Bayern 2


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Zum 60. Geburtstag von Werner Fritsch Die Oberpfalz als literarischer Kosmos

Sein literarischer Durchbruch war der Roman "Cherubim", die phantastische Geschichte eines einfachen Knechts, der Analphabet war - und dennoch ein großer Erzähler. Dem Archaischen und Phantastischen ist Werner Fritsch immer treu geblieben.

Von: Bernhard Setzwein

Stand: 25.04.2020 08:05 Uhr | Archiv

Würde das Oberpfälzer Stiftland nach den Büchern, Filmen, Theaterstücken und Hörspielen von Werner Fritsch gestaltet werden, es sähe in der Tat völlig anders aus. Die Neubauviertel mit ihren Wäldern aus Satellitenschüsseln, die auch hier längst beweisen, dass die Globalisierung Einzug gehalten hat, würden verschwinden. Alle Schneisen und Wunden, die der Landschaft geschlagen wurden, müssten geheilt werden. Etwas mehr Geheimnis zöge wieder ein.

Eine archaische Welt voller Naturmystik

Aufgewachsen ist der am 4. Mai 1960 geborene Werner Fritsch auf der Hendelmühle, einem Sägewerk und Einödhof im Oberpfälzer Stiftland.

Da die Eltern wenig Zeit hatten, nahm sich Wenzel Heindl, der etwas sonderliche Knecht des Hofes, des kleinen Buben an. Der Mann, früh gehandicapt durch eine Kinderlähmung, ohne jegliche Schulbildung, aber ausgestattet mit einer blühenden Phantasie, eröffnete dem "Wernderl" eine archaische Welt voller Naturmystik, kindlichen Jenseitsglaubens und wild fabulierender Phantastik.

Werner Fritsch hat das alles aufgezeichnet, auf Tonbänder, Schwarzweiß-Filmmaterial und in einem ersten Buchmanuskript, in dem er die wundersame "oral history" des Wenzel zu einem unverwechselbaren Stück bayerischer Literatur formte. Der Roman "Cherubim", ausgezeichnet mit dem Robert-Walser-Preis, machte Werner Fritsch über Nacht bekannt.

Der "Wondreb-Kosmos" seiner Herkunft

Mysteriöser "Wondreb-Kosmos"

Seitdem hat Fritsch eine Vielzahl an Theaterstücken und Prosabüchern veröffentlicht, hat eigene Hörspiele gestaltet und sich auch als Autorenfilmer hervorgetan. Auch wenn in Arbeiten wie "Enigma Emmy Göring" (Hörspiel des Jahres 2008) die verhängnisvolle deutsche Geschichte sein Ausgangsmaterial war, so gründen letzten Endes doch all seine Arbeiten in jenem besonderen "Wondreb-Kosmos" seiner Herkunft, dessen Fixpunkte man angeben könnte mit dem KZ Flossenbürg, der Totentanzkapelle in Wondreb und eben der Hendelmühle, die nur wenige Kilometer von der böhmischen Grenze entfernt liegt.

Bernhard Setzwein hat Werner Fritsch dort besucht und mit ihm über seinen außergewöhnlichen Lebens- und Schreibweg gesprochen, auf dem das katholische Internat der Mallersdorfer Schwestern ebenso eine Rolle spielte wie etwa die frühe Begegnung mit Herbert Achternbusch.

Wiederholung aus Anlass des 60. Geburtstags von Werner Fritsch am 4. Mai 2020. (BR 2009)

Buchtipps:

Cherubim

  • Autor: Werner Fritsch
  • Taschenbuch: 254 Seiten
  • Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 2 (29. August 1989)
  • ISBN-10: 3518381725
  • ISBN-13: 978-3518381724

"Cherubim" ist Werner Fritschs erste Buchveröffentlichung. In zweihundertdrei Geschichten läßt sich lesen, wie einer, der an die Ewigkeit glaubt und daran, daß er dereinst "unter Cherubim" sein wird, "sein" und "unser" Jahrhundert erfahren hat: das Aufwachsen im Lumpenproletariat einer kleinen Porzellanstadt, die Arbeit auf Bauernhöfen, das Hochkommen eines Mannes, mit dem Wenzel sich urverwandt glaubt und der für ihn noch heute "der Hiltler" heißt, den Neubeginn nach dem Krieg, den Siegeszug der Technik, der vor den Wohnstuben nicht haltmacht, das langsame Älterwerden – Erfahrungen von Glück und Unglück, von Leben und Tod.



Enigma Emmy Göring

  • Autor: Werner Fritsch
  • Taschenbuch: 51 Seiten
  • Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 1 (1. Oktober 2007)
  • ISBN-10: 351841951X
  • ISBN-13: 978-3518419519


Es gibt keine Sünde im Süden des Herzens

  • Autor: Werner Fritsch
  • Broschiert: 302 Seiten
  • Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 1 (21. Dezember 1998)
  • ISBN-10: 3518121170
  • ISBN-13: 978-3518121177

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