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Die bayerische "Helena" Wie 1923 in München und Umgebung ein Monumentalfilm entstand

Manfred Noas "Helena" sollte der damals bereits geplanten amerikanischen Kinosensation "Ben Hur" von 1925 zuvorkommen. Wagenrennen in Schwabing, Seeschlacht auf dem Wörthsee, internationale Starbesetzung - die Kritik rühmte das "Hollywood im Isartal", selbst in Japan lief der Film in den Lichtspielhäusern. Friedemann Beyer erzählt die unglaubliche Entstehungsgeschichte des bayerischen Monumentalwunders im Bayerischen Feuilleton.

Von: Friedemann Beyer

Stand: 20.03.2021 | Archiv

"Helena" war die erste, aufwändigste und umfangreichste Verfilmung des antiken Stoffes in Deutschland. Der Stummfilm entstand 1923, inmitten eines beispiellosen Krisenjahres: Die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen und separatistische Tendenzen im Westen und Süden des Deutschen Reichs bedrohten die Existenz der jungen Weimarer Republik.

Die Hyperinflation vernichtete Volksvermögen und lähmte die Wirtschaft. Am 9. November schließlich versuchten Hitler und Ludendorff die Berliner Reichsregierung zu stürzen: Der Münchner Hitlerputsch löste ein politisches Erdbeben aus.

Vor diesem Hintergrund entstand in München und Umgebung "Helena". Der Monumentalfilm entstand ausgerechnet in einer Stadt, die in dieser Zeit nicht gerade als Nabel der Filmwelt galt. Denn das Zentrum der jungen deutschen Filmindustrie war damals Berlin. Hauptakteur dort: die Ufa.

Kino im München der 20er Jahre: "Emelka" und "Bavaria Filmhaus AG"

Plakat zu "Ben Hur" (1925)

Dem Beispiel der Ufa folgend, errichtete 1918 der Münchner Fotograf und Filmpionier Peter Ostermayr in der Bayerischen Landeshauptstadt die "Münchner Lichtspielkunst", kurz Em-el-ka. Dem expandierenden Emelka-Konzern schlossen sich bald weitere Produktionsfirmen an, darunter auch Erich Wagowskis Bavaria Filmhaus AG.

Wagowski plante Monumentales: Gemeinsam mit dem Berliner Regisseur Manfred Noa wollte er Homer verfilmen. Er witterte seine Chance, die amerikanische Konkurrenz, die bereits mit den Dreharbeiten zu "Ben Hur" begonnen hatte, mit einem ähnlichen Projekt zu überholen.

Schon bald nach Erfindung des Kinos Ende des 19. Jahrhunderts waren die Mythen der Antike für die Leinwand entdeckt worden. Die Idee: gehobene Stoffe sollten das Image des neuen Mediums aufpolieren.

Der Stummfilm Helena: Erstklassige Besetzung der Hauptrollen

Adele Sandrock, deutsch-niederländische Schauspielerin (1890)

Zum Erfolg des Film-Projekts sollte nicht zuletzt auch eine Riege internationaler Haupdarsteller wie die Italienerin Edy Darclea als Helena, Wladimir Gaidarow als Paris und Adele Sandrock als Hekabe beitragen. Dazu kamen einige Tausend Statisten sowie zahlreiche Tiere, darunter Ochsen, Rinder, Pferde, Esel und zwei Löwen.

Die Herstellungskosten von "Helena" betrugen bei Produktionsbeginn zehn Milliarden Reichsmark. Eine gigantisch anmutende Summe. Sie entsprach in jenen Wochen der gleichzeitig einsetzenden Hyperinflation etwa 100.000 US-Dollar.

"Der Film galt ja Anfang der 1920er Jahre in Deutschland als Goldgrube. Es war wie heute mit den neuen Medien. Man steckt Geld rein und hinten kommt noch mehr Geld raus. Das heißt, da investierten Industriefirmen und alle möglichen Mäzene. Da gab es Investitionen, die völlig unmöglich schienen. Ich weiß von Anlegern, die haben das Erbe ihrer Frau eingesetzt. Das war ein richtiger Hype!"

(Rolf Giesen, Filmhistoriker)

Tempelfeste in Schwabing und ein trojanisches Pferd am Wörthsee

Die Großproduktion der Bavaria AG sprengte alles bisher Dagewesene: Regisseur Manfred Noa inszenierte ein spektakuläres Wagenrennen auf einer ausgedienten Pferderennbahn im Münchner Norden. Opulente Tempelfeste wurden in Szene gesetzt, eine Löwenjagd bei Wolfratshausen, eine riesige Seeschlacht mit 80 Schiffen - auf dem Wörthsee.

Unter Einsatz eines maßstabsgerechten Holzpferdes vor eigens errichteter Stadtmauer spielte sich dort der Untergang Trojas ab, einige Mitwirkende ließen sich inmitten der herrschenden Hyperinflation in Bier und Holz bezahlen.

Käthe Hartmann

"Im Reichsfilmblatt konnte man lesen, dass die Bavaria-Filmgesellschaft vor den Toren Münchens draußen am Wörthsee eine gewaltige Stadt aus dem Boden gestampft hat, die an das kalifornische Los Angeles erinnert. Die Hütten von Sparta waren am jetzigen Badeplatz bei der Seewirtschaft. Klein und mit Binsen bedeckt. Oben auf dem Grünbichl stand eine wuchtige Burg. Bei den beiden unterhalb stehenden Eichen war der Opferaltar. Des Nachts wurde die ganze Pracht vom Nachtwächter Bäckers Karl aus Schlagenhofen bewacht."

