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Alleine ist man weniger zusammen Die gescheiterte Fusion der Nachbarstädte Nürnberg und Fürth

Wie wäre es wohl, wenn Nürnberg und Fürth nicht mehr zwei, sondern nur noch eine Stadt wären? Vor genau 100 Jahren ist das fast Wirklichkeit geworden. Doch einige Bürger verhinderten 1922 die Fusion. Und heute? Was trennt und was verbindet die beiden Städte?

Von: Tanja Oppelt

Stand: 06.09.2023 | Archiv

Nürnberg und Fürth als eine Stadt. Das kann doch nur eine Schnapsidee gewesen sein. Wie sollte so eine Stadt denn heißen: Fürnberg vielleicht? Oder Nürth? Oder ganz trocken und nüchtern: Nürnberg-Fürth? Dieses Nürnberg-Fürth, oder wie auch immer es geheißen hätte, zählte heute knapp 650.000 Einwohner, vorausgesetzt es hätte sich ähnlich entwickelt wie die beiden Städte einzeln. Es würde aktuell den sechsten Platz unter den deutschen Großstädten belegen – hinter Frankfurt, vor Stuttgart.

Die erste Idee zur Fusion von Nürnberg und Fürth

Der Winter 1920/21 droht, hart zu werden. Zwei Jahre nach dem Ende des ersten Weltkriegs hat sich Bayern wirtschaftlich kaum erholt. Die Städte Nürnberg und Fürth, das industrielle Zentrum des Freistaats, liegen darnieder.

"Fürth war ganz schwer angeschlagen. Die ganzen Industriebetriebe in Fürth sind quasi in sich zusammengebrochen. Es gab ganz viele Arbeitslose, viele Soldaten, die nicht mehr zurück ins normale Leben gefunden haben. Fürth war sehr verarmt, Nürnberg ging's auch nicht gut."

Martin Schramm, Leiter des Fürther Stadtmuseums

Am 29. November 1920 treffen sich zwei verzweifelte Stadtoberhäupter: Hermann Luppe, Oberbürgermeister von Nürnberg, und Robert Wild, Oberbürgermeister von Fürth. Beide lieben ihre Stadt. Aber sie wissen: So kann es nicht weitergehen.

"Es sind zwei große Städte nebeneinander, schon zusammengebaut. Es gibt zwei Bürgermeister, es gibt zwei Verwaltungen, zwei Betriebe für den öffentlichen Verkehr. Man muss das doch aus ganz logischen, rationalen Gründen zusammenschließen, damit es den Menschen besser geht. Damit man das Geld spart und das Geld in soziale Projekte stecken kann."

Martin Schramm, Leiter des Fürther Stadtmuseums

Die Rathauschefs, die einige ihrer Stadträte mit dabei haben, treffen an diesem Abend im November 1920 einen Entschluss: Beide Städte werden sich in den kommenden Monaten Gedanken darüber machen, wie eine mögliche Einheitsgemeinde aussehen könnte. Die pragmatische Vernunft hat das entschieden. Das Herz muss schweigen.

Was Nürnberg und Fürth trennt: Kapitel 1 – Die Geschichte

Nürnberg und Fürth im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit – unterschiedlicher könnten die beiden Nachbarstädte kaum sein. Nürnberg – die freie Reichsstadt mit Kaiserburg, wehrhafter Stadtmauer, eleganten Patrizierhäusern und selbstbewussten Bürgern. Kaiser und Könige gehen ein und aus. Die wichtigsten Handelsstraßen Europas treffen sich in der Stadt. Fürth ist zu diesem Zeitpunkt ein kleiner Marktflecken im Westen von Nürnberg, eine Ansiedlung mit landwirtschaftlichen Gehöften und kleinen Handwerksbetrieben. Es gibt keine Stadtmauer, keinen mächtigen Kaiser, unter dessen Schutz man steht. Stattdessen streiten sich jahrhundertelang drei Herren um Fürth und seine Einwohner.

