Bayern 2


3

Bayern genießen Gast - Bayern genießen im November

Gäste - in diesen Zeiten ein fast sehnsüchtiges Wort. Wir nützen bei Bayern genießen den menschenkontaktlosen November um drüber nachzudenken, was wir vermissen.

Stand: 04.11.2020 | Archiv

Eine uralte Geschichte steckt hinter dem Wort Gast - und eine höchst amibivalente. Das Wort geht auf die indoeuropäische Wurzel ghos- oder hos- zurück, wie sie vor rund 8000 Jahren die ersten Bauern verwendet haben. Und die steckt in allem drin, was den Umgang mit Fremdem oder Unerwartetem, sogar Feindlichem angeht. Ganz deutlich wird diese Ambivalenz zum Beispiel in den lateinischen Wörtern hostis = Fremder, Feind und eben auch hospes = Gast, Gastfreund, die beide mit unserem Gast zusammenhängen. Wir wollen diesen zwei Seiten des Gastes in der Novemberausgabe von Bayern genießen einmal nachspüren - ungeheuer passend, wo wir uns grad mit dem ungebetenen Virusgast aus Fernost so schwer tun, und um seinetwegen auf Gastfreundschaft weitestgehend verzichten müssen.

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Gast"

Oberbayern: Musikalische Gäste - Der "Kultur-Stadl" im oberbayerischen Vilgertshofen. Von Annette Kugler
Niederbayern: Gästetisch - Künstlerische Keramik aus Passau. Von Julie Metzdorf
Oberpfalz: Willkommene Gäste - Eine kleine Philosophie des Gastes. Von Thomas Muggenthaler
Oberfranken: Wintergäste - Wie überwintert man ein Insektenhotel? Von Thibaud Schremser
Mittelfranken: Gästezimmer - Eine Herberge im Bratwurststil. Von Tobias Föhrenbach
Mainfranken: Gastmahl - Messwein aus dem Würzburger Juliusspital. Von Carolin Hasenauer
Schwaben: Unheimliche Gäste - Gespensterführung in Augsburg. Von Barbara Leinfelder

Gastfreundschaft

Wir machen uns heutzutage kaum einen Begriff davon, wie es vor Jahrtausenden Reisenden, Händlern etwa, ergangen ist, in Zeiten also, in denen es keine Gastwirte gab und keine Hoteliers, die gegen Entlohnung Gäste aufnehmen und bewirten. Die längste Zeit in der Geschichte der Menschheit waren Fremde darauf angewiesen, bei Einheimischen eine Bleibe, Speis und Trank zu bekommen. Gast sein zu dürfen, das Gastrecht, die Gastfreundschaft, das ist eine der herausragendsten Kulturleistungen der Menschheit. Unzählige Beispiele dafür gibt es in den Schriften der Antike - von Homer bis zur Bibel. Für das Abendland hat der Gründer des abendländischen Mönchtums, der heilige Benedikt von Nursia, vor 1500 Jahren das Gastrecht im 53. Kapitel seiner Regel festgeschrieben.

"Sobald ein Gast gemeldet wird, sollen ihm … der Obere und die Brüder voll dienstbereiter Liebe entgegeneilen … Allen Gästen begegne man bei der Begrüßung und beim Abschied in tiefer Demut: man verneige sich, werfe sich ganz zu Boden und verehre so in ihnen Christus, der in Wahrheit aufgenommen wird."

Benedikt von Nursia

Die Klöster, die nach Benedikts Regel lebten, leisteten so über Jahrhunderte einen unschätzbaren Beitrag dazu, Europa zu erschließen, bereisbar, buchstäblich erfahrbar zu machen. Noch heute beherzigen Benediktiner und Zisterzienser dieses Prinzip, Gäste aufzunehmen - und zwar ohne Ansehen der Person.

