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Höher, schneller, weniger Bayerns Volksfeste im Wandel

Gebrannte Mandeln, Blasmusik und natürlich ein Karussell gehören zu einem Volksfest einfach dazu. Doch egal ob Kirchweih in Franken oder Maibaumfest in Oberbayern: Die Zahl der Volksfeste in Bayern ist rückläufig.

Von: Carlo Schindhelm

Stand: 18.09.2018 | Archiv

Seit über 60 Jahren gibt es die Kirchweih im Bamberger Stadtteil Gartenstadt. Ein kleines Fest, das der Bürgerverein jedes Jahr ausrichtet. Der Erlös kommt der Verschönerung des Stadtviertels zu Gute. Matthias Neller organisiert als Vorsitzender des Bürgervereins Gartenstadt die Kirchweih ehrenamtlich zusammen mit etwa 50 Helfern.

Die Gartenstadter Kirchweih

Es ist eine kleine Kirchweih mitten im Stadtviertel: Ein Autoscooter, ein Kinderkarussell, Schießbude, Schiffsschaukel, Imbissstände und natürlich ein Bierzelt mit immerhin 1.500 Plätzen im und vor dem Zelt. Beim Aufbau haben Schüler der Bamberger Bundespolizeischule Nachbarschaftshilfe geleistet. So musste der Bürgerverein nur noch für die Mietkosten des Zeltes aufkommen. Organisator Matthias Neller wacht über die Finanzen.

"Es muss sich jeder Teil rechnen und zum Schluss muss hier was übrigbleiben und das muss man auch in die Köpfe der Leute bringen und das haben wir, denke ich, jetzt ganz gut geschafft nach 20 Jahren."

Matthias Neller, Vorsitzender des Bürgervereins Gartenstadt

Die Rechnung geht auf – trotz gestiegener Kosten

Die Kirchweih ist auf Spenden, Helfer und die Unterstützung der Stadt angewiesen. An einer Sicherheitsbeschilderung beteiligt sich die Stadt mit rund 1.000 Euro. Seit drei Jahren ist außerdem ein Sicherheitsdienst verpflichtend. Trotz gestiegener Auflagen und Kosten, geht die Rechnung noch immer am Ende auf und es bleibt etwas für die Verschönerung des Stadtviertels übrig.

"Also zum Beispiel der Brunnen hier in der Gartenstadt ist von uns – auch der zweite Brunnen ist von uns und noch etliche andere Dinge. Wir haben eine Brunnensanierung, eine teure durchgeführt wir wollen jetzt am Gartenstädter Markt noch eine Beleuchtung um den Platz hinbekommen. Das kostet aber um die 15.000 Euro, das heißt da dürfen wir noch ein bisschen sparen, aber das sind so unsere Ziele."

Matthias Neller, Vorsitzender des Bürgervereins Gartenstadt

Die Kirchweih in Gartenstadt funktioniert

Es funktioniert, weil das Fest in dem Stadtviertel fest verwurzelt ist und es letztlich ein Fest der Bürgerinnen und Bürger ist. Eine Rolle mag auch spielen, dass sich die Gartenstadter Kirchweih einen sportlichen Schwerpunkt gesetzt hat und so im Wettbewerb mit anderen Freizeitangeboten viele Besucher anlockt. Das jährliche Radrennen ist mittlerweile Tradition.

Das Kronacher Freischießen

Ortswechsel: In der Abenddämmerung funkeln die Lichter des Riesenrades auf der Hofwiese in Kronach. Die Wagen der Achterbahn rattern durch die steilen Kurven und werden vom Geschrei der Fahrgäste übertönt. Das Freischießen ist zum größten Volksfest im Frankenwald geworden mit bis zu 300.000 Besuchern an den zehn Festtagen. Seit Jahren sorgt die Geräuschkulisse für Unmut in der Nachbarschaft. Ein Anwohner klagt vor dem Verwaltungsgericht in Bayreuth wegen Lärmbelästigung. Auch bei der diesjährigen Eröffnung durch Kronachs Bürgermeister Wolfgang Beiergrößlein ist der Konflikt noch nicht beigelegt.

Immer größer und immer lauter?

Trotz Kampfansage zeigten Schützenverein und Stadt sich bereits im Vorfeld kompromissbereit. Im Gegensatz zum Vorjahr soll am Freitag und Samstag bereits um Mitternacht Schluss sein mit der Musik – allerdings sitzen bleiben dürfen die Gäste noch bis 2 Uhr nachts. Im vergangenen Jahr durfte auch die Musik noch bis in den Morgen Stimmung machen. Die XXL Nächte – so haben sie das auf dem Kronacher Freischiessen genannt. Der Grund für den späten Betriebsschluss am Stadtrand sei weniger ein immer größer und immer lauter gewesen, sagt Platzmeister Charly Wittig von der Schützengesellschaft.

"In der Stadt sind dann so Aftershows und so weiter explodiert, die hat man nimmer im Griff. Und ich muss sagen, wir haben dann versucht durch die XXL Bewerbung also dieser XXL Name sagt ja schon was aus – die Leute auf dem Platz zu halten und da zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass sie dann heim gehen vom Platz aus und nicht mehr bei Aftershows die ganze Stadt durcheinanderbringen."

Charly Wittig, Platzmeister

Ob die Feiernden nun Lärm auf dem Festgelände oder in der Kronacher Innenstadt machen: Einem Anwohner ging die versöhnliche Geste jedenfalls nicht weit genug und er wehrte sich noch während des laufenden Festes per Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht in Bayreuth. Daraufhin einigte sich die Schützengesellschaft außergerichtlich mit dem Anwohner und verzichtete schließlich gänzlich auf die langen Nächte. Jetzt ist an jedem Festtag um Mitternacht Schluss mit Musik und Bier.

Bürgermeister lernt seine Frau auf dem Freischießen kennen

Seit über 400 Jahren organisiert die Kronacher Schützengesellschaft das Freischießen. Auch heute noch kürt der Verein seine Schützenkönige beim großen Fest auf der Hofwiese. Bürgermeister Wolfgang Beiergrößlein erinnert sich sehr gerne, wie er als Junge beim Aufbauen geholfen hatte. Damals wohnte er in der Nähe der Festwiese und war sofort dabei, wenn die Schausteller mit ihren Fahrgeschäften damals noch mit der Eisenbahn anrollten. Auch seine Frau hat er auf dem Fest kennengelernt. Kein Wunder also, dass es dem Bürgermeister persönlich sehr am Herzen liegt. Heute versucht er in dem Nachbarschaftsstreit zu vermitteln:

"Wir leben alle nur einmal auf dieser Welt. Keiner geht lebend davon. Warum sollen wir denn nur kämpfen. Ich merk natürlich als Bürgermeister, dass die Gesellschaft sich immer mehr verändert. Ich muss immer mehr vermitteln, verhandeln beschwichtigen, Kompromisse finden."

Wolfgang Beiergrößlein, Bürgermeister von Kronach

Schausteller bekommen härtere Auflagen

Draußen auf dem Festgelände begutachtet der Nürnberger Schausteller Lorenz Kalb unterdessen die Schäden einer überraschenden Sturmbö. Sie raste über seinen Gastronomiebereich mit Cocktailbar im Freien, und warf mehrere Schirme um. Schirme im Wert von mehreren Tausend Euro liegen nun in Trümmern. Kalb ist Schausteller in der fünften Generation und reist von Volksfest zu Volksfest, zusammen mit seiner Frau. Hinter einem Zaun wird sichtbar, was für ein Aufwand mit so einer mobilen Cocktailbar verbunden ist.