"Die drei Herren waren die Domprobstei Bamberg, das Markgrafentum Brandenburg-Anbsach und die Reichsstadt Nürnberg. Die haben sich um verschiedene Rechte gestritten, und es wurde nie endgültig geklärt, wer welche Rechte hat. Oft galt das Recht des Stärkeren, wer hat gerade mehr Truppen in der Nähe. Nürnberg war die Freie Reichsstadt mit besonderen Rechten, direkt dem Kaiser unterstellt und mit eigener Gerichtsbarkeit, während Fürth immer schauen musste, wie war es jetzt gerade? Hat das Ganze aber auch gut genutzt durch diese Widersprüchlichkeiten."

Martin Schramm, Leiter des Fürther Stadtmuseums

Erlaubt der Domprobst etwas nicht, so wird es der Markgraf schon gestatten – und umgekehrt. Vielleicht entsteht so die bis heute andauernde Rivalität zwischen den beiden Nachbarn: Fürth, das immer einen latenten Minderwertigkeitskomplex mit sich herumträgt gegenüber dem viel größeren, mächtigen Nürnberg. Und Nürnberg, das herabschaut auf das viel kleinere und wenig herrschaftliche Fürth, und gleichzeitig ein bisschen neidisch und misstrauisch auf die Entwicklung der Nachbarstadt blickt. Denn in Fürth lassen sich zu der Zeit immer mehr Handwerksbetriebe nieder. Die Zunftordnung ist weniger streng ist als im benachbarten Nürnberg. Und es kommen immer mehr jüdische Familien nach Fürth. Aus Nürnberg werden sie durch Pogrome immer wieder vertrieben. In Fürth können sie verhältnismäßig sicher leben und tragen über die Jahrhunderte zum Wohlergehen und Gedeihen der Stadt bei.

1806 endet die voneinander unabhängige Stadtentwicklung. Nürnberg und Fürth kommen zum Königreich Bayern. Ab sofort gelten in beiden Städten die gleichen Regeln und Gesetze. Und bald gibt es ein erstes gemeinsames Projekt.  Denn in Großbritannien tritt ein neues Fortbewegungsmittel seinen Siegeszug an: Die Eisenbahn. Sie soll auch in Bayern die Industrialisierung schneller voranbringen. 1834 werden die ersten Eisenbahnschienen auf dem europäischen Festland verlegt – und zwar zwischen Nürnberg und Fürth. Ein Jahr später fährt der Adler vom Nürnberger Plärrer zur Fürther Freiheit.

1921: Fürther Stadtrat debattiert über Fusion

Ein Jahr ist vergangen, seit die beiden Oberbürgermeister und ein Ausschuss von Stadträten im November 1920 beschlossen hatten, zumindest mal den Gedanken an eine Fusion von Nürnberg und Fürth zuzulassen. Im Spätherbst 1921 signalisiert der Nürnberger Oberbürgermeister Hermann Luppe, dass er die Idee gut findet. In Fürth macht man daraufhin Nägel mit Köpfen. Es ist der 1. Dezember 1921. Um 15 Uhr kommt der Fürther Stadtrat im Rathaussaal zusammen. Es geht in den kommenden Stunden letztendlich darum, ob man sich selbst abschafft. Bis nach Mitternacht debattieren die Stadträte und -rätinnen über eine mögliche Fusion mit Nürnberg. Um 0.15 Uhr wird die Sitzung ergebnislos abgebrochen. Aber nach einer kurzen Nacht geht die Debatte schon am nächsten Tag weiter. Der Stadtrat beschließt, eine namentliche Probeabstimmung zu machen: Wer ist für, wer ist gegen eine Fusion.