Bratwursthotel

Gastfreundschaft wurde erst notwendig, als die Menschen sesshaft wurden. Jetzt sorgten Händler für den Austausch von Waren und Rohstoffen. Und in Zeiten ohne Post und Telefon kamen Gäste immer unerwartet, standen plötzlich vor der Tür, kamen nicht immer gelegen. Dass sie trotzdem grundsätzlich willkommen waren, lag daran, dass sie nützlich waren. Sie haben nicht nur Waren, sondern auch Nachrichten gebracht aus entlegenen Gebieten, vielleicht sogar fernen Ländern. Das Wort fremd hängt zusammen mit fern und fort. Auch in Englisch from steckt diese Wurzel und im deutschen frommen. Ein Fremder kann frommen, also nützlich sein. Soviel aber war klar - nicht immer begegneten sich der Fremde oder auch sein Gastgeber freundlich. Nicht umsonst gehen unser Wort Gast und das lateinische Wort hostis für Fremdling, Feind auf dieselbe Wortwurzel zurück. Grundsätzliche Angst und Misstrauen Fremden gegenüber teilen sich die Menschen mit den meisten anderen Lebewesen. Das lässt sich auch nicht so einfach abstellen. Gastfreundschaft galt als ein Mittel, den Fremden, der zunächst einmal als gefährlich eingestuft wurde, zu besänftigen, um ihn zu werben, um ihn zu freien und ihn dadurch zum Freund zu machen. Man kann auch so sagen. Gäste waren unvermeidlich, mehr oder weniger ein notwendiges Übel. Aber niemand wär auf die Idee gekommen, Gäste anzulocken. Einfach so. Erst als die Mobilität immer mehr und regelrechte Straßen ausgebaut wurden, hat man in der römischen Antike damit begonnen Herbergen einzurichten Hospitäler, Hotels für den Hostis, den Fremdling - alles die gleiche Wurzel. Und mit diesen Herbergen entstand allmählich die professionalisierte Gastfreundschaft von Wirten und Hoteliers. Doch bis hinein ins 19. Jahrhundert hatten es Gäste meist nicht besonders bequem. Das änderte sich erst als die Herbergen immer mehr wurden und begannen, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen. Und jetzt gab es auf einmal auch das Bedürfnis Gäste anzulocken, indem man ihnen ein besonderes Erlebnis geboten hat. Wer heute Gäste beherbergen will, muss mehr anbieten als bloß Betten. Alleinstellunsgmerkmal heißt das tourismusdeutsche Zauberwort. Ein ganz spezielles Beispiel dafür gibt es in Rittersbach im mittelfränkischen Landkreis Roth. Dort hat die Metzgerfamilie Böbel vor zwei Jahren das erste Bratwursthotel der Welt eröffnet. Seitdem ist Rittersbach Anlaufstelle für Gäste aus Nah und Fern. Auch wenn coronabedingt die Gäste im Augenblick wieder spärlich geworden sind. Die Böbels verkaufen ihre Waren ja auch in der Metzgerei. Und gegessen wird immer. Hier das Böbelsche Rezept für Bratwurstauflauf.

Kulturstadl Stadl

Wir Menschen sind soziale Wesen. Deswegen treffen uns die derzeitigen Kontaktbeschränkungen ins Mark. Wir können nicht leben ohne den Austausch mit anderen. Zusammenzukommen, zu Gast sein zu können, gehört eben zu den Grundlagen unserer Kultur. Gäste bringen Leben auch dorthin, wo man ohne sie schnell einmal im eigenen Saft braten würde. Es gibt Gegenden in Bayern, die von Gästen überlaufen sind - und andere werden chronisch unterschätzt - außer von denen, die dort leben und denen ist das manchmal ganz recht. Da unterscheiden sich wahrscheinlich die Rittersbacher in Mittelfranken gar nicht so sehr von, sagen wir einmal, den Einwohnern von Stadl, einem Ortsteil von Vilgertshofen westlich vom Ammersee. Die meisten potentiellen Gäste zieht es eher direkt an den See oder an den Lech und nach Landsberg. Und nur wenige kämen nach Stadl, wo es auf den ersten Blick nur ein schönes Cafe gibt. Aber auf den zweiten Blick entpuppt sich dieses Cafe als der vielleicht kleinste Jazzclub Oberbayerns. Und der ist ein Grund, warum dann doch ganz gezielt Gäste nach Stadl kommen. Natürlich hat auch der Kulturstadl seine Termine für den November absagen müssen. Aber im Dezember solls wieder auf gehen.

