Bayern 2

     

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Das wahre Grauen und der Galgenhumor Verachtet und gefürchtet: Der Scharfrichter

Von Henkersdynastien bis zum einsamen Ende von Johann Reichhart, dem letzten Scharfrichter Bayerns, der 3165 Menschen hingerichtet hat: Über makabre Inszenierungen auf dem Oktoberfest, kabarettistische Beilhiebe und den Galgenhumor von Karl Valentin.

Von: Bernhard Setzwein

Stand: 04.07.2020 | Archiv

Ein Scharfrichter, der lacht nicht. Niemals. Schon von Amts wegen nicht. Und wenn er es doch einmal täte, nämlich lachen, man sähe es nicht. Der Scharfrichter trägt nämlich eine Kapuze. Immer. Eine schwarze, spitz über seinem Kopf zusammenlaufende Kapuze. Sie ist sozusagen sein Erkennungszeichen. Wie es darunter aussieht, weiß niemand. Mehr als das dunkel funkelnde Augenpaar, das durch die Löcher in der Kapuze schaut, zeigt er nicht her von sich, der Scharfrichter. Man soll ihn nicht kennen, nicht erkennen.

Er lebt weit draußen, vor den Mauern der Stadt. Niemand will etwas mit ihm zu tun haben. Er bringt Menschen um. Er befördert sie vom Leben zum Tod. Weil sie es nicht anders verdient haben. Weil sie Mörder und Verbrecher sind. Weil man das Todesurteil über sie gefällt hat. Das tun die Richter.

Aber Richter machen sich selber niemals die Hände schmutzig. Dafür gibt es den Nachrichter. So nennt man ihn auch, den Henker. Den Unnahbaren. Den Paria. Den Ausgestoßenen. Er führt ein trauriges Leben. Darum lacht er auch niemals. Nicht einmal lächeln tut er ...

"Auf geht's beim Schichtl!"

Inszenierung einer Hinrichtung beim "Schichtl" auf dem Müncher Oktoberfest (2019)

Seit über 150 Jahren, wenn es auf dem Münchner Oktoberfest heißt "Auf geht's beim Schichtl", vollzieht "Ringo, der Schreckliche" eine grausame Prozedur: Mittels einer Guillotine enthauptet er Freiwillige aus dem Publikum. So wird eine Gestalt dem schenkelklopfenden Gaudium preisgegeben, die jahrhundertelang die Menschen in Angst und Schrecken versetzte: der Scharfrichter.

Johann Reichhart - Bayerns letzter Scharfrichter

Johann Reichhart auf der Anklagebank vor der Spruchkammer IV in München (23. August 1947)

Auch in Sketchen Karl Valentins treibt er sein Unwesen, etwa in der Szene "Eine Schlamperei". Ausgerechnet am Todestag des Komikers, dem 9. Februar 1948, wurde vor der Münchner "Spruchkammer IV" Johann Reichhart, dem letzten Scharfrichter Bayerns, für seine Rolle in der NS-Zeit der Prozeß gemacht. Er kam auf die monströse Zahl von 3165 Hinrichtungen. Am Ende seines Lebens war er ein gebrochener Mann.

Die Henkers-Dynastie der Kuisls

Autor Oliver Pötzsch, Nachkomme aus der Schongauer Henkers-Dynastie der Kuisls

Ohne Zweifel eine Institution also, der Scharfrichter, aber wohl nicht immer eine Berufung: Der Henker galt als unreine Person und mußte außerhalb der Stadtmauern leben. Schicksalshaft vererbte sich das Amt von Generation zu Generation.

Über solche Familienbande hat sich Bernhard Setzwein für sein "Bayerisches Feuilleton" mit Oliver Pötzsch unterhalten, Nachkomme aus der Schongauer Henkers-Dynastie der Kuisls und Autor einer erfolgreichen Krimi-Serie mit einer mittelalterlichen Henkerstochter als Heldin. Er weiß um die Faszination, die von diesem schrecklichen Handwerk ausgeht.

Die Stadt zahlte den Henkern viel Geld

Tod durch Enthaupten und Raedern, Bamberg 1507

Scharfrichter waren nicht arm, im Gegenteil: Die Stadt zahlte für Foltern, Hängen und Verbrennen gutes Geld. Henker kümmerten sich nebenbei um die Müllentsorgung, beaufsichtigten das Glücksspiel oder führten Bordelle. Familien wie die Kuisls machten die fehlende gesellschaftliche Anerkennung mit Geld und Bildung wett. Sie konnten lesen und schreiben, besaßen Bibliotheken und Grundstücke und profitierten von steuerlichen Vergünstigungen. Mancher Henker stieg mit der Zeit sogar zum angesehenen Bürger auf.

Über die Hälfte ihres Einkommens verdienten die Kuisls erstaunlicherweise nicht mit Hinrichtungen, sondern mit der Medizin. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war der Henker nämlich der Arzt der kleinen und gelegentlich auch der großen Leute. Zum Scharfrichter ging man bei Knochenbrüchen, ausgerenkten Schultern, aber auch bei unerwünschten Schwangerschaften oder lästigem Husten.

