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Die Uferschnepfe in Bayern Artenschutz mit allen Mitteln?

Die Uferschnepfe ist in Bayern bedroht. Um die Art zu erhalten, fordern Vogelschützer mitunter extreme Maßnahmen. Doch wie stark darf der Mensch in die Natur eingreifen, um frühere Eingriffe in die Natur wieder wettzumachen? BR-Reporterin Petra Nacke sucht nach Antworten.

Von: Petra Nacke

Stand: 29.09.2022 | Archiv

Ich stehe irgendwo im Altmühltal zwischen Wiesen und kahlen Feldern und warte. Als Treffpunkt habe ich nur Geokoordinaten erhalten. Ab und zu rauscht ein Güterzug vorüber, ansonsten ist es hier fast unwirklich still. Fast ein Krimisetting, und in gewisser Weise ist es das auch – immerhin geht es um Leben und Tod.

Spurensuche nahe des Altmühlsees

Jan Heikens arbeitet beim Landesbund für Vogelschutz, kurz LBV. Hier, knapp fünf Kilometer nordöstlich vom Altmühlsee, wollen wir nach Spuren der Uferschnepfe suchen. Mehr werden wir auch nicht finden, die Vögel haben hier schon vor Monaten gebrütet und sind anschließend in ihre Winterquartiere Richtung Atlantik geflogen.

"Hier direkt vor uns wären mögliche Brutplätze. Wenn die Wiese nass genug ist und die Vegetation schön lückig ist, ein paar Rohbodenstellen, vielleicht eine Mulde, wo Wasser steht. Hier ist viel Rohboden, wo eben kein Gras wächst, und das ist ganz wichtig, dass die Küken, wenn sie dann geschlüpft sind, einfach auch Räume haben, in denen sie sich bewegen können."

Jan Heikens, Landesbund für Vogelschutz

Die Uferschnepfe – in Bayern bedroht

Heikens streicht liebevoll über eine kahle Stelle am Boden, die ich ohne ihn wohl nicht bemerkt hätte. Woher auch sollte ich wissen, dass dies ein idealer Brutplatz für die Uferschnepfe und ihre Küken ist? Bis vor kurzem wusste ich nicht einmal, dass sie existiert. Jetzt muss ich lernen, dass es sie in Bayern wohl nicht mehr lange gibt, wenn nichts unternommen wird, denn dieser Vogel ist anspruchsvoll, braucht vor allem eines: nasse Wiesen und die haben wir hier.

Die vielen Feinde der Uferschnepfe

Das Wiesmet liegt im Landkreis Ansbach und erstreckt sich über eine Fläche von rund 1.100 Hektar, ist damit eines der größten Feuchtgebiete im Süden Deutschlands und wäre von daher ein idealer Brutplatz für die Uferschnepfe, aber sie hat viele Feinde.

"Alle Feinde der Uferschnepfe aufzuzählen, das wäre eine lange Liste, aber wir haben hauptsächlich den Fuchs und dann kommen natürlich diverse Greifvögel dazu, zum Beispiel die Rohrweihe, der Mäusebussard, der Rot- oder Schwarzmilan. Bei den erwachsenen Uferschnepfen würde ich auch den Wanderfalken und den Habicht mit ins Feindspektrum setzen – wobei Feind, das klingt ein bisschen extrem, also das ist die Natur. Die fressen schon immer Uferschnepfen."

Jan Heikens, Landesbund für Vogelschutz

Nur noch 19 Brutpaare in Bayern

Bei einer großen Population wäre das auch kein Problem. Im Jahr 2021 wurden in ganz Bayern allerdings nur noch 19 Brutpaare gezählt, sechs bis sieben davon im Wiesmet. Das größte Problem dieser Wiesenbrüter sind nicht Füchse und Raubvögel, sondern die Trockenlegung von Feuchtwiesen. Deshalb hat der LBV schon 2017 ein Schutzprojekt gestartet.

Jedes Küken wird mit einem Radiosender versehen

"Wir suchen die Nester auf, was ja auch eine enorme Störung ist, wir zäunen die Nester ein, damit sie geschützt sind zum Beispiel vor einem Fuchs, und wir berechnen den Schlupfzeitpunkt der Küken. Und an diesem Schlupftag wird das Küken dann mit einem Radiosender versehen, so können wir das Küken dann orten, um es dann beispielsweise vor landwirtschaftlichen Bearbeitungsgängen zu schützen."

Jan Heikens, Landesbund für Vogelschutz

"Naturschutz extrem" – umstrittene Schutzmaßnahmen

Trotzdem waren auch in diesem Jahr die Verluste wieder hoch. Deshalb will der LBV weitergehende Schritte: Die Gelege sollen eingesammelt, die Küken in Volieren aufgezogen und später auf geeigneten Flächen wieder ausgewildert werden. Dieser "Naturschutz extrem" ist in Fachkreisen umstritten, denn er geht weit über den klassischen Artenschutz hinaus. Das weiß auch Dr. Norbert Schäffer, der Vorsitzende des Bayerischen LBV.

