Bayern 2


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Der wahnsinnig geniale Dichter Oskar Panizza

Spektakuläre Literaturskandale und ein umstrittenes Leben zwischen Genie und Wahn. Oskar Panizza, Psychiater und Schriftsteller, schrieb an gegen Staat und Kirche, sexuelle Tabus und bürgerliche Moral. Eine Wiederentdeckung.

Von: Thomas Grasberger

Stand: 25.09.2021 | Archiv

"Sonntag, 23. Oktober 1904:
Irrsinnig.
Der bekannte Münchner Schriftsteller Dr. Oskar Panizza, der zuletzt hier in der Leopoldstraße wohnte, ist am Donnerstag irrsinnig geworden. Seine Freunde haben den traurigen Fall allerdings schon lange vorausgesehen."

(Kurzmeldung im Münchner Stadtanzeiger der Allgemeinen Zeitung)

Wahnsinn in "Wahnmoching"!

Siegestor, München Schwabing (1906)

Zugetragen hat sich die Geschichte im Münchner Stadtteil Schwabing, der seinerzeit auch "Wahnmoching" genannt wird. Weil dort viele seltsame Leute hausen – Schriftsteller, Malerinnen, Philosophen, Lebenskünstler. Allerhand entrückte und entzückte und nicht selten verkrachte Existenzen, die sich wenig um bürgerliche Werte scheren. Dass allerdings am helllichten Nachmittag ein 50-Jähriger, nur mit Unterwäsche bekleidet, von der Feilitzschstraße bis zum Siegestor läuft, ist selbst für "Wahnmochinger" Verhältnisse ungewöhnlich. Zumal der Flitzer ein stadtbekannter Herr ist.

Dr. Oskar Panizza, Arzt und Psychiater - nun also selbst "irrsinnig"!

Kein Wunder, mag mancher Münchner Zeitungsleser raunzen. Panizza? War das nicht das Enfant terrible der bayerischen Literatur? Der seltsame Schriftsteller, der zehn Jahre zuvor einen heftigen Skandal ausgelöst hatte: Mit dem "Liebeskonzil" – einem Theaterstück, das nie aufgeführt wurde. Aber für ein Jahr Zuchthaus hat's trotzdem gereicht. Ein einzigartiger Fall in der europäischen Literaturgeschichte!

Ein Leben voller Dramen und Eklats

Oskar Panizzas dramatische Vita, die 1853 im unterfränkischen Kissingen begann, war eine Geschichte voller Dramen und Eklats. Schon seine Kindheit und Jugend wurde zur Zerreißprobe. Pastor sollte der Bub werden, doch er verweigerte sich, machte nach einigen Umwegen Karriere als Arzt und Psychiater.

Vom Psychiater zum Skandalschriftsteller

Oskar Panizzas "Liebeskoncil" wurde zum Theaterskandal

Weil sich ihm auch beim Sezieren von Gehirnen die Geheimnisse der menschlichen Seele nicht erschlossen, wurde Panizza Schriftsteller, schloss sich der Münchner Moderne an und ging mit seinem Theaterstück "Das Liebeskonzil" auf Konfrontationskurs. Nichts schien diesem hochintelligenten und belesenen Satiriker heilig zu sein. Er polemisierte gegen die katholische Kirche, später auch gegen den protestantischen Kaiser, den deutschen Obrigkeitsstaat und die eigene Psychiater-Zunft. Die Rechnungen dafür waren hoch: Zuchthaus, Flucht ins Ausland, Verfolgung und schließlich ein Exil im Wahn, bis zum Tod 1921.

Die Skandalgeschichten um Oskar Panizza sind damit aber längst noch nicht vorüber!

Veranstaltungstipp:

Oskar Panizza
Digitale Ringvorlesung zum 100. Todestag
Monacensia im Hildebrandhaus
Abschlussveranstaltung:
'Panizzas Todestag'
28. September 2021, 18.30 Uhr

Weiteren Informationen und ein interaktives Begleitprogramm mit Podcast, Film- und Blogbeiträgen finden Sie zeitnah unter: https://panizza.arizona.edu/
Veranstalter*innen: Prof. Dr. Joela Jacobs (University of Arizona) & Dr. Nike Thurn in Kooperation mit der Monacensia im Hildebrandhaus und der Panizza Geburtsstadt Bad Kissingen

Buchtipp:

Oskar Panizza. Ein Lesebuch (edition monacensia)

  • Herausgeber/Autor: Michael Bauer
  • Herausgeberin/Autorin: Christine Gerstacker
  • Verlag: Allitera Verlag; 1. Edition (30. September 2019)
  • Taschenbuch: 320 Seiten

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