Bayern 2

     

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Geschmacksfrage und Lebenseinstellung Warum der Bayer seinen Senf dazu gibt

Süß oder scharf - aber auf jedenfall mit: Senf ist dem Bayern Geschmacksfrage und Lebenseinstellung zugleich, schließlich gibt er ihn auch gern dazu. Auf die Wurscht, den Leberkas und auch mal ungefragt. Dazu eben.

Von: Susi Weichselbaumer

Stand: 05.10.2022 | Archiv

Wie macht man eigentlich Senf. Diese Frage lässt Autorin Susi Weichselbaumer nicht mehr aus. Also startet sie ein Familienprojekt: Senf kochen: Bei der Suche nach dem richtigen Rezept lernt sie allerlei Senfliebhaber kennen, aber bekommt sie auch die richtigen Anweisungen? Wird am Ende ein Senf draus, aus den Körnern, Zwiebeln, Lorbeerblatt und Nelken. Auf geht es in die Küche:

Das Yin und Yang von Senf

Die erste Hürde: Das Rezept sagt, man müsse mindestens drei Wochen warten, da sich der Geschmack erst entfalten muss. Und dabei ist das sogar ein Rezept für die ganz rasanten Senfselbermacher. Andere Anleitungen für Süßen Senf sprechen von sechs Wochen bis drei Monaten. So lange will in meiner Familie keiner warten auf die nächste Leberkassemmel. Und die geht ohne Süßen Senf nicht. Einfach, weil es so ist. Oder Sempft, wie es in Oberbayern heißt, auf dem Markt in Bad Aibling, wohin es die Suchende verschlägt. Aber zuerst mal zum Metzgermeister Werner Braun aus Sulzemoos. Der stellt eigenen Senf her: Zum Dazu-essen. In der Wärmetheke bei ihm im Geschäft warten resche Fleischpflanzerl, saftig-rosiger Leberkäs und pralle Weißwürscht auf den idealen Begleiter. Seine Philosophie beim Senften: „Man sucht ja immer so nach Symbiosen im Leben und im Genuss. Das ist ja immer so ein Yin-Yang auch im Geschmack.“

Das Familienrezept bleibt im Tresor

Ketchup-Symbiosen mit Rollbraten oder die perfekte Verbindung von Wammerlsemmel mit Mayo sind für den einen oder anderen Kunden schon auch vorstellbar, gibt Metzger Braun zu. Für ihn aber steht einer geschmacklich in Bayern über allen Dips und Saucen: Der Senf, "a wunderbare G‘schicht".

Und für Braun auch eine Familiengeschichte. In seinem Betrieb senftet der Metzger selber. Nach einem Rezept von der Urgroßoma. Die genaue Zusammenstellung des Weißwurschtsenfs wird dabei von Generation zu Generation weitergegeben. Sie ist so geheim, dass sie außer dem Senior-Chef keiner kennt. Der Senior-Chef ist Werner Brauns Vater und allein verantwortlich für die finale Würzung. Die hält er im Tresor unter Verschluss. Das Basis-Rezept sei aber ganz einfach, beruhigt Braun-Junior. Trotzdem rückt er nicht einmal das komplett heraus. Aber zumindest ein wenig: Man kocht einen Sud mit Sellerie, Karotten, Lauch, gibt da Gewürze rein, je nach Gusto, beispielsweise einen Piment, Lorbeerblätter. Diesen kochenden Sud schüttet man dann über eine Mischung aus Senfmehl.“