"Grundsätzlich wollen wir natürlich wenige Eingriffe in Bestände. Wir wollen eine gewisse 'Verhausschweinung' vermeiden, das will auch der LBV unbedingt vermeiden, das ist völlig unbestritten. Wir wollen nicht Vögel draußen in der freien Wildbahn zum Beispiel füttern usw., wir wollen sie also nicht abhängig machen vom Menschen. Das ist auch für den LBV ein Grundsatz. Nur bei der Uferschnepfe müssen wir uns die Alternativen anschauen und die Alternative ist derzeit das Aussterben der Art in wenigen Jahren. Und statt das Aussterben nur tatenlos zu dokumentieren und immer das zu machen, was man in der Vergangenheit gemacht hat, das aber nicht ausgereicht hat, brauchen wir andere Maßnahmen."

Norbert Schäffer, Vorsitzender des Bayerischen Landesbunds für Vogelschutz

In Niedersachsen, meint Schäffer, habe man zum Beispiel beim Goldregenpfeifer viel zu lange an den klassischen Grundsätzen festgehalten und die Volierenlösung abgelehnt. Jetzt ist dieser Vogel dort ausgestorben. In anderen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien, erziele man hingegen mit der Volierenaufzucht gute Ergebnisse. Oberstes Ziel sei bei allem, dass man bei der Uferschnepfe keine Kompromisse machen dürfe, so Schäffer.

"Der Landwirt muss halt einfach am 15. Juni mähen, anders passt es nicht in den Betriebsablauf – aber dann verlieren wir die Uferschnepfe. Wir brauchen für die Uferschnepfe wenige Punkte in Bayern, die dann aber tatsächlich nur für die Uferschnepfe und ihren Lebensraum gemanagt werden."

Norbert Schäffer, Vorsitzender des Bayerischen Landesbunds für Vogelschutz

Den Fuchsbestand eindämmen? Unpopulär!

Eine weitere Maßnahme, die ebenfalls unter das Schlagwort "Naturschutz extrem" fiele, wäre die Eindämmung des Fuchsbestands, der übermäßig zugenommen hat, da er weder durch Wölfe noch durch die Tollwut reguliert wird.

"Das ist unpopulär, das hat man bis vor wenigen Jahren eigentlich nicht gemacht. Aber jetzt sehen wir, dass der Fuchs einen Einfluss hat, das können wir belegen, und von daher müssen wir in den wichtigsten Wiesenbrütergebieten den Fuchsbestand reduzieren. Das ist ein großer Aufwand, damit macht man sich nicht beliebt – der Fuchs ist eine beliebte Tierart und den Abschuss zu fordern, da bekommt man sicherlich keine begeisterten Reaktionen."

Norbert Schäffer, Vorsitzender des Bayerischen Landesbunds für Vogelschutz

Neben den befürchteten emotionalen Reaktionen gibt es in Naturschutzkreisen durchaus auch pragmatische Argumente, die generell gegen diesen extremen Weg des Naturschutzes sprechen: Er sei viel zu personalaufwändig, zu teuer und ein positives Ergebnis ungewiss. Stattdessen solle man sich ausschließlich auf den Erhalt und die Schaffung geeigneter Lebensräume konzentrieren. Ja, sagt Schäffer, aber:

"Das ist nichts, was man innerhalb von zwei, drei Jahren machen kann. Wiedervernässungsprojekte stellen ja einen gewissen Eingriff in Eigentum dar und sind notorisch langatmig. Da reden wir oft nicht von Jahren, sondern von Jahrzehnten. Es geht also nicht darum zu sagen, entweder wir führen diese extremen Maßnahmen durch und nehmen die jungen Uferschnepfen vorübergehend in Volieren oder wir gestalten den Lebensraum, sondern wir brauchen beides. Wenn wir nur den Lebensraum gestalten, dann werden wir die Uferschnepfe verlieren."

Norbert Schäffer, Vorsitzender des Bayerischen Landesbunds für Vogelschutz

In ganz Deutschland wurden 2019 immerhin noch rund 3.700 Brutpaare gezählt. Also: Braucht es die Uferschnepfe in Bayern überhaupt?

"Das ist eine fast philosophische Frage: Brauchen wir die Uferschnepfe hier? Fürs ökologische Gleichgewicht brauche ich keine Uferschnepfe, das ist ganz klar. Die Uferschnepfe hat aber in den Augen des LBV eine Daseinsberechtigung, sie hat hier in größerer Zahl gelebt, wir wollen uns nicht mit den 19 Brutpaaren abfinden, die es noch gibt. Wir wollen zumindest punktuell in größerer Zahl viele Bestände zurückbringen, das ist unser Ziel. Und mit ihr natürlich diesen gesamten Lebensraum: feuchte Wiesen, Nasswiesen, die früher mal in Bayern weitverbreitet waren."

Norbert Schäffer, Vorsitzender des Bayerischen Landesbunds für Vogelschutz

Die Uferschnepfe und ihr Lebensraum gehören untrennbar zusammen. Und selbst, wenn vielen von uns dieser Vogel egal sein dürfte, sollten wir uns doch fragen, ob es uns auch egal sein kann, wenn mit seinem Verschwinden ein Stück unseres eigenen Lebensraums verschwindet. Wenn die Vielfalt, die wir gerade noch erleben können, einer monotonen Einfalt weicht.


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