Bayern 2


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Kaum zu fassen Das seltsame Tagebuch des Ignaz Meyer

Der königlich bayerische Volksschullehrer Ignaz Meyer verfasste zwischen 1870 und 1879 täglich Aufzeichnungen in Geheimschrift. Ulrich Zwack stellt dieses ungewöhnliche Tagebuch und seinen nicht minder ungewöhnlichen Verfasser vor.

Author: Ulrich Zwack

Published at: 21-5-2018 | Archiv

Niemand weiß, wie das weit über 350 Seiten starke Tagebuch ins Stadtarchiv von Aichach gelangte. Der derzeitige Archivleiter hat es auch nur rein zufällig entdeckt. Und wäre dem Werk kein Dechiffrier-Schlüssel beigelegen, könnte es keiner lesen. So aber gelang es dem Leiter des Aichacher Stadtmuseums, Christoph Lang und seinem Team, nicht nur den Text zu entschlüsseln, sondern auch herauszufinden, wer der Verfasser war: Ignaz Meyer, ein bayerischer Volksschullehrer, Gemeindeschreiber, Kirchenmusiker und Anwaltsgehilfe.

Christoph Lang, Leiter des Stadtmuseums Aichach, entdeckte durch Zufall das verschlüsselte Tagebuch

"Ich war mit einem Praktikanten von mir bei uns im Museumsdepot - also ich leite das Stadtarchiv und das Stadtmuseum in Aichach - und habe dem Praktikanten gesagt, dass wir unglaublich viele Museumsobjekte - darunter auch viele Bücher - haben, die noch nicht erfasst sind. Und das wirklich so manche Schätze darunter sind.

Und dann habe ich einfach mal in das Bücherregal hineingegriffen und habe gesagt: 'Zum Beispiel!' - und habe es aufgmacht und habe gemerkt, da sind nur irgendwelche komischen Ziffern und Zeichen drin und wollte es schon wieder zurückstellen. Da hat der Praktikant noch gesagt: 'Zoag amal her, was is des?'

Dann haben wir so kurz hineingeblättert. Und es lag ein Schlüssel drin, der irgendwann in den 1960er, 70er Jahren angefertigt worden war. Ein Schlüssel, der eine Geheimschrift entziffert.

Und der Praktikant hat einfach das Interesse gehabt, wirklich jetzt zu schauen, ob der Schlüssel mit den Inhalten was zu tun hat, ob das zusammenhängt. Und wir haben festgestellt, bei den ersten Textstellen schon: Das ist was völlig Ungewöhnliches, schon fast Abartiges. Und haben gesagt: 'Ja, das interessiert uns, dem gehen wir mehr nach!'"

(Christoph Lang, Leiter des Stadtmuseums Aichach)

Notorischer Hader mit Gott und der Welt

So bemerkenswert wie die Geschichte des Tagebuchs ist auch sein Inhalt. Hat der Autor doch akribisch und sachlich nüchtern alles festgehalten, was jeder andere tunlichst verschweigen würde: Seine permanenten Alkoholexzesse und die hochgradige Karten-Spielsucht. Seine Faulheit und die chaotische Schlamperei bei der Berufsausübung - und die Reaktionen von Eltern und Vorgesetzten darauf. Seine häufigen Jähzornausbrüche und die von Lieblosigkeit und körperlicher Gewalt geprägte Ehe. Kurzum, seinen notorischen Hader mit Gott und der Welt, der ihm innerhalb von zehn Jahren so manches blaue Auge, acht verschiedene Arbeitsstellen und sieben verschiedene Wohnsitze bescherte.

Meyer lebte eine facettenreiche Sexualität

Es wirkt, als habe Meyer nur Entspannung gefunden, wenn er abends in die Kleider seiner Frau schlüpfte und dann etwas las, strickte, nähte oder sich ans Spinnrad setzte. Trotzdem war er vermutlich kein verkappter Trans- oder Homosexueller; er war dem anderen Geschlecht vielmehr durchaus zugetan: Mit seiner Frau zeugte er vier Kinder. Daneben gönnte er sich den einen oder anderen Seitensprung und ging durchaus auch gelegentlich ins Bordell.

Auch wenn es vermutlich kein ganz normales, durchschnittliches Männerleben ist, das hier festgehalten wurde: Das seltsame Tagebuch des Ignatz Meyer ist in jedem Fall eine einzigartige Quelle.


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