Von Oberammergau bis Erl Über Pest, Passionsspiele und die Pandemie
Der Leidensweg Jesu auf der Bühne sollte dem schwarzen Tod ein Ende bereiten. Ausgerechnet eine Pandemie verhindert heuer die Erfüllung dieses alten Pestgelübdes. Doch die Passion für die Passion bleibt. Eine Chronik bayerischer Leidenschaft.
Passionsspiele verbreiteten sich einst fast so epidemisch wie die Pest. Gut 40 Passionsspielorte im bayerisch-österreichischen Raum sind für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts belegt, für die Jahre 1650 bis 1800 wuchs die Zahl gar auf 250. Am bekanntesten: die Passion von Oberammergau, die auf ein Pestgelübde von 1633 zurückgeht.
400 Jahre Passionsspiele Oberammergau

Oberammergauer Notgeld 1921über 75 Pfennige
"1634 / Dazumalen kam die Pestseuch über die Nacht / und packt all die Leut, die sie greifen mocht". (Aufschrift auf Oberammergauer Notgeld 1921)
In seiner fast 400-jährigen Geschichte wurde das Passionsspiel nur zweimal abgesagt, nämlich in den Jahren 1770 und 1940; einmal wurde es verschoben, genau vor 100 Jahren im Jahr 1920 wegen der Spanischen Grippe und der hohen Anzahl an Gefallenen des 1. Weltkriegs.
Ansage 1633: Wegen der Pest legt Oberammergau Gelübde ab
Damals wütete der schwarze Tod im Ammertal. Die Dorfbewohner gelobten, alle zehn Jahre die Leidensgeschichte Jesu‘ auf die Bühne zu bringen, wenn das Sterben ein Ende nähme. Der Überlieferung nach gab es nach diesem Gelübde keinen einzigen Toten mehr im Ort.
Bis heute halten sich die Oberammergauer an ihr Versprechen – ab Mai 2020 sollte wieder Passion gespielt werden, über 100 Mal bis tief in den Herbst hinein.
Absage 2020: Wegen Corona verschiebt Oberammergau die Spiele
Doch es kam anders – die Corona-Pandemie durchkreuzte ihren Plan und nötigte sie, das Spiel auf das Jahr 2022 zu verlegen. Solche Verschiebungen gab es immer wieder mal, Komplettausfälle dagegen so gut wie nie. Das macht Oberammergau so besonders: dass die Tradition nie gänzlich abriss, trotz Aufklärung und Säkularisation.
Propaganda und Volksfrömmigkeit
Auch in Erl in Tirol wurde schon im 17. Jahrhundert Passion gespielt, hier klaffen in der Chronologie aber einige Lücken. Im unterfränkischen Sömmersdorf wurde der Grundstein erst im Heiligen Jahr 1933 gelegt, in Tirschenreuth sogar erst 1997. Ursprünglich waren Passionsspiele ein Propaganda-Instrument der Gegenreformation und Ausdruck der Volksfrömmigkeit.
Die alpenländische Lust am Schauspiel
Kreuzigungsprobe Oberammergau. Regisseur Christian Stückl (von hinten) und Jesus-Darsteller Frederik Mayet am Kreuz
Die im Alpenraum verbreitete Volksschauspiellust tat ihr Übriges, die Lust am Leiden zu entfachen. Aber woher rührt die Passion für die Passionen heute, in gänzlich verweltlichten Zeiten? Wieso spielt man heute Passion – noch immer oder sogar erst seit Kurzem? Christoph Leibold hat nach Antworten gesucht. Monatelang hat er die passionierten Theatermacher in Oberammergau begleitet. Im geplanten Psychogramm einer Leidenschaft steckt nun auch die Chronik einer Leidensgeschichte, die nicht nur Oberammergau trifft: Tirschenreuth hätte seine Passion 2020 ebenfalls aufführen wollen und musste die Proben wegen Corona kurz vor der Premiere abbrechen.