.

Dem Text liegt ein Interview mit Prof. Dr. med. Jürgen Behr zugrunde, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik V des LMU-Universitätsklinikums München und Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin/Pneumologie an der LMU, Co-Leiter des Comprehensive Pneumology Centers (CPC), Consultant Professor der Asklepios Fachkliniken München Gauting, Vorstand Stiftung AtemWeg.

Das Atmen muss der Mensch nicht lernen, es ist ein Prozess, der automatisch funktioniert. Zwei Bereiche müssen dazu ideal ineinandergreifen.

Die Lunge hat die Fähigkeit, Sauerstoff aus der Umgebungsluft ins Blut zu bringen und umgekehrt Kohlendioxid, das dort im Rahmen des Stoffwechsels der Körperzellen anfällt, wieder abzugeben. Dazu muss die Lunge durch eine "Atempumpe" bewegt werden. Diese besteht aus Brustkorb und Zwerchfell, gestützt durch die Wirbelsäule und das Brustbein.

"Das alles bildet sozusagen den Käfig für die Lunge, der für die eigentlich mechanische Atmung zuständig ist."

Prof. Dr. Jürgen Behr

Damit die Luft über die Atemexkursionen in die Lunge befördert werden kann, müssen Muskel- und Skelettapparat optimal zusammenarbeiten. Man spricht auch von der "Atempumpe". In der Lunge selbst findet dann das eigentlich relevante, der Gasaustausch, statt.

Gesunde Atmung? Eigentlich automatisch!

Normalerweise arbeiten diese beiden Bereiche hervorragend zusammen. Atmung, Lunge und Atembewegungen sind perfekt aufeinander abgestimmt. Die Atmung ist so ausgelegt, dass nur die Einatmung Energie verbraucht. Die Lunge selbst ist elastisch und im Brustkorb aufgespannt. Die Ausatmung im Ruhezustand geschieht passiv.

"Bei einem Gesunden ist auch bei stärkster körperlicher Belastung nie die Atmung der begrenzende Faktor, sondern immer der Kreislauf."

Prof. Dr. Jürgen Behr

Der Hauptatemmuskel ist das Zwerchfell. Beim Einatmen tritt das Zwerchfell tiefer, die Lunge wird gedehnt, die elastischen Kräfte werden aufgebaut, die Luft kommt in die Lunge und wenn das Zwerchfell dann erschlafft, macht die Elastizität der Lunge selbst die Ausatmung.

Richtiges Atmen? Wie und Wozu?

Tipps zum richtigen Atmen können bei Erkrankungen der Atemorgane helfen. Gesunde Menschen brauchen fürs normale Leben keine Tipps zum richtigen Atmen. Allerdings können sie die Atmung als Vehikel nutzen, um im Rahmen von Yoga oder Konzentrationsübungen bestimmte Funktionen ihres Körpers zu verbessern oder auch innere Ruhe zu finden und sich zu entspannen. Gerade in unserer heutigen stressigen Zeit können sich solche Übungen positiv auf den Körper auswirken, auf die Lunge selbst haben sie keine Auswirkungen.

"Man kann nicht sagen, dass man durch richtiges Atmen etwas an der Lunge verbessert."

Prof. Dr. Jürgen Behr

Atmen und Psyche

Die Atmung ist eine lebenswichtige Körperfunktion, die wir im Gegensatz zum Kreislauf unter willkürlicher Kontrolle haben. Die Atmung lässt sich - anders als die Herzfunktion - willkürlich steigern, abflachen, vertiefen oder anhalten. Insofern lässt sich das Atemorgan willentlich nutzen, um gewisse Entspannungseffekte zu erzielen. Atmung hängt mit der Psyche zusammen und zeigt unsere momentane psychische Verfassung. Das wird auch sprachlich deutlich: "Mir stockt der Atem, wenn ich erschrecke oder Angst habe. Ich hyperventiliere, wenn ich in Erregung bin." Umgekehrt lassen sich deshalb durch besonders konzentriertes Atmen auch Auswirkungen auf die Psyche erzielen: Bei verschiedenen Entspannungsverfahren wie dem Autogenen Training oder Yoga ist die Atmung auch ein zentrales Mittel, um Entspannung zu erzeugen.

Warum Rauchen die Atmung stört, behindert oder schädigt

Beim Rauchen haben wir mehrere 100 teilweise krebserregende Substanzen im Zigarettenrauch, u.a. Feinstaub. Diese reizen die Lungenoberschicht, also die Grenzmembran zwischen Umwelt und Körper – eine extrem dünne Membran. An manchen Stellen hat sie nur ein Tausendstel Millimeter Dicke. Bei einer andauernden Reizung kommt es hier an dieser Membran zu einer Abwehrreaktion des Körpers, da kommen also Abwehrzellen in die Lunge hinein. Diese Abwehrzellen in der Lunge führen zu einer Entzündung. Die zerstört auf Dauer durch andauerndes Rauchen die Lungenstruktur, denn dadurch geht die Elastizität kaputt, die die Lunge für das gesunde Atmen braucht.