(Käthe Hartmann, Enkelin eines Zeitzeugen)

Die Uraufführung von "Helena" fand in der Filmhauptstadt Berlin statt

Uraufgeführt wurde "Der Raub der Helena" nicht etwa in München, dem Ort seiner Entstehung, sondern in Berlin, am 4. Februar 1924.

"Wenn ein Film keine Berliner Premiere hatte, galt er als zweitrangig. Also es war eigentlich Pflicht, dass die Premiere in der Reichshauptstadt stattzufinden hätte, aus Prestigegründen."

(Rolf Giesen, Filmhistoriker)

Das Berliner Publikum und die Presse waren von "Helena" gleichermaßen begeistert. In München wurde "Helena" vier Wochen später, am 6. März 1924 in den Kammerlichtspielen in der Kaufingerstraße gestartet. Und auch hier wurde der Film ein großer Erfolg: 40.000 Besucher in dreieinhalb Wochen. Damit war "Helena" populärer als die zur gleichen Zeit laufenden deutschen Monumentalfilme "I.N.R.I." von Robert Wiene über das Leben Jesu sowie Fritz Langs "Die Nibelungen".

Doch Wagowski hoffte vergeblich: zwar konnte er den Film in die meisten europäischen Länder und sogar nach Japan verkaufen. Für den wichtigsten Markt, die USA, konnte er jedoch keinen namhaften Verleiher für sein Konkurrenzprojekt zu "Ben Hur" gewinnen.

"Der Film wäre in Amerika definitiv ein Erfolg gewesen. Er ist kein Erfolg geworden, weil Noa und Wagowski das Ziel hatten, gegen den amerikanischen Film anzutreten, gegen, und darauf dürften die Amerikaner mit einem stillschweigenden Boykott reagiert haben."

(Rolf Giesen, Filmhistoriker)

Erschwerend kam hinzu: Die Währungsreform vom Herbst 1923 beendete zwar die Phase der Hyperinflation, lähmte aber aufgrund des neuen, ungünstigeren Wechselkurses den Export deutscher Filme. 

"Ab dem Moment war es sowieso uninteressant, Filme dieser Art einzukaufen. Vorher hatte man das gemacht, da versprach es noch einen wirtschaftlichen Erfolg, danach sind immer weniger deutsche Filme dann auf den internationalen Markt gekommen."

(Rolf Giesen, Filmhistoriker)

Ein finanzielles Desaster für den Produzenten Erich Wagowski, dessen Bavaria-Filmhaus im Februar 1925 Konkurs anmelden musste. Danach versuchte er es mit einer neuen Produktionsfirma, erlitt aber auch mit ihr finanziellen Schiffbruch. Im Mai 1927 erschoss sich Erich Wagowski mit 34 Jahren.

Regisseur Manfred Noa verließ nach der Münchner Premiere von "Helena" die Stadt und kehrte nach Berlin zurück.

Münchens Grundstein als Filmstadt: Was wurde aus "Helena"?

"Helena", einer der Grundsteine Münchens als Filmstadt, geriet in Vergessenheit und galt Jahrzehnte lang als verschollen. Was blieb, fürs erste, waren Erinnerungen, die für die Nachgeborenen wie ein Märchen klangen:

Schauplatz der Schlacht um Troja: der Wörthsee , still und friedlich im Jahr 2021. Mit Glück findet man auch heute noch Requisiten.

"Die älteren Leute erzählten in den 60er und 70er Jahren voller Begeisterung von dem großen Ereignis, dass das verträumte Schlagenhofen für einen Sommer zum großen Filmschauplatz gemacht hatte. Und hin und wieder zog jemand aus dem Schlamm des Wörthsees einen alten Maßkrug oder ein hölzernes Schwert."

(Käthe Hartmann, Tochter einer Zeitzeugin)

1999 wendete sich das Blatt. Die Cinémathèque Suisse entdeckte in ihrem Bestand eine unvollständige Schweizer Kopie von "Helena", mit deutsch-französischen Zwischentiteln.

Der Schatz wurde an das Münchner Filmmuseum übergeben. Von hier aus begann die weltweite Suche nach weiteren Kopien. Die fehlende Anfangssequenz wurde in Italien entdeckt, ein Fragment des zweiten Teils in London. Szene für Szene wurde rekonstruiert und ergänzt, Fundstücke aus Spanien und Russland kamen dazu.

Dann war es geschafft: Nur fünf von 210 Film-Minuten waren wohl für immer verloren gegangen. 2001 lag "Helena" als Rekonstruktion des Originalfilms wieder vor und wurde im Fernsehen ausgestrahlt. Eine Wiedergeburt – fast 80 Jahre nach seiner Entstehung.

DVD-Tipp:

Helena - Monumentalfilm in 2 Teilen

1. Teil: Der Raub der Helena
2. Teil: Der Untergang Trojas


Copyright 2016: Filmverlag Fernsehjuwelen

Regisseur: Manfred Noa
Laufzeit: 3 Stunden und 34 Minuten
Darsteller: Edy Darclea, Wladimir Gaidarow, Hanna Ralph, Adele Sandrock, Albert Steinrück, Albert Bassermann
Erscheinungstermin: 16. Mai 2016
Sprache: Deutsch (Dolby Digital 2.0)
Studio: Alive - Vertrieb und Marketing/DVD
ASIN: B019G8STC2
Anzahl Disks: 1


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