Bayern 2


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Hebammen Die weisen Frauen mit den helfenden Händen

Für unzählige Menschenkinder war und ist sie das erste Lebewesen, mit dem sie außerhalb des Mutterleibs in Berührung kommen. Die Hebamme steht an der Pforte des Lebens und nimmt uns in Empfang. Dafür verdient sie unseren Dank ... und unseren Respekt!

Von: Justina Schreiber

Stand: 05.10.2019 | Archiv

Lange verfügten Frauen über ein einziges Recht: sie durften sich die Hebamme selbst wählen. Kaum ein Mensch erhielt so viel Einblick ins häusliche Leben wie die Geburtshelferin, die noch Tage nach der Niederkunft die Familie versorgte.

Sie waren nicht nur Geburshelferinnen sondern auch Heilerinnen

Hebammen verstanden (und verstehen) sich nicht nur auf gezielte Handgriffe, sondern auch auf wohltuende Heilpflanzen. Vor allem aber wussten sie über die magischen Handlungen Bescheid, die Schaden abwenden sollten. Schließlich kosteten Geburt und Wochenbett Mütter wie Kinder oft genug das Leben.

"Sie war einfach da, immer schon, hieß es. Weil sie sich auf Kräuter und Tinkturen verstand, nannte man sie Kräuterwabn. Sie leistete Geburtshilfe bei Mensch und Tier, ihre Ratschläge und ihr Trost waren bei Krankheit und anderem Übel gefragt und geschätzt."

(Rosalie Linner aus 'Tagebuch einer Landhebamme')

Jahrhundertelang als Hexen und Dilettantinen diffamiert

Kein Wunder, dass die "weisen Frauen" der mehr oder weniger aufgeklärten Herrenwelt, allen voran Medizinern und Pharmakologen, ein Dorn im Auge waren.

Als Hexen oder Dilettantinnen über Jahrhunderte diffamiert und verfolgt, wurden die Hebammen fast zwangsläufig Galionsfiguren der modernen Frauenbewegung, die forderte, die Macht über den weiblichen Körper nicht nur dem Gynäkologen zu überlassen.

"Weiche Satan!"

Niederkunft auf einem Geburtsstuhl (1513)

Hebammen "hoben" das Neugeborene feierlich vom Boden auf, wenn die Frau im Hocken niedergekommen war, um es zum Beispiel dem Vater zu reichen. Auch bereiteten sie dem Baby das zukunftsfördernde erste Bad – in katholischen Ländern selbstverständlich mit einem Schuss Weihwasser. Weiche Satan!

Als Bewahrerinnen volksmedizinischer Praktiken kamen die Geburtshelferinnen immer wieder selbst in Verruf, vor allem, wenn die Geburt nicht gut verlief. Hatten sie einen bösen Blick nicht erkannt oder selbst gar "hurerisch" gelebt?

Auch später noch, als die Hebammen solide ausgebildet waren, mussten sie sich manch kruden Vorwurf gefallen lassen. Die Tochter der "Storchentante" Rosalie Linner aus dem oberbayerischen Kraiburg erzählt:

"Mutti ist ja dann teilweise von den Männern beschimpft worden, wenn es wieder ein Mädel war oder wenn schon mehr Buam da waren und sie wollten ein Mädel haben. Dann war die Hebamme schuld. Da ist die Mutti beschimpft worden, weil sie einfach nicht das Kind geliefert hat sozusagen, was sie wollten."

Hebammen spielten eine wichtige Rolle in dörflichen Gegenden

In entlegenen Allgäuer Tälern oder oberbayerischen Weilern blieben die Geburtshelferinnen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein von zentraler Bedeutung für das örtliche Leben. Wie viele Bauernkinder haben sie zur Welt gebracht, wie viel Leid, wie viel Freude erlebt! Und wie viel Wissen über Empfängnisverhütung und Geburtenregelung vermittelt – von Frau zu Frau.

Heulende Väter, Rooming-In und viel Bauchgefühl

Hebamme bei der Arbeit

Heute schreiben Hebammen Blogs oder Kolumnen. Dem Berufsstand gehen die spannenden Geschichten wohl nie aus. Es sind Geschichten über große und kleine Gefühle, über Ängste und Freuden, Hochmut und Demut. Geschichten, die scheinbar schlechte Wendungen nehmen und sich dann doch positiv entwickeln. Denn die Dramaturgie schreibt nicht nur das Leben, sondern manchmal eben auch die Hebamme.

"Da ist die Frau, die bestärkt von mir aus einer Vorsorge rauskommt, die jetzt weiß, wie sie Kontakt zu ihrem Baby im Bauch aufnehmen kann, die bestärkt darin ist, dass sie auf die Tritte, auf das Boxen, ihr Bauchgefühl hören kann."

(Lilli Weise, Hebamme)

Da sind die Väter, die nicht mehr ausgegrenzt werden, wenn ihr Kind zur Welt kommt, und im Kreißsaal Rotz und Wasser heulen dürfen. Aufmüpfige Hebammen wie Ingeborg Stadelmann haben sich für sie eingesetzt. Aber auch Ärzte zeigten Verständnis.

"Ja klar, logo können sie dabei sein. Das Ganze schwappte dann ja ins gegeteilige Extrem über, indem die Ärzte ein paar Jahre später gesagt haben: Halt, stopp nicht pressen, stopp, stopp, stopp, warten, der Mann ist noch nicht da!"

(Ingeborg Stadelmann, Hebamme)

Beim Rooming-in kann das Kind im Krankenhaus bei der Mutter im Zimmer bleiben.

Da ist jetzt auch das Rooming-In, das die Hebammen erkämpften, damit Neugeborene nicht mehr ins Säuglingszimmer abgeschoben werden. Wie konnte "man" bloß? Sind sie nicht der leibhaftige Inbegriff einer guten Hoffnung? Die unzähligