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Der König ist tot ... Bayerns Thronwechsel und ihre Abgründe

Ein Rücktritt, ein Sterbefall und eine Katastrophe: Bayerns "Royals" sind bis heute für märchenhafte und tragische Stories gut. Besonders dramatisch ist die Geschichte der Thronfolge im Königreich Bayern. Thomas Kernert erzählt sie.

Von: Thomas Kernert

Stand: 20.06.2020 | Archiv

"Der König ist tot, es lebe der König!" - So leicht sich diese hinreißend widersinnige Formel deklamieren lässt, sie hat ihre Tücken. Die eindeutig leichtere Aufgabe: Der alte König muss entsorgt werden. Die bei weitem stressigere Aufgabe: Der neue König muss König werden! Jeder Neuanfang hat seinen Reiz, jeder Neuanfang hat seine Abgründe. Und die können oft tiefer noch als abgründig sein.

Insgesamt hatte Bayern sechs Könige

Stammbaum des Hauses Wittelsbach

Dynastisch betrachtet, war der Tod, "die" Unterbrechung schlechthin, nie ein Punkt, sondern bestenfalls ein Komma. Hatte sich der tote König vorab ordnungsgemäß reproduziert, genügte auch ein pompös inszenierter Gedankenstrich.

Insgesamt hatte Bayern, zählt man Franz Josef Strauß nicht mit, sechs Könige:

Maximilian den I. Joseph, einen in der besten Spargelzeit in Schwetzingen geborenen Pfälzer, ab 1806 erster weißblauer König;
Ludwig den I., geboren in Straßburg, gestorben in Nizza, viel unterwegs, dennoch sehr engstirnig;
Maximilian den II. Joseph, ernsthaft, wissenschaftlich orientiert, eher der Typ Denker als der Typ Herrscher;
Ludwig den II., eine Offenbarung, ein Totalausfall, ein Märchen, ein Kaffeetassenmotiv;
Otto den I., den am längsten amtierenden König, der freilich keinen einzigen Tag regierte;
Sowie Ludwig den III., einen sehr kurzen und eher belanglosen Appendix einstiger Pracht und Herrlichkeit.

Emotional ziemlich distanziert

König Ludwig I. von Bayern

Es gibt auffällige Parallelen: Wie sein Vater Maximilian neigte Ludwig II. emotional zu "gehöriger Distanz". Wie sein Großvater Ludwig I. in ein Suchtverhältnis zu einer grell überschminkten Varietétänzerin flüchtete, so der Enkel in die grell überschminkte Traum- und Tonwelt eines Richard Wagner.

Wie Ludwig I. von seiner majestätischen Einmaligkeit gänzlich erfüllt war, so der Enkel, der sich in seinem ebenfalls vom Opa ererbten Bauwahn vorzugsweise an Ludwig dem XIV. von Frankreich orientierte. Und das, obgleich er eigentlich nie wirklich König sein wollte, sondern wie sein Vater Maximilian eher ein Träumer und stiller Liebhaber von Buchstaben war.

Alle drei Könige litten massiv unter ihren Vätern. Irgendwie scheint dieser Vater-Sohn-Defekt bei den Wittelsbachern zeitweise dominant gewesen zu sein. Der österreichische Gesandte:

"Der Kurfürst fängt nunmehr an, seine Abneigung gegen den Kurprinzen zu bezeigen und hat selben gestern aus dem Cercle unter dem Vorwand weggeschafft, dass er die Haare nicht genugsam gepudert habe. Es ist furchtbar, wie dieser junge Prinz ganz verschiedene Grundsätze von seinem Vater hat, der ihn kaltsinnig behandelt."

König Max II. von Bayern, Vater von Ludwig II.

Die Rede ist von Max I. Joseph als er noch Kurfürst und kein König war sowie von seinem Sohn Ludwig, der seinerseits als König Ludwig I. alles andere als einen Traumvater abgab. Auch der erstgeborene Max (später König Max II.) hatte es, wie bereits angedeutet, sehr schwer bei seinem zum Jähzorn neigenden Vater. Später kommunizierte man meist "auf sehr gespanntem Fuß" aneinander vorbei.