"Hier zwei Kühlfahrzeuge für die verschiedenen Getränke. Hier ist der eigentliche Barwagen – hier hinten sieht man jetzt gleich die Spülmaschine, hier werden die Caipis vorbereitet, wo wir heute Abend hoffentlich genug verkaufen. Spülmaschine und so weiter gehört natürlich auch dazu und natürlich hinten die ganzen Versorgungsfahrzeuge."

Lorenz Kalb, Schausteller

Dicht an dicht stehen die Versorgungsfahrzeuge und Wohnwägen der Schausteller am Rand der Hofwiese in Kronach. Mit steigenden Komfortansprüchen, Auflagen bei Hygiene und Arbeitsrecht nimmt auch die Zahl der benötigten Fahrzeuge bei den Schaustellern zu. Doch große ungenutzte Flächen mit der nötigen Infrastruktur für Strom und Wasser gibt es in den Städten immer weniger.

Bamberger Plärrer musste einem Bürogebäude weichen …

So auch beim Frühjahrs-Plärrer in Bamberg. Der Bamberger Schausteller Bernhard Fuchs erinnert sich.

"Der Bamberger Plärrer, der Bamberger Frühling war eigentlich das größte Volksfest hier in Oberfranken bei uns in Bamberg – mit über 40 Schaustellern quasi, die im Frühjahr rausgefahren sind ohne Geld in der Tasche, wo quasi der Plärrer das erste Stück war, wo man quasi sagen kann, jetzt geht es ein bisschen aufwärts und das ist natürlich jetzt für uns schlecht, wenn keine Veranstaltung mehr da ist."

Bernhard Fuchs, Schausteller

… und fällt schließlich komplett aus

Das Volksfest musste einem Bürogebäude des Autozulieferers Brose weichen. Für die Stadt war die Ansiedlung des Unternehmens ein Glücksfall und der Stadtrat stimmte den Plänen 2012 zu. Ein tragfähiges Alternativkonzept für den Plärrer hat es jedoch nie gegeben. Zunächst konnten die Veranstalter noch auf einen Festplatz auf dem ehemaligen US Kasernengelände ausweichen. In den beiden letzten Jahren fiel das Volksfest jedoch komplett aus. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Kerwa in Karlstadt – Schluss nach 60 Jahren

Auch in Karlstadt am Main war nach 60 Jahren mit der Kerwa im Oktober 2009 Schluss. Bereits in den 90er Jahren sei es mit den Besucherzahlen bergab gegangen, so ein Stadtsprecher. Statt Rummelplatz besuchten die Menschen lieber die Kneipen und Weinfeste. Durch die Konkurrenz der Freizeitparks haben die Karussells und Achterbahnen längst an Einzigartigkeit verloren.

Bamberger Sandkerwa fällt erst aus – und kann dann doch wieder stattfinden

Die Bamberger Sandkerwa lockt inzwischen 300.000 Menschen in die Bamberger Innenstadt. Enge Gassen und Straßen drohen bei einer Massenpanik zu einer Falle zu werden. Das Love Parade Unglück in Duisburg hinterließ auch seine Spuren in Bamberg. Die Stadt als Genehmigungsbehörde forderte immer höhere Sicherheitsauflagen ein. Immer mehr Verantwortung und Kosten brachten den ehrenamtlich arbeitenden Bürgerverein hinter dem Fest schließlich an seine Grenzen. Im vergangenen Jahr zogen sie die Reißleine und sagten das Fest kurzfristig ab.

Aber wie weitermachen? Die Aufregung war groß. Ein Traditionsfest, das derart beliebt ist, einfach einstellen? Undenkbar! Schließlich hilft die Stadt. Mit einer Kapitaleinlage von 63.000 Euro steigt sie in die Betreibergesellschaft ein, stellt einen zweiten Geschäftsführer für die Themen Sicherheit und Finanzen und garantiert eine Ausfallbürgschaft von 125.000 Euro. Ziel sei ein kostendeckender Betrieb. Damit das gelingt, wird das Volksfest jetzt erstmals gesponsert. Insgesamt unterstützen sieben Sponsoren die Sandkerwa. So sollen künftig auch die zunehmenden Sicherheitsauflagen finanzierbar bleiben: Erneut mehr Sicherheitsleute und eine Lautsprecheranlage auf dem Festgelände, die bei einer Massenpanik gewährleisten soll, dass die Innenstadt kontrolliert geräumt werden kann.

