Bayern 2

     

Rechter Krampf Für die Rechte ist Kultur Feindbild oder Kampfbegriff

In ihrem Kampf für eine "deutsche Identität" wird der extremen Rechten Kultur oft zum Kampfbegriff, der Vielfalt, Kritik und Fremdheit ausschließt. Ein rechter Krampf!

Von: Thies Marsen

Stand: 18.11.2021 16:18 Uhr

Blaues Wahlplakat des Kreisverbands Wiesbaden mit der Aufschrift: Aus Werksschätzung für unsere Kultur | Bild: picture alliance/dpa/Revierfoto | Revierfoto

"Wenn ich Kultur höre … entsichere ich meinen Browning." Kaum ein Satz dürfte das extrem rechte Kulturverständnis so auf den Punkt bringen, wie dieser. Er stammt aus dem Drama "Schlageter", geschrieben von dem Nazi-Schriftsteller und späteren Präsidenten der Reichsschrifttumskammer Hanns Johst, gewidmet Adolf Hitler, uraufgeführt am 20. April 1933, Hitlers 44. Geburtstag. Kultur gehört also ausgemerzt und mit ihr das, was sie ausmacht: Freude an der Vielfalt, Menschenliebe, Individualität, Intellektualität, Neugierde, ein kritisches Bewusstsein, ein offener Blick auf die Welt, die Freiheit des Denkens. Die Nazis haben diesen Satz tausendfach in die Realität umgesetzt, sie haben Bücher verbrannt, Kunstwerke als entartet gebrandmarkt, verboten und vernichtet, Kunstschaffende inhaftiert, aus dem Land getrieben und unzählige, vor allem jüdische, ermordet.

"Deutsche Kultur"

Nichtsdestoweniger haben die Nazis versucht, einen eigenen Kulturbegriff zu implementieren – den der "deutschen Kultur", die sich ganz in den Dienst von Staat, Volk und Rasse zu stellen hat und die sich vor allem über Feindbilder definiert. Über das, was ausgemerzt gehört, weil nicht deutsch genug: "rassefremdes Literatentum" etwa oder die "Verbastardisierung und Vernegerung unseres Daseins". So nachzulesen im 1928 veröffentlichten Gründungsaufruf des "Kampfbunds für deutsche Kultur", der sich vor allem im Kampf sah gegen einen – Zitat - "von volksfeindlichen Kräften geförderten politischen Niedergang".

Knapp hundert Jahre später wittern Rechte wieder den drohenden Nieder-, wenn nicht gar Untergang, wieder verursacht durch undeutsche Kräfte: "Die Ideologie des Multikulturalismus" sei eine "ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit". So steht es im Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland. Unter der Überschrift "Kultur, Sprache und Identität" bekennt sich die AfD dort zur "deutschen Leitkultur". Was das ist, bleibt offen – natürlich. Denn was soll das schon sein – deutsche Leitkultur? Das Werk des reiselustigen, mehrsprachigen Weltbürgers Goethe? Oder das seines Freundes Schiller, dessen Ode an die Freude – vertont von Beethoven – die Hymne der Europäischen Union ist, aus der die AfD am liebsten austreten möchte? Oder doch eher Marschmusik – die zum Gutteil auf türkische Janitscharenkapellen zurückgeht? Oder all die historischen Kirchen und Baudenkmäler hierzulande – die von flämischen oder italienischen Baumeistern und Handwerkern entworfen und gestaltet worden sind?

Kultur: Feindbild oder Kampfbegriff

Kultur bedeutet Offenheit, Vielfalt und Vermischung, deshalb kann eine extreme Rechte, deren Ideologie auf Ausschluss und Beschränkung beruht, keinen echten Begriff davon entwickeln, und deswegen ist es auch kein Wunder, wenn einem AfD-Politiker, der gerade noch lautstark gefordert hat, in der Schule mehr deutsche Gedichte zu lesen, auf Nachfrage kein einziges deutsches Gedicht einfällt. Für die extreme Rechte ist Kultur entweder Feindbild oder Kampfbegriff. Oder sie dient als Chiffre. Denn heutzutage müssen sich selbst eingefleischte Rassisten Begriffe wie Rasse aus taktischen und juristischen Gründen verkneifen, deshalb spricht man lieber von Kultur, wenn man Menschen abwerten und ausgrenzen will, weil diese angeblich nicht zu unserer deutschen Kultur passen würden. Oder man fordert dazu auf, "die deutsche kulturelle Identität" gegen den Multikulturalismus zu verteidigen – wie es die AfD in ihrem Grundsatzprogramm tut.

Doch Kultur ohne Multi – ohne Vielfalt, Offenheit und Vermischung – gerinnt am Ende zu Heimatkitsch, bestenfalls. Und damit zurück zu Hanns Johst, dem Nazi-Schriftsteller, der beim Wort Kultur seinen Browning entsicherte. Der von Hitler zum Gottbegnadeten ernannte NS-Großschriftsteller Johst verdingte sich nach dem Zusammenbruch Nazideutschlands mit Gedichten für die Edeka-Kundenzeitschrift "Die kluge Hausfrau".

Ein Beitrag aus der Sendung "Jazz und Politik" vom 20.11.2021 auf Bayern 2. Den Podcast zur Sendung können Sie hier abonnieren.