Vor allem bei einem Stadtrat wollen die rationalen Gründe nicht die Oberhand gewinnen: Paul Fronmüller, 57 Jahre alt, Stadtpfarrer von Fürth. Er sitzt für die „Bürgerliche Arbeitsgemeinschaft“, eine nationalliberale und konservative Wählerliste, im Stadtrat. Fronmüller votiert in der Probeabstimmung gegen die Fusion. Er will alles tun, um die Eigenständigkeit von Fürth zu erhalten.

Was Nürnberg und Fürth verbindet: Kapitel 1 – U-Bahn, Bus und Straßenbahn

Der Nürnberger Straßenbahnfahrer Kurt Gottschalk hat am 20. Juni 1981 einen langen Arbeitstag vor sich, aber: "Das ist ein besonderer Tag, den muss man miterleben", sagt Kurt Gottschalk. 99 Jahre lang war die Straßenbahn von Nürnberg nach Fürth und zurück unterwegs. Das einhundertste Jubiläum schafft sie nicht mehr. An jenem 20. Juni 1981 – eigentlich ist es schon der 21. Juni, denn die letzte Fahrt startet weit nach Mitternacht – ist Kurt Gottschalk als Schaffner mit dabei, als die letzte Tram den Fürther Hauptbahnhof verlässt und sich auf den Weg ins Depot an der Nürnberger Maximilianstraße macht.

"Man blickt wehmütig zurück, weil man weiß, am nächsten Tag oder am übernächsten kommt die große Schere und die Oberleitung wird abgeschnitten. Und das ist ein Streckenabschnitt, der uns allen nachgegangen ist, weil er einer der schönsten und längsten im Nürnberger Straßenbahnnetz war. Man konnte hier längere Strecken mal eine höhere Geschwindigkeit fahren. Man war ab dem Plärrer vom Autoverkehr getrennt. Wenn du am Plärrer am Hochhaus vorbeigefahren bist, hast Du gewusst, du hast noch drei, vier Kreuzungen, und dann ging's runter nach Fürth."

Kurt Gottschalk, ehemaliger Straßenbahnfahrer

Die Straßenbahnverbindung ist lange so etwas wie die Hauptschlagader zwischen Nürnberg und Fürth. Sie wird 1981 allerdings nicht einfach gekappt, sondern zu großen Teilen unter die Erde gelegt. Seitdem verbindet die U-Bahnlinie U1 die beiden Städte. Fürth ist damit die kleinste deutsche Großstadt mit einer U-Bahn. Neben der Hauptschlagader U1 gibt es zwölf Buslinien, die jeden Tag auf den verschiedensten Routen die Stadtgrenze zwischen Nürnberg und Fürth überqueren. Manche werden von den Nürnberger Verkehrsbetrieben VAG betrieben, manche vom Fürther Pendant, der infra.

"Die Bürgerinnen und Bürger nehmen die Stadtgrenze nicht wahr. Für den Autofahrer ist es völlig unerheblich, was auf dem Ortsschild steht, das ist ein Siedlungsgebiet. Und so soll es für den Nahverkehrskunden möglichst auch sein. Das Ziel ist, auch wenn im Hintergrund zwei Organisationen stehen, dass für den Fahrgast möglichst alles einheitlich sein soll. Bei der U-Bahn ist es ganz extrem, da merkt er gar keinen Unterschied, höchstens, dass die U-Bahnhöfe in Fürth architektonisch anders gestaltet sind als in Nürnberg."

John Borchers, Nürnberger Verkehrsbetriebe VAG

1921: Das Volk soll über eine mögliche Fusion abstimmen

Im Dezember 1921 hat im Fürther Stadtrat eine denkwürdige Abstimmung stattgefunden. Auch wenn es offiziell nur eine Probeabstimmung war, so gibt sie doch die Marschrichtung vor: Eine deutliche Mehrheit der Stadträte und -rätinnen hat sich für eine Fusion mit der Nachbarstadt Nürnberg ausgesprochen.