Künstlerkeramik aus Passau

Ja, es werden wieder die Zeiten kommen, in denen wir wieder ganz unbefangen Gäste empfangen werden und auch selbst zu Gast sein können. In denen wir wieder so nah beieinander sitzen, dass wir unterscheiden können, wen wir riechen können und wen nicht. Wo wir uns gemeinsam freuen über gelungenes Essen und gelungenes Ambiente gleichermaßen. Denn gleichzeitig mit der Kultur der Gastfreundschaft haben sich auch Wohnkultur und Tischkultur entwickelt. Wer allein isst oder im Kreis der engsten Familie, der will und muss diesbezüglich oft keinen großen Aufwand treiben. Was anderes ist es, wenn Gäste ins Spiel kommen. Das war schon in der Antike so. Repräsentation, Macht und Vermögen zu zeigen gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen - gerade gegenüber dem Fremden. Mittelalterliche Fürsten haben da gern das praktische mit dem Nützlichen verbunden. Ihre Speiseservice bestanden oft aus Silber. Wenn das reichlich vorhanden war, konnte der Gast sich leicht ausrechnen, ob es sinnvoll war, einen Krieg mit seinem Gastgeber anzufangen. Denn der konnte das Geschirr buchstäblich verscherbeln, also in Scherben schlagen und ummünzen, um damit Soldaten zu bezahlen. Erst in der Neuzeit ist es Mode geworden, sich abartig teures Porzellan zuzulegen. Wenn ein Fürst das besessen hat, dann war er so reich, dass er die Silberanlage nicht mehr nötig hatte. Distinktion ist eben alles. Heute haben wir unser Geld auf der Bank und Porzellan ist größtenteils zur Massenware verkommen. Aber wenn Gäste da sind, kommt immer noch das Besondere auf den Tisch. Gern auch wieder handgefertigt und deswegen nicht ganz billig. Die schöne Keramik von Hans Fischer in Passau zum Beispiel.

Messwein aus dem Würzburger Juliusspital

Wie gesagt: Unser Wort Gastund das lateinische hostis für Fremdling, Feind gehen auf die gleiche Wurzel zurück. Damit der Fremdling kein Feind wird, gilt es ihn zu besänftigen, auf eine Wellenlänge mit ihm zu kommen. Lateinisch hostire heißt ursprünglich vergelten, gleichmachen. Es geht darum pari zu werden. Damit der Fremde kein Feind wird, dem man es mit Waffen vergelten müsste, hat man für Ihn lieber geschlachtet und ihn mit gemeinsamem Essen und Trinken besänftigt. Das Schlacht-, das Opfertier heißt deswegen lateinisch hostia. Denn mit den Fremden verehrte man gleichzeitig die ebenfalls höchstfremden und potentiell feindlichen Götter. Und es ist natürlich kein Zufall, wenn Sie das Opfertier hostia an die Hostie erinnert. Es ist ja auch das gleiche. Im christlichen Messopfer verbindet sich immer noch, wie bereits vor Jahrtausenden, das irdische mit dem himmlischen Gastmahl. Höchst ritualisiert, versteht sich. Der Leib Christi wird da in Form der Hostie geopfert und auch das Blut, wo man in der Antike das Leben, den lebensspendenden Geist verortet hat, - im Kelch mit Wein. Muss aber schon ein besonderer Wein sein. Zum Beispiel aus dem Würzburger Juliusspital.