Gewappnet gegen mögliche Unglücksszenarien

Man will gewappnet sein gegen mögliche Unglücksszenarien. Dazu gehören auch Terroranschläge wie in Nizza oder Berlin, wo 2016 Attentäter einen Lastwagen in Menschenmengen steuerten. Die Schutzmaßnahmen kosten Geld, dass die Organisatoren aus Standgebühren und Sponsorengeldern aufbringen müssen. Weil das aber noch nicht reicht, appelliert der ausrichtende Verein an alle Besucher, sich ein Festabzeichen für drei Euro im Vorverkauf oder vier Euro auf dem Fest zu kaufen.

Nürnberg hat das zweitgrößte Volksfest Bayerns

Das Nürnberger Volksfest hingegen steht gut da. Es gilt mit 170 Schaustellern und zwei Millionen Besuchern als das zweitgrößte Bayerns. Veranstalter ist der Süddeutsche Schaustellerverband. Städtische Zuwendungen gibt es nicht. Alles ist eigenfinanziert. Vor etwa 20 Jahren steckte allerdings auch das Nürnberger Volksfest in der Krise. Durch die damals in Nürnberg stationierten amerikanischen Soldaten war das Volksfest in Verruf geraten. Immer wieder kam es zu Schlägereien und Übergriffen auf dem Festgelände. Das ist inzwischen aber Vergangenheit. Der Süddeutsche Schaustellerverband setzt nun auf Sicherheit und auf Programminnovationen. Zum Beispiel: Eine Arbeitsplatzbörse im Riesenrad.

"Da kommen die Personalchefs von großen Firmen wie Aldi, oder Sparkasse oder Polizei – fahren im Riesenrad und der Bewerber darf dann mitfahren und darf sich dann vorstellen mit einer Runde und dann wird wieder gewechselt. Zum Beispiel. Im Frühjahr machen wir hier – können sie Unterlagen mitnehmen – Physik und Mathestunden – haben wir ausgearbeitet. Da kommen die Lehrer mit ihren Schulklassen hier her und machen am Looping, am Riesenrad Physikalische Gesetze und solche Dinge."

Lorenz Kalb, 1. Vorsitzender Süddeutscher Schaustellerverband

Lorenz Kalb spricht gern vom innovativsten Volksfest Deutschlands und auch sonst gibt es feine Unterschiede: Der Sicherheitsdienst heißt in Nürnberg Volksfestwache und die Kontrolleure am Eingang stehen da nicht etwa in schwarzer Kampfmontur, sondern in Anzug und Krawatte. Eben ein Volksfest mit Stil.

Volksfeste verschwinden

Doch in den vergangenen Jahren sind in Bayern gerade kleine und mittlere Volksfeste verschwunden. Manchmal ist der Grund ganz simpel. Es gibt in dem betroffenen Ort einfach keine Flächen mehr, weil sie bebaut wurden. Auch gestiegene Sicherheitsauflagen machen den Veranstaltern zu schaffen. Oder die Nachbarschaft macht nicht mit, die sich vom Festlärm belästigt fühlt. Streitigkeiten landen inzwischen auch vor Gericht.

Die sinkende Zahl der Besucher und Feste bekommen auch die Schausteller mit ihren Fahrgeschäften und Imbissbetrieben zu spüren. Die Volksfeste müssen im Wettbewerb mit Clubs und Diskotheken immer professioneller werden. Dabei sind es vor allem Ehrenamtliche und Vereine, die bei kleinen und mittleren Festen eine lange Tradition lebendig halten. Wir zeichnen den Wandel der Volksfeste in der "Zeit für Bayern" nach.


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