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Historikerin Tanja Bültmann zum Brexit "Nicht die Zeit, müde zu sein. Wir müssen weiterkämpfen!"

Mit einem Video-Appell an die Welt hat die Deutsche Historikerin Prof. Tanja Bültmann via Twitter für mehr Courage der Brexit-Gegner geworben. Der Tweet wurde bereits tausendfach gesehen und geteilt. Über den Plan von Premier Johnson, das Parlament in den Zwangsurlaub zu schicken, ist sie schockiert.

Von: Veronika Lohmöller

Stand: 03.09.2019 | Archiv

Die in Großbritannien lebende deutsche Historikerin Tanja Bültmann. | Bild: privat

Die deutsche Historikerin Tanja Bültmann lebt in Großbritannien und bekommt die Debatte um den Brexit aus nächster Nähe mit. Sie ist eine von über drei Millionen EU-Bürgern, die in Großbritannien leben. Für sie hätte der Brexit auch eine ganz persönliche Komponente. Sie lehrt Migrationsgeschichte als Professorin im nordenglischen Newcastle.

 "Als Deutsche und Historikerin weiß ich, wie diese Geschichte enden kann", erklärt sie auf Twitter. In ihrem Tweet fordert sie Courage und nennt es "unsere Pflicht für Demokratie einzustehen".

Ihr Video-Appell im Original:

Tweet-Vorschau - es werden keine Daten von Twitter geladen.

Prof Tanja Bueltmann 🇪🇺🏳️‍🌈 - Mittwoch, 28. August 2019, 21:09 Uhr
As a German and a historian I know where this story can end. Today courage calls to courage everywhere. It calls to all of us. And it is our duty to listen to that call and to take a stand for our democracy. So let’s have that courage together! #StopTheCoup #Prorogation #prorogue https://t.co/12plUx4nr2

As a German and a historian I know where this story can end. Today courage calls to courage everywhere. It calls to all of us. And it is our duty to listen to that call and to take a stand for our democracy. So let’s have that courage together! #StopTheCoup #Prorogation #prorogue https://t.co/12plUx4nr2 | Bild: cliodiaspora (via Twitter)

Im Interview mit Bayern 2 zeigt sie sich schockiert, das Premierminister Boris Johnson das Parlament bis rund zwei Wochen vor dem Brexit-Termin in der Zwangsurlaub schicken möchte.

Sehen Sie die Demokratie in Großbritannien tatsächlich in Gefahr?

Ja, ganz genau. Der Brexit hat schon immer gegen die Demokratie gewirkt. Es gibt hier schon seit Monaten Diskussionen, inwiefern man überhaupt etwas gegen den Brexit sagen kann. Aber der Plan von Premier Johnson das Parlament bis kurz vor den geplanten Brexit in den Zwangsurlaub zu schicken, ist natürlich nochmal eine Steigerung. Ich bin schockiert. Der Brexit hebelt die Demokratie in Großbritannien aus.

Ich bin mir ganz sicher: Wenn wir hier auf ein anderes Land anderswo schauen würden, dann wäre das Entsetzen größer. Bei Großbritannien, glaube ich, können viele gar nicht so recht glauben, was hier passiert.

In Großbritannien sind schon etwa 1,6 Millionen Unterschriften bei einer Online-Petition gegen die Zwangspause des Parlaments zusammengekommen. Und das innerhalb von zwei Tagen. Auch Proteste finden statt und weitere sind geplant. Trotzdem setzen sich die Briten Ihrer Meinung nach zu wenig zur Wehr?

Ja, das muss ich leider so sagen. Ich weiß nicht, ob da die britische Reserviertheit eine Rolle spielt. Aber ich glaube, wären wir hier in Frankreich, würde es ganz anders aussehen. Und in Deutschland, denke ich, auch. Aber man darf auch nicht vergessen, dass die Menschen auch einfach müde sind – nach drei Jahren hin und her. Und man ist auch ausgelaugt davon, dass immer noch etwas schlimmeres passiert. Aber jetzt ist nicht die Zeit müde zu sein, wir müssen weiter kämpfen.  

Einer Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge, sieht fast die Hälfte der Briten diese Maßnahme mit der Zwangspause als nicht legitim an. Kann die Regierung das einfach übergehen?

Die Regierung hat ja schon vieles einfach übergangen. Ich glaube, das liegt auch daran, dass sich hier wirklich kaum jemand vorstellen kann, dass das alles wirklich passiert.

Sie beziehen schon seit langem Stellung: Sie twittern, Sie schreiben Artikel, Sie gehen auf die Straße. Welche Reaktionen ernten Sie für Ihr Engagement?

Da muss ich leider sagen: Damit macht man sich keine Freunde. Zumindest bekommt man da in sozialen Medien oft einen drauf – und das nicht auf besonders schöne Art und Weise. Frauen – auch auf Seiten der Brexit-Gegner – haben da einen schlechten Stand. Da wird auch sexualisierte Sprache benutzt, um einen mundtot zu machen. Nicht nur in sozialen Medien, auch im echten Leben gab es bereits etliche Situationen, die nicht besonders schön waren. Aber ich bin nicht bereit, mich einschüchtern zu lassen und mache weiter.

Was bedeutet der Brexit für Sie ganz persönlich?

Der ist für uns alle eine große Katastrophe. Und für mich persönlich: Wenn es zum Brexit kommt, müssen wir EU-Bürger uns alle hier neu bewerben, wenn wir bleiben wollen. Es ist eine Bewerbung, es ist keine Registrierung. Wie fühlt sich jemand, der schon seit 40 Jahren hier lebt und sich auf einmal bewerben muss, um bleiben zu können?

Vor zwei Wochen kam heraus, dass die neue Innenministerin schon wieder etwas plant, was im Falle eines ungeregelten Brexits die Situation für uns noch schlimmer machen würde. Im Prinzip würden wir dann über Nacht illegal werden.


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