Nächste Station: Das Gewürzmuseum

Im Gewürzmuseum im Mönchshof in Kulmbach folgen die Besucherinnen und Besucher entlang farbenfrohen Wandbildern und erleuchteten Schaukästen der legendären Seidenstraße… Das alte China, Kasghar, Samarkand, Aleppo. In den schweren Säcken der Händler Muskat, Nelken, Schwarzer Pfeffer, Zimt. Senf hingegen sucht man im Museum lange - weil den eh jeder kennt und der ja auch bei uns wächst, erklärt Kuratorin Manuela Mahn. Deswegen hat er nur einen kleinen Glaskasten bekommen neben anderen kleinen Glaskästen. „Im Gewürzmuseum ist der Senf im Botanikum, wo die wichtigsten Gewürzpflanzen zu sehen sind. Senf gehört botanisch zu den Kreuzblütengewächsen und ist hier mit seinen nahen Verwandten, die Schärfe bringen: Die Kresse und auch Wasabi.“

Beim Senf würden drei gebräuchliche Sorten unterschieden, so Kuratorin Manuela Mahn. Der weiße, der seinen Ursprung im Mittelmeergebiet hat, der schwarze Senf, der aus dem östlichen Mittelmeergebiet der Levante stammt, und der braune, der aus dem südlichen Asien kommt.

Senfblüten im Herbst

Vor rund 3000 Jahren verfeinern die Chinesen ihre Speisen mit den Samenkörnern der gelb blühenden Senfpflanze. Von dort gelangen die Saaten mehrere Jahrhunderte vor Christus nach Griechenland. Der Philosoph und Mathematiker Pythagoras fand sogar: Senf schärfe den Verstand.

Fast gen Himmel mit ganzen zwei Metern schafft es die Pflanze des Schwarzen Senfs, liest man im Schaukasten im Gewürzmuseum. Brauner wird 1 Meter 20 hoch, weißer bleibt niedriger. In ehemals römischem Gebiet wie Bayern ist der Senf schon seit der Antike bekannt, im Mittelalter dann verbreitet er sich in ganz Europa. Der Scharfmacher ist weit billiger als der Pfeffer. Und er wächst - anspruchslos und vor allem billig - im eigenen Garten. Die mittelalterliche Medizin mischt auf der Basis antiker Schriften wieder Senf in Salben und Tinkturen. Sie sollen gegen Milzentzündung und Haarausfall helfen.

Senf auf Nusszopf

Die Suche erweist sich als schwierig. Zwar ist Senf nachweislich in vielen Kulturen bekannt, nur Rezepte finden sich kaum. Es scheint als ginge es vor allem ums Ausprobieren. Und unterm Strich fällt der Süße Senf offensichtlich in Bayern in das grundlegende, kulturphilosophisch lange verankerte Lebenskonzept des „Passt scho“. Ein Konzept, das bayerisch-barock-üppig sein kann. In dem quasi alle Opulenz mündet in eben jenem „Passt schon“. So breit die Auswahl mittlerweile an Leberkas und seinen Zubereitungen ist - ja es gibt auch einen Leberkas-Bowl, so vielfältig sind die Geschmackserlebnisse mit Senf: Feigensenf soll gut auf Nusszopf schmecken. Es gibt Liebhaber von Senfbrot und Muffins mit süßem Senf. Und allein das Wort ist ja auch so herrlich batzig: SEMPFT - wie aus der Tube gedrückt.

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts sind viele scharf auf Frankreichs Dijon-Senf. Der französische König Ludwig XV ernennt den Dijon-Senf-Virtuosen Antoine Maille zum Hoflieferanten, genauso der österreichische Kaiser Leopold II. und Russlands Zarin Katharina II. Schon zwanzig Jahre vor dem berühmten Franzosen Maille tunkt man in Düsseldorf die erste Wurst in ABB-Senf. Der scharfe Senf aus dunklen Samen wird ein Düsseldorfer Verkaufsschlager.

Bayerische Brotzeit

Bayern gönnt sich beim Senf eine Extrawurscht, eben den zur Weißwurst, körnig-süß.

Einfach machen

Nach einer langen Reise zu vielen Menschen in Bayern, die Senf herstellen, experimentieren oder verkaufen wird eines deutlich: DAS Rezept gibt es nicht, sondern es ist, der bayerischen Lebensart angemessen, ein Leben und Leben lassen, und ein „Passt scho!“.


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