Als Max II. allerdings selbst als Vater (von Ludwig II.) an die Reihe kam, gelang es ihm ebenfalls nicht, zu seinem Sohn eine halbwegs vernünftige Beziehung aufzubauen. Im Gegenteil: Nicht selten soll es Prügelszenen gegeben haben.

"Stets hat er mich de haut en bas behandelt, höchstens en passant einiger, gnädiger, kalter Worte gewürdigt ..." ... erinnerte sich Ludwig II. später.

Schwierige Beziehung zu Mutter Marie

Die junge Marie von Bayern, Mutter Ludwigs II.

Zusätzlich erschwerend im Fall des zweiten Ludwigs: Im Gegensatz zu Vater Max fand er in seinen Jugendjahren auch keinen rechten Zugang zu seiner Mutter Marie. Die eher einfach gestrickte Hobbyalpinistin und der exzentrische Schwarmgeist passten nicht zusammen, und so erging es ihr später ...

"... wie der hausbackenen Henne der Fabel, die kopfschüttelnd und Protest gackernd dem Fluge des ausgebrüteten Schwans ins Blaue nachsehen musste."

"Ein ewig Rätsel will ich bleiben ..."

Besagten Schwanenflug ins Blaue konnte freilich nicht nur sie nicht verstehen, sondern im Grunde genommen niemand; nicht einmal er, der Schwan selbst.

Wollte er sich ins Blaue hinein befreien oder war besagtes Blaue sein Sehnsuchtsort, bei der Suche nach einer festen Heimat? Nicht zufällig lautet die berühmteste Selbstauskunft des Märchenkönigs:

"Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen!"

Dem Märchenkönig war alles Militärische suspekt

So wunderschön zitierfähig dieser Satz ist, so voll trifft er ins Schwarze. Das bayerische Königtum befand sich zwischen 1864 und 1886 tatsächlich auf rätselhaftem Terrain, in Bereichen, die mit dem nüchternen Tagesgeschäft der Politik sowie der rabulisitischen Logik der Bürokratie nichts mehr zu tun hatten. Letztere, Politik und Bürokratie, funktionierten trotz einiger spontaner Querschläge des Königs, ziemlich unbeeindruckt weiter.

Die beiden Kriege von 1866 zwischen Preußen und Österreich und 1870/71 zwischen Preußen und Frankreich, an denen Bayern teilnahm, gingen auf ihr Konto. Ludwig wollte keinen von beiden. Alles Militärische war ihm zutiefst suspekt. Und auch der Eintritt Bayerns in den Norddeutschen Bund bzw. das Deutsche Reich war das Ergebnis allein ministerieller Initiative. Noch weniger als Krieg ertrug Ludwig Preußen.

Gut 5 Millionen Mark von Preußen für Ludwigs Hofkasse

Schloss Neuschwanstein

Es sei denn, sie öffneten für seine Schwanenflüge ins Blaue ihre Portemonnaies. Gut 5 Millionen Mark flossen zwischen 1873 und 1886 aus dem Welfenfonds an Ludwigs Hofkasse, nicht zu verwechseln mit der Bayerischen Staatskasse.

Wahrscheinlich hat Preußen damit in seiner kriegerischen Geschichte den größten je getätigten Beitrag zu einem Friedensprojekt geleistet; - zu einem aus herrlichster Architektur und schwülstigstem Kitsch bestehenden Projekt, das gerade aufgrund dieser bizarren Janusköpfigkeit bis heute Groß und Klein, Arm und Reich, Dumm und Gscheid auf unterschiedlichste Weise anmacht.

Bayern ohne die genialen Entgleisungen von Herrenchiemsee, Neuschwanstein oder Linderhof wäre heute sicherlich auch ein sehr schönes Land, so wie das Rheinland, das Sauerland oder das Biosphärenreservat Schaalsee, aber eben nicht Bayern.

Prinzregent Luitpold übernahm das Staatsruder

Prinzregent Luitpold

Als König Ludwig II. jedoch im Starnberger See operettenhaften Schiffbruch erlitt, hielt plötzlich ein kauziger Opa namens Luitpold das Staatsruder in Händen. Und das, obgleich es einen König namens Otto gab, der freilich kein König sein konnte.

Thomas Kernert "feuilletoniert" über bayerische Neuanfänge nach tragischen "Shutdowns".

"Any similarity to actual events or persons, alive or dead, is purely coincidental and unintentional!"


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