Einem passt das überhaupt nicht. Stadtpfarrer Paul Fronmüller ist ein entschiedener Gegner der Fusion. Fürth muss eigenständig bleiben, davon ist er überzeugt. Als die Fürther Stadträte über eine zweite Frage abstimmen, bekommt Fronmüller seine Chance. Die Frage lautet: Soll zur Fusion der Städte eine allgemeine Volksabstimmung abgehalten werden? Nach einer hitzigen Diskussion, tumultartigen Zuständen und einer Sitzungsunterbrechung sprechen sich alle 42 Stadträte für eine Volksabstimmung aus.

Stadtpfarrer Fronmüller legt sofort los. Er hat sieben Wochen Zeit. Die Volksabstimmung soll am 22. Januar 1922 stattfinden. Mitstreiter hat er schon: Bereits 1918 hatte Fronmüller zusammen mit dem Vorsitzenden der Israelitischen Realschule Isaak Löb Weiskopf und der Stadträtin Babette Bauer den Verein "Treu Fürth" gegründet – "zur Wahrung der Interessen der Stadt Fürth", wie es in der Satzung heißt. Sie wollen gemeinsam für die Volksabstimmung mobilisieren. Natürlich in ihrem Sinne – eine Abstimmung für die Eigenständigkeit Fürths. Die Befürworter der Fusion verweisen dagegen auf die katastrophale wirtschaftliche Lage und versprechen bessere Lebensbedingungen. Plakate werden entworfen, gedruckt und aufgehängt, Zeitungsanzeigen geschaltet. Der Countdown läuft.

Was Nürnberg und Fürth trennt: Kapitel zwei – Der Fußball

"Der Opa oder der Vater, der nimmt dich mit zu den Fürthern oder zum Club. Das wird dir eingetrichtert. Die Abneigung ist einfach da. Das wird’s auch immer geben."

Patrick Benninger, Fanbeauftragter der SpVgg Greuther Fürth

"Wenn es ein Nürnberger ist, der wächst halt damit auf: Die Schalker mögen wir, zu Rapid Wien gehen wir gerne. Die Bayern und die Fürther mögen wir nicht."

Jürgen Bergmann, Fanbeauftragter des 1. FC Nürnberg

Der Fanbeauftragte des 1. FC Nürnberg Jürgen Bergmann (li.) und der Fanbeauftragte der Spielvereinigung Greuther Fürth Patrick Benninger (re.)

Patrick Benninger und Jürgen Bergmann sind Fanbeauftragte – von der Spielvereinigung Greuther Fürth beziehungsweise vom 1. FC Nürnberg, vom "Club". Fanbeauftragte sind Kontakt- oder Verbindungsleute zwischen den Vereinen und der Fanszene. Ein gemeinsames Interview mit beiden? Das könne ja nur an der Stadtgrenze stattfinden, sagt der Nürnberger Fanbeauftragte Jürgen Bergmann am Telefon. Meint er das ernst? Oder ist das ein Scherz? Es ist nicht so wirklich rauszuhören. Na gut, dann also ein Treffen an der Stadtgrenze. Zumindest fast: Das Sportgelände des SC Germania im Nürnberger Stadtteil Schniegling ist nur einen Steinwurf vom Fürther Ortsschild entfernt. Aber eben gerade noch in Nürnberg. Der Clubberer Jürgen Bergmann hat Oberwasser. "Hallo Patrick, willkommen in der schönsten Stadt der Welt, darf ich mal deine Aufenthaltsgenehmigung sehen", sagt Bergmann. "Grüß dich Jürgen, die hab ich noch nicht beantragt. Weil letzte Saison hab ich die nicht gebraucht", sagt Benninger. "Das war gemein", erwidert Bergmann. Und dann lachen beide.

Der Fürther Patrick Benninger trifft zielsicher die Wunde. Zum ersten Mal in der über 100-jährigen Geschichte der beiden Vereine hat Fürth in der vergangenen Saison höherklassig gespielt als Nürnberg: Die Spielvereinigung Greuther Fürth in der ersten Bundesliga, der 1. FC Nürnberg in der zweiten. Für die Leute war das "ein Stich ins Herz", sagt Bergmann. Den Fürthern habe das aber gut getan, es ging schließlich um "Klein-Fürth gegen Groß-Nürnberg", so Benninger.

Jürgen Bergmann und Patrick Benninger haben ein seltsames Zwitterverhältnis zueinander: Die Rivalität und die Konkurrenz zwischen den Vereinen nehmen sie ernst und sprechen ganz selbstverständlich von "Abneigung". Als Fanbeauftragte müssen sie nah dran sein an den jeweiligen Fans und gleichzeitig vermitteln zwischen Verein, Sicherheitskräften und der Szene. Aber hier sitzen sie nebeneinander auf der Bank, scherzen und wirken vertraut miteinander.

"Ich würde sagen: Jürgen was ist denn los, wenn er mir keinen Spruch drückt und mir die Tür öffnet, dass ich den nächsten Spruch hinterherschieben kann."

Patrick Benninger, Fanbeauftragter der SpVgg Greuther Fürth

"Es ist ja auch bei Brüdern oft so, dass eine Rivalität da ist und die versuchen, sich zu messen. Das ist ja kein Nürnberg-Fürther Phänomen. Überall da, wo Vereine sehr nah beieinander sind, eine große Tradition haben, auch ein großes Fanaufkommen haben, da ist es eigentlich überall so, dass es sehr rivalisierend ist und diese Abneigung da ist."

Jürgen Bergmann, Fanbeauftragter des 1. FC Nürnberg

Diese Abneigung muss schließlich gepflegt werden! Eine Städtefusion wäre da nur hinderlich gewesen. Zwar gab es beide Fußball-Vereine schon, als die Fusionspläne konkret wurden. Und vielleicht hätten sie auch nach einem Zusammenschluss der Städte weiter unabhängig voneinander existiert. Auch München hat mit den Bayern und den Löwen schließlich zwei große Traditionsvereine. Allerdings ist da ganz klar, wer die Nummer eins und wer die Nummer zwei ist. In einem Liga-Derby treffen die Bayern und die 60er eher selten aufeinander. Und so bleibt das Nürnberg-Fürth-Derby das älteste und meist gespielte Fußballderby in Deutschland.

1922: Volksabstimmung zur geplanten Fusion von Nürnberg und Fürth

Die Fränkische Tagespost vom 21. Januar 1922

Am 22. Januar 1922, einem Sonntag, ist Fürth in den Stadtfarben grün und weiß dekoriert. Pferdefuhrwerke und Lastwagen tragen Banner mit der Aufschrift "Wir sind Fürther und bleiben Fürther". Der Verein "Treu Fürth" mit Stadtpfarrer Paul Fronmüller an der Spitze hat mobilgemacht. An diesem Sonntag findet in Fürth die Volksabstimmung zur geplanten Fusion mit Nürnberg statt. Für Fronmüller und seine Mitstreiter die vielleicht letzte Möglichkeit, die vom Fürther Stadtrat eigentlich schon beschlossene Städtefusion noch zu verhindern.

Das Ergebnis der Volksabstimmung ist eindeutig: Die Gegner der Fusion bekommen knapp 65 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der Einsatz von Paul Fronmüller und seinem Verein hat sich gelohnt: Die Mehrheit der Fürtherinnen und Fürther will eigenständig bleiben. Doch die Volksabstimmung als Mittel der direkten Demokratie ist in der noch jungen Weimarer Republik neu. Im Fürther Stadtrat weiß man zuerst nicht so recht, wie man mit dem Bürgervotum umgehen soll. Rechtlich bindend ist es nicht, der Stadtrat könnte sich darüber hinwegsetzen und die Fusionspläne weiter vorantreiben. Aber Oberbürgermeister Robert Wild will keine so weitreichende Entscheidung gegen die Mehrheit der Fürther Bürgerinnen und Bürger treffen. Auf seinen Vorschlag hin tritt der gesamte Fürther Stadtrat im Februar 1922 zurück. Bei den anschließenden Neuwahlen ändern sich die Mehrheitsverhältnisse. Die Gegner der Fusion fahren deutliche Gewinne ein. Fürth bleibt Fürth.

