Der Glücksfund Sechs Leinentaschen aus dem 16. Jahrhundert
Jahrhundertelang lagerten im Regensburger St. Katharinenspital sechs Taschen voller Dokumente. Ihr Eigentümer, ein Diplomat, hatte sie dort im Jahr 1531 deponiert, aber nie abgeholt. Sie sind bis heute erhalten und erzählen vom Alltag eines "Networkers" aus dem 16. Jahrhundert.

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"Wir, Karl der fünft, von Gottes Gnaden erwählter römischer Kaiser, haben unseren lieben getreuen Johann Maria Warschitz zu uns in Hispanien verordnet. Damit er sicher wandern und unverhindert durchkommen möge, befehlen wir euch allen hiermit ernstlich, dass ihr denselben in und durch unser und euer Fürstentum, Herrschaft, Lande und Gebiet zu Wasser und zu Lande frei, sicher und unbelaidigt durchkommen und wandern lasset. Geben in unser Reichs Stadt Nürnberg am zweiten Tag des Monats März nach Christi Geburt fünfzehnundert und dreiundzwanzig."
(Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches)
Wie sah im 16. Jahrhundert ein Reisepass aus?
Welches Verkehrsmittel wurde benutzt, wenn man es wirklich eilig hatte? Auf welche Art bekam ein hoher Adeliger heraus, ob die vornehme Dame am weit entfernten Fürstenhof vielleicht die passende Gemahlin wäre? Oft sind die Antworten auf derartige Fragen gar nicht so einfach zu finden, denn vieles aus jener Zeit ist verloren gegangen, und manches wurde auch gar nicht erst aufbewahrt, weil es zu brisant war oder auch einfach zu alltäglich.
Die Dokumente des Diplomaten und "Networkers" Johann Maria Warschitz
Umso aufsehenerregender ist der Inhalt von sechs Leinentaschen, die jahrhundertelang weitgehend unbeachtet im Regensburger St. Katharinenspital lagerten. Ihr einstiger Besitzer war der Diplomat Johann Maria Warschitz, der hier 1531 einen Teil seiner Unterlagen für eine spätere Rückkehr nach Regensburg deponierte, die jedoch nie erfolgte.
Mehr dazu weiß der Historiker Georg Kaulfersch, der sich seit einiger Zeit intensiv mit diesem "Glücksfund" beschäftigt.
"Also es handelt sich in der Tat um ein Quellen-Konvolut, welches für einen Historiker ein Faszinosum ist, ein absoluter Glücksfall aus mehreren Gründen. Zum Ersten ist der Bestand singulär. Es gibt also aus dieser Zeit fast nichts Vergleichbares, und zum Zweiten ist dieser Bestand auch noch nicht durch hunderte Hände gegangen. Er ist also weitgehend unberührt."
(Georg Kaulfersch, Historiker)
So blieben bis heute unzählige Dokumente erhalten, die von Warschitz' Leben als Diplomat und "Networker" erzählen, von den Reisen, die er im Dienst seines Auftraggebers Friedrich von der Pfalz unternahm, aber auch von geheimen Verhandlungen und Liebesangelegenheiten.
Warschitz war Zeitgenosse von Luther, Heinrich VIII. und Albrecht Dürer
Johann Maria Warschitz lebte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Was ist das für eine Zeit? Martin Luther stürzt mit seinen Thesen die Kirche in Turbulenzen. Das reiche Handelshaus Fugger bestimmt von Augsburg aus die Entscheidungen von Kaisern, Königen und Fürsten mit. In England regiert der Blaubart Heinrich der VIII., und in Nürnberg steht der Malerfürst Albrecht Dürer auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Warschitz weiß vermutlich über all das bestens Bescheid - es ist die Welt, in der er sich bewegt.
"Warschitz war mittendrin in alledem; einerseits von Berufs wegen ist er immer bestens informiert, was nun gerade geschieht auf der politischen Bühne. Andererseits ist er eben auch selbst dabei, auf den großen Reichstagen, auf den Kaiserkrönungen, auf den Königskrönungen. Bei den großen politischen Ereignissen finden wir ihn überall, und er begleitet diese Ereignisse nicht nur, sondern er prägt sie auch mit, denn er ist Gesandter, Rat, Sekretär, fürstlicher Berater; und in all diesen Funktionen gestaltete er also das politische Geschehen seinerzeit mit."
(Georg Kaulfersch, Historiker)
Weiß man denn was über sein Privatleben?
"Offenbar war Warschitz nie verheiratet, denn es existieren keine 'legitimen' Kinder, muss man dazu sagen. Angesichts seines durchaus promiskuitiven Verhaltens ist jedoch davon auszugehen, dass er doch auch Nachkommen gezeugt hat."
(Georg Kaulfersch, Historiker)
Man weiß es nicht ... Johann Maria Warschitz, ein Handlungsreisender in Sachen Politik, tüchtig, sprachgewandt, bestens informiert und erstklassig vernetzt, hat uns mit sechs Leinentaschen voller Schriftstücke eine Art Schatzkiste hinterlassen. Vielen Dank an den Historiker Georg Kaulfersch, der sie für uns geöffnet hat!