Insektenhotel

Gastmahl und beim Götteropfer gehören ursächlich zusammen. Nicht nur deswegen, weil man in der Antike bei jedem Mahl den Göttern geopfert hat, beziehungsweise umgekehrt sich an jedes Götteropfer ein Gastmahl angeschlossen hat - schließlich haben die Götter von dem Opferfleisch ja nur den Rauch konsumiert. Die fetten Stücke sind den irdisch Feiernden vorbehalten geblieben. Aber es geht um mehr. Beim Gastmahl und beim Götteropfer geht's vor allem um den Austausch von Gaben, das gegenseitige Besänftigen. Ich gebe, damit Du gibst - Gabe - Gegengabe. So verwandelt sich das Fremde zum Freundlichen. Wer aufmerksam durchs Leben geht, wird sich da in vielerlei Hinsicht bestätigt fühlen. Denn vieles ist nicht ganz so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick ausschaut. Nehmen Sie bloß einmal die Natur in ihrem Garten. Viele Blüten beispielsweis gedeihen erst dann zu Früchten, wenn Sie bestäubt werden. Was aber tun, wenn die bestäubenden Gäste, die Insekten ausbleiben? Da kanns nicht schaden, ihnen nicht bloß einen gastfreien Tisch zu bereiten, sondern auch eine Herberge anzubieten. Zumal jetzt, wo der Winter kommt. Stichwort: Insektenhotel. Hier gibt's Bauanleitungen.

Gespensterführung in Augsburg

Gäste, wie gesagt, sind nicht immer willkommene oder gar gebetene Gäste. Gäste standen früher oft einfach vor der Tür. Mit allen Ansprüchen und Forderungen, die ein Gast halt so mitbringt. Es ist kein Zufall, dass der Geist die gleiche etymologische Wurzel wie der Gast hat. Nehmen Sie nur den Steinernen Gast aus der Mozartoper, der wider Erwarten bei Don Giovannis Gastmahl auftaucht, geisterhaft, schrecklich. Jetzt im November, in dem mit dem Winter seit alten Zeiten die Saison der Gast- und Festmähler beginnt, steigen auch wieder die Geister auf aus den finsternen Nächten der Tiefe. Schon am Abend vor Allerheiligen, dem All Hallows eve, verballhornt Halloween, fängts damit an - und letztlich hörts erst auf mit der Walpurgisnacht vor dem ersten Mai, der dann endgültig die Wintergeister bannt. Dazwischen treiben Perchten genauso wie allerlei mehr oder weniger gruslige Fastnachtsgestalten ihr geisterhaftes Unwesen. Wir alle schätzen das Gruseln - zumindest dann, wenn es sich irgendwann in Wohlgefallen auflöst, weil wir drüber lachen können. Und dafür gibt's eben keine bessere Zeit als die langen Winternächte, die jetzt wieder anfangen. Und am liebsten genießen wir das verpackt in Geschichte und Geschichten. Zum Beispiel als Gäste bei einer Gespenster-, geister- und Gruselführung durch das nächtliche Augsburg. Gibt's aber auch woanders in Bayern.

Zu der Wortfamilie rund um Gast und Geist gehört übrigens auch das Gähnen. Das Mundaufsperren schließlich ist etwas, was der meist hungrige Gast gemeinsam hat mit dem Geist, der uns mit seiner Fratze mit weit aufgerissenem Mund einen solchen Schrecken einjagt, dass wiederum uns der Mund offenbleibt. Und offen steht der Mund auch, vor Erstaunen nämlich, wenn wir einem geistvollen, geistreichen Menschen begegnen. Wenn Ihnen jetzt der Mund offensteht, dann, hoff ich jedenfalls, nicht bloß vom Gähnen. Und kleiner Trost: Irgendwann bestimmt kommen auch die gast- und geistreichen Gespräche wieder!


3