Was Nürnberg und Fürth verbindet: Kapitel zwei – Gegenwart und Zukunft

"Für beide Städte ist das die beste aller Entscheidungen, weil jede Stadt ihre eigenen Wesenszüge hat, ihre eigene Erfolgsstory hingelegt hat. Wenn man schaut, was an Möglichkeiten in beiden Städten verloren gegangen wäre, wenn man sich nicht in einer gesunden Konkurrenz weiterentwickelt hätte, das wäre sehr traurig."

Thomas Jung, Fürths Oberbürgermeister

"Die eine Ebene ist das Gefühlte. Man ist stolzer Nürnberger. Ich glaube, es gibt auch stolze Fürther. Das ist richtig und gehört sich auch so. Aber man muss auch sagen, wenn man sich die Politik von heute anschaut, die Verwaltung und die Gelder, die uns noch zur Verfügung stehen, dann gibt’s manchmal Punkte, wo ich sage, manche Zusammenschlüsse würden weniger Geld verbrauchen, weil man Synergieeffekte nutzen könnte. Aber das ist vorbei, weil eine Fusion oder eine neue Zuordnung wäre nicht mehr durchsetzbar, glaube ich, weil es menschelt überall. Das braucht man nicht mehr diskutieren."

Marcus König, Nürnbergs Oberbürgermeister

Eine Fusion von Nürnberg und Fürth ist im 21. Jahrhundert nicht mehr vorstellbar. Zu eigenständig und erfolgreich sind beide Städte. Komplett zusammengewachsen sind sie trotzdem. Sie teilen sich Wohnviertel, Gewerbegebiete und eines der größten zusammenhängenden Gemüseanbaugebiete Deutschlands: Das Knoblauchland. Keiner kann ohne den anderen, sagt der Fürther Oberbürgermeister Jung:

"Ich habe es miterlebt, wie man im Fürther Stadtrat die Entscheidung begrüßt hat, dass Quelle in Leipzig ein neues Versandzentrum baut. Mit der Begründung: Hauptsache nicht in Nürnberg. Also am liebsten in Fürth, aber Hauptsache nicht in Nürnberg. Das hat sich ja vollkommen gewandelt. Mittlerweile haben alle Rathausleute begriffen, Fürth kann es nicht gut gehen, wenn es Nürnberg schlecht geht und umgekehrt. Wir hängen so stark zusammen. Jeder Investor in Nürnberg ist willkommen. Der schafft Arbeitsplätze, die auch potenziell Fürther besetzen können."

Thomas Jung, Fürths Oberbürgermeister

Ein neues gemeinsames Projekt gibt es auch, und es hat wieder mit der Hauptschlagader, der alten Nürnberg-Fürther Eisenbahnlinie, zu tun, berichtet Nürnbergs OB König.

"Wir werden jetzt zwei Jahre lang den Metropolmarathon Nürnberg-Fürth, Fürth-Nürnberg an der Ludwigsbahnstrecke organisieren. Also dort, wo der alte Adler seine Strecke gehabt hat. Es gibt bisher den Fürther Marathon und den weiten wir für die nächsten beiden Jahre aus, damit wir unsere beiden Städte nicht nur so verbinden, sondern auch sportlich enger zusammenbinden. Das Projekt haben wir jetzt gestartet. Wir haben Sponsoren gesucht. Und die Verträge werden in diesem Jahr unterschrieben, dass wir das gemeinsam organisieren."

Marcus König, Nürnbergs Oberbürgermeister

42,2 Kilometer über die Stadtgrenze hinweg und wieder zurück. Und wetten – die Läuferinnen und Läufer werden sie noch nicht einmal bemerken.


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