Was der Zigarettenrauch im Detail zerstört

Die Entzündung in der Lunge zerstört die elastischen Fasern und lassen die Lunge zu einem schlaffen Sack werden. Eigentlich sorgen diese elastischen Fasern dafür, dass die Bronchien bei der Ausatmung nicht zusammenfallen. Wenn aber diese elastischen Fasern kaputtgehen, kollabiert der Bronchius. Die Luft geht also nicht mehr aus der Lunge heraus. Nach kurzer Zeit ist dann die Lunge so voll Luft, dass die Atmung schwerfällt. Die Atempumpe, also die Atemmuskulatur, ist dann so aufgespannt, dass man nicht mehr atmen kann.

"Das wäre in etwa so, als ob Sie den Arm vollständig abgebogen haben im Ellbogen und sagen, jetzt will ich ihn noch weiter biegen. Da sind Sie mechanisch am Ende."

Prof. Dr. Jürgen Behr

Ähnlich verhält es sich bei Raucherlungen: Die Lunge kann die Luft nicht mehr ausreichend abgeben, bei jedem Atemzug bleibt Luft in der Lunge zurück – vor allem bei Anstrengung. Das führt zu einer Überblähung. Das Zwerchfell wird durch die überblähte Lunge nach unten gedrückt und kann gar nicht mehr weiter nach unten, sie ist dann einfach am Anschlag. Und dann kommt es zu Atemnot.

Atemnot ist eine Empfindung, die immer dann ausgelöst wird, wenn die Atemarbeit, die man verrichten muss, gegenüber der Belastung, die aktuell besteht, überschritten wird. Woher kommt sie?

Das heißt, ein körperliches Ungleichgewicht zwischen der Atemarbeit und dem Leistungsniveau. Der Grund ist gar nicht unbedingt ein Sauerstoffmangel, denn der macht nur in Extremsituationen Atemnot.

Atemnot hat viele Gründe

Wenn es zu Atemnot kommt, liegt normalerweise ein Ungleichgewicht vor: Das heißt, eine Behinderung der Atmung verursacht durch Überblähung oder aber durch andere Erkrankungen, durch die die Lunge immer steifer wird, zum Beispiel bei Lungenfibrosen. In diesem Fall muss der Körper immer mehr Arbeit leisten, um Sauerstoff aufzunehmen. Das führt dann zu dem Gefühl der Atemnot.

Atemnot durch Lungenerkrankungen

Atemnot kann auch dann entstehen, wenn man wegen einer durch eine Lungenerkrankung bedingten Verengung der Bronchien mehr Atemarbeit aufwenden muss, um eine bestimmte Leistung zu erzielen. Ein anderer Grund kann auch sein, dass sich Lungenbläschen verhärten - etwa, wenn die innere Oberfläche der Lunge durch Entzündungs- oder Narbenprozesse abgebaut wird.

Atemnot durch Herzprobleme

Zu Atemnot kann es auch kommen, wenn das Herz nicht genügend Pumpleistung schafft und sich Blut in den Lungen zurückstaut.

Atemnot durch Probleme in der Muskulatur oder der Wirbelsäule

Wenn die Muskeln am Brustkorb nicht richtig arbeiten oder wenn die Wirbelsäule stark verkrümmt (Skoliose) ist, kann es zu Atemnot kommen. Eine Skoliose kann beispielsweise auch zu Atemnot führen.

Atemnot durch Sauerstoffmangel

Sauerstoffmangel per se führt nur in Extremsituationen zu Atemnot. Erst wenn die Sauerstoffsättigung sehr stark abfällt, kommt es zu Atemnot. Ein leichter Sauerstoffmangel hat in der Regel keine Atemnot zur Folge. Ein Beispiel dafür wären Piloten, die in einem Flugzeug ohne Druckkabine über 3.000 Meter gehen. Sie haben zwar einen Sauerstoffmangel. Aber sie haben keine Atemnot, sondern sind vielleicht eher etwas euphorisch. Denn leichter Sauerstoffmangel kann Euphorie und Fehleinschätzungen herbeiführen. 

Atemnot ohne körperliche Ursache

Darüber hinaus gibt es auch die Angst vor der Atemnot, also eine Atemnot, die vielleicht gar nicht körperlich begründet ist. Patienten entwickeln dann schon eine Atemnot, bevor es eigentlich körperlich dazu kommt. Das kann beispielsweise bei Asthma- oder COPD-Patienten der Fall sein.

"Das A und O ist, nicht zu sagen: Der Patient hat Atemnot und jetzt behandle ich die Atemnot, sondern ich muss genau hinschauen, was die Ursache dafür ist."