Messerscharfe Satire im "Passauer Scharfrichterhaus"

Das Scharfrichterhaus in Passau

Mit der Faszination des Grauens spielten auch jene "Elf Scharfrichter", die 1901 in Schwabing eines der ersten deutschen Kabaretts etablierten.

Ihr Erbe wird noch immer fortgesetzt im "Passauer Scharfrichterhaus", dessen Gründer Walter Landshut ebenfalls in der Sendung zu Wort kommt.

Ein Gerücht, das immer wieder mal auftauchte, besagte, daß die freche, aufmüpfige Kleinkunstbühne tatsächlich im Haus des ehemaligen Passauer Scharfrichters ihr Domizil aufgeschlagen habe - was schwer zu glauben ist. Wie bereits erwähnt, lebten die Scharfrichter in den allerseltensten Fällen innerhalb der Stadtmauern.

"Das war in Passau natürlich genauso. Ein paar Stadtführer haben aber damals erzählt, daß da im Innenhof geköpft worden ist. Das ist aber im Grunde genommen ein reiner Unsinn.

Wenngleich es aus dem Mittelalter noch eine Geschichte gibt, daß hier im Haus ein junger Scharfrichter gewohnt haben soll. Der hat angeblich zusammen mit einem Studenten an die Soldaten, die damals durch die Stadt Passau gezogen sind, so Heilzettel verkauft, auf denen fromme Sprüche draufgestanden sind.

Diese Zettel haben die Soldaten dann runtergeschluckt, und danach haben sie sich unverwundbar gefühlt."

(Walter Landshut, Gründer des Passauer Scharfrichterhauses)

Hörbuchtipp: "3165. Monolog eines Henkers" - Ein Hörspiel von Bernhard Setzwein


  • Format: Hörbuch
  • Spieldauer: 58 Minuten
  • Autor: Bernhard Setzwein
  • Sprecher: Waltraud Janner-Stahl, Christian Hofmann, Mathias Winter
  • Verlag: LohrBär (Erscheinungsdatum: 11. Juni 2009)
  • ASIN: B002TVS4WE

Buchtipp:

Der Vollstrecker: Johann Reichhart. Bayerns letzter Henker

  • Autor: Roland Ernst
  • Taschenbuch: 192 Seiten
  • Verlag: Allitera Verlag; Auflage: 2., verb. Aufl. (25. März 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3962331026
  • ISBN-13: 978-3962331023

Bestseller-Autor Oliver Pötzsch

Oliver Pötzsch, Jahrgang 1970, war jahrelang Filmautor beim Bayerischen Rundfunk und lebt heute als Autor in München.

Seine historischen Romane um den Schongauer Henker Jakob Kuisl haben ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht.

Buchtipp:

Die 8-teilige Henkers-Tochter-Saga von Oliver Pötzsch


Die Henkerstochter und der Fluch der Pest
(Teil 8 der Saga)

  • Taschenbuch: 736 Seiten
  • Verlag: Ullstein Taschenbuch; Auflage: 1. (13. Mai 2020)
  • ISBN-10: 3548291961
  • ISBN-13: 978-3548291963


Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf
(Teil 7 der Saga)

  • Autor: Oliver Pötzsch
  • Taschenbuch: 540 Seiten
  • Verlag: Ullstein Taschenbuch (14. Juli 2017)
  • ISBN-10: 3548288375
  • ISBN-13: 978-3548288376


Die Henkerstochter und das Spiel des Todes
(Teil 6 der Saga)

  • Autor: Oliver Pötzsch
  • Taschenbuch: 656 Seiten
  • Verlag: Ullstein Taschenbuch (15. Januar 2016)
  • ISBN-10: 3548287379
  • ISBN-13: 978-3548287379


Die Henkerstochter und der Teufel von Bamberg
(Teil 5 der Saga)

  • Autor: Oliver Pötzsch
  • Taschenbuch: 720 Seiten
  • Verlag: Ullstein Taschenbuch (8. August 2014)
  • ISBN-10: 3548284485
  • ISBN-13: 978-3548284484


Der Hexer und die Henkerstochter
(Teil 4 der Saga)

  • Taschenbuch: 624 Seiten
  • Verlag: List Taschenbuch; Auflage: 2. (12. Juli 2013)
  • ISBN-10: 9783548613352
  • ISBN-13: 978-3548613352
  • ASIN: 3548613357


Die Henkerstochter und der König der Bettler
(Teil 3 der Saga)

  • Autor: Oliver Pötzsch
  • Taschenbuch: 592 Seiten
  • Verlag: Ullstein Taschenbuch (12. August 2010)
  • ISBN-10: 3548281141
  • ISBN-13: 978-3548281148


Die Henkerstochter und der schwarze Mönch
(Teil 2 der Saga)

  • Autor: Oliver Pötzsch
  • Taschenbuch: 528 Seiten
  • Verlag: Ullstein Taschenbuch (3. April 2009)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3548268536
  • ISBN-13: 978-3548268538


Die Henkerstochter
(Teil 1 der Saga)

  • Autor: Oliver Pötzsch
  • Taschenbuch: 512 Seiten
  • Verlag: Ullstein Taschenbuch (13. März 2008)
  • ISBN-10: 3548268528
  • ISBN-13: 978-3548268521

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