Bayern 2

     

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Bayerische Biotope Der Kleingarten

„Traue nicht dem Ort, an dem kein Unkraut wächst…“ Türschilder mit solchen Sprüchen waren früher in einem Schrebergarten undenkbar. Er galt lange als Bastion der Kleinkrämer und Pedanten, als Hort der spießigen Gartenzwerge. In den letzten Jahren hat sich das Bild gewandelt.

Von: Joseph Berlinger

Stand: 04.08.2020 | Archiv

In den Kleingartenanlagen werden die Pächter und die Gäste zunehmend jünger und internationaler. "brand eins", das etwas andere Wirtschaftsmagazin "für alle, die ihr Leben selbst gestalten", "brand eins" zählt den Kleingarten zu den 10 neuen Statussymbolen.  Zitat der beiden Autoren Anabelle Körbel und Dirk Böttcher: "Mein Haus, mein Auto, mein Boot - das war gestern…"

"Es wollen halt einfach viele einen Garten. Das liegt auf der Hand, bei den Mietpreisen in der Stadt…"

Gudrun Röhrner, passionierte Kleingärtnerin

Wer kann sich heute in den Zentren schon noch eine Wohnung mit Balkon oder gar mit Garten leisten? Und die Gentrifizierung schreitet weiter voran. "Die Schwärmerei für die Natur", hat Bertolt Brecht gesagt, "kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte…"

Die Forderungen werden lauter: Statt Kleingartenanlagen aus den Zentren zu verdrängen, sollten sie hinein geholt werden - als grüne Lungen und als Orte der Begegnung.

Dass wegen Grundstücksspekulationen Kleingärten verschwinden, macht Roswitha Spießl wütend. Weitaus wütender als die Bayern- und die Deutschlandfahnen in den Schrebergärten der Patrioten. Oder der Monstergrill hier und der Plastikpavillon dort. Sie hat erlebt, wie 2006/2007 eine große Kleingartenanlage abgerissen worden ist.

"Es hat gheissen, die wird plattgemacht, weil für eine Firma, eine Autozuliefererfirma, ein Parkhaus hingebaut wird. Bis jetz is immer noch nix. Es is immer noch Brachland. Und das find ich ärgerlich, sowas. Warum man die Leut da rauskündigt. Wegen einem Parkhaus, das dann nicht gebaut wird. Das ärgert mich wahnsinnig."

Roswitha Spießl

Roswitha Spießl hat ihre Kleingarten-Parzelle aufgegeben. Aber nicht aus Protest gegen die übermächtige Immobilienwirtschaft. Sondern wegen zu viel Arbeit. Der Kleingarten ist ihr über den Kopf gewachsen. Also hat sie in einem Online-Portal inseriert: "Schrebergarten, ca. 300 qm, Holzhaus, 3 Obstbäume, 950 Euro Ablöse…"

Kleinkriege über den Gartenzaun

In einer Kleingartenanlage sitzen die Schrebergärtner nah aufeinander. Da kommt es schon mal zu Streitigkeiten, sei es über die Lärmbelästigung oder über zu hoch gewachsene Hecken und Sträucher. Norbert Winklmeier, den Ersten Vorsitzenden eines Stadtverbandes der Kleingärtner e.V., bringt ein Drei-Wörter-Satz regelmäßig zur Weißglut:  

"Wir haben eine Gartenordnung. In dieser Gartenordnung steht ja nicht alles ganz gezielt und genau drin. Jetzt wenn Kleingärtner gegen irgend was verstoßen, und man sagt ihnen: 'Du darfst dies nicht und du darfst das nicht…', dann kommt immer als Antwort: 'Wo steht dees!?!'"

Norbert Winklmeier

"Wo steht dees?" Diese Frage ist tatsächlich eine Antwort. Eine Antwort mit drei Ausrufezeichen: "WOOO steht dees!!!" Das soll heißen: "Lasst mich gefälligst in Ruhe mit euren Richtlinien und Vorschriften, mit euren Anordnungen und Verboten!"
Sind also die als Streber verschrienen Schrebergärtner im Grunde ihres Herzens Anarchisten? „Du kannst eigentlich macha, wasd magst“, meint Gudrun Röhrner, fügt aber hinzu: „…solangsd neamand andern störst.“

In Anton Zimmermanns Parzelle hängen Dutzende Luftballons. Allerdings jämmerlich verschrumpelt. Sie sind späte Zeugen seiner großen Geburtstagsfeier. Und immer noch blau. 100 Leute haben sich da in den Kleingarten gedrängt. Da muss es einige neue Bekanntschaften gegeben haben, in der, und vor der, und neben der, und hinter der toscanabraunen Laube. Kürzlich entdeckte man in einer Kleingarten-Parzelle eine gefangene Schildkröte. Bevor ihre Besitzer in den Urlaub gefahren sind, haben sie ein Loch durch den Panzer der Schildkröte gebohrt und sie mittels einer sieben Meter langen Schnur im Schrebergarten angebunden.

Ein Garten für die Armen

Seinen Namen hat der Schrebergarten von dem Orthopäden und Hochschullehrer Moritz Schreber. Dieser züchtige und tüchtige Mann lebte im 19. Jahrhundert - und hatte eine Vision und eine Mission: den aufrechten Gang. Er erfand den "Geradhalter" und setzte sich dafür ein, dass die armen Kinder des Industriezeitalters hinaus aus ihren Mietskasernen kamen. Hinaus auf die Exerzierplätze zur Leibesertüchtigung, und hinein in die Armengärten im Grünen.

Ein armer Kleingärtner im Grünen war Franz R. Damals, als ihn seine 20 Jahre jüngere Lebensgefährtin aus ihrer Wohnung geworfen hat, wurde eine kleine Laube sein Zuhause und sein Trost. Die geschnitzte Mutter Gottes, für die er sich eine kleine Grotte in den Kleingarten gebaut hat, steht inzwischen im Schrebergarten der Helga L.  Sie hat Franz R. im Winter des Jahres 2000 das Leben gerettet. Ohne seine Nachbarin wäre er an einer schweren Lungenentzündung in seiner Laube gestorben. Durch ihre Hilfe kam er ins Krankenhaus, wurde wieder gesund und hat noch sieben Jahre leben können.


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