Prof. Dr. Jürgen Behr

So gibt es beispielsweise auch psychische Ursachen von Atemnot, etwa die Angst vor der Atemnot, das betrifft zum Beispiel viele Patienten mit Asthma oder mit COPD, einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung, die dann zum Teil Panikattacken bekommen, weil sie das Gefühl der Atemnot kennen und sich davor fürchten. In bestimmten Situationen bekommen sie dann Atemnot, bevor es eigentlich körperlich dazu kommt. In so einem Fall würde man atemtherapeutisch arbeiten, man würde den Patienten Atemtechniken beibringen, wie sie in solchen Situationen mit der Atmung umgehen können oder auch bestimmte Entspannungsübungen, wo dann die ruhige Atmung tatsächlich Teil des Therapiekonzepts ist. Dazu gehören Techniken wie die Lippenbremse (s. weiter unten) oder die mentale Beruhigung – etwa sich zu sagen: Okay, ich kenne das, ich bin mit der Situation vertraut, es passiert mir nichts, ich kann das beherrschen. Betroffene können sich dann sozusagen psychisch auch wieder in den Griff bekommen, das sind auch Techniken des Autogenen Trainings.

Eine Technik: Die Lippenbremse

Die Lippenbremse funktioniert so, dass man bei der Ausatmung die Lippen leicht geschlossen hält, so dass ein kleiner Widerstand entsteht. Dieser Widerstand setzt sich bis in die Lunge hinunter fort und führt dazu, dass die Bronchien nicht zusammenfallen können, sondern dieser leicht erhöhte Druck während der Ausatmung dafür sorgt, dass die Bronchien offenbleiben und dann die Luft aus der Lunge entweichen kann und sich kein Überblähungseffekt einstellt.

Hilfe gegen Atemnot bei Asthma

Bei Asthma ist die Inhalation, die Therapie mit bronchialerweiternden Medikamenten und inhalativem Kortison, das Mittel der Wahl. Diese Medikamente wirken beim Asthma sehr schnell, weil das Asthma eine funktionelle Erkrankung ist. Das heißt: Durch eine Allergie sind die Lungen oder die Bronchialmuskeln vermehrt geneigt, sich zu verkrampfen. Dadurch erhöht sich der Atemwiderstand, die Atmung wird erschwert. Wenn man diese Bronchien durch entsprechende Medikamente erschlaffen lässt, ist die Atemnot innerhalb von wenigen Minuten wieder weg. 

Hilfe gegen Atemnot bei COPD

Bei der COPD ist dieser Mechanismus anders, der überwiegende Anteil kommt durch die Zerstörung der Elastizität der Lunge und die kann man mit Medikamenten nicht wiederherstellen. Das heißt: Bei COPD-Patienten lässt sich nur der Teil der Atemnot wieder beheben, der durch die aktive Kontraktion der Bronchien bedingt ist.

Hilfe gegen Atemnot bei Krebs

Viele Patienten mit Lungenkrebs haben zusätzlich eine Lungenerkrankung: Sie haben vielleicht einmal geraucht, haben vielleicht eine COPD oder eine andere Lungenerkrankung entwickelt. Auch hier muss zunächst genau diagnostiziert werden: Ist es der Krebs, der die Atemnot verursacht oder gibt es andere Gründe für die Atemnot?

Gründe für Atemnot bei Krebspatienten

  • Lungenembolie

Eine Lungenembolie tritt bei Lungenkrebspatienten gehäuft auf. Hier wird die Lunge nicht mehr richtig durchblutet, weil Blutgerinnsel die Lungenstrombahn verlegen. Auch dann hat der Patient Atemnot.

  • Blutarmut oder Anämie

Eine andere Ursache bei Krebspatienten ist häufig, dass sie eine Blutarmut haben, eine Anämie. Bei Blutarmut funktioniert der Transport von Sauerstoff im Körper nicht mehr richtig. Der Sauerstoff muss aber an das Hämoglobin gebunden werden, damit er in den Körper transportiert werden kann. Wer zu wenig rote Blutkörperchen mit Hämoglobin hat, hat gleichzeitig weniger Sauerstofftransport, auch wenn die Lunge funktioniert. Auch das kann dann zu Atemnot, Überanstrengung und Abgeschlagenheit führen.

  • Flüssigkeit in der Lunge

Beim Lungenkrebs könnte auch eine Flüssigkeitsansammlung in der Lunge eine Rolle spielen, ein Erguss im Brustfellraum, ein sogenannter Pleuraerguss, der durch Tumorzellen ausgelöst werden kann und der zu einer Ansammlung von Flüssigkeit um die Lunge herum führt. Diese Flüssigkeit wiederum macht, dass die Lunge nicht richtig arbeiten kann: Wo Flüssigkeit ist, kann sich die Lunge nicht ausdehnen. Damit kommt es auch zu Atemnot durch Ergussbildung.

  • Der Tumor

Es könnte auch sein, dass ein Tumor eine Lunge verschließt, auch dann kommt es zu Atemnot, die sich aber mitunter mit einer Bronchoskopie beheben lässt, mittels Lasertechnik oder mit einer Kryosonde etwa, so dass die Luft wieder besser in die Lunge kommt und man wieder besser atmen kann. Handelt es sich jedoch um eine riesige Tumormasse, besteht möglicherweise die Möglichkeit, die Atemnot etwa durch Morphine zu dämpfen, die dann in der Situation eingesetzt werden, wenn keine ursächliche Therapie mehr möglich ist, sondern die Atemnot selbst das Ziel der Therapie ist und somit palliativmedizinische Maßnahmen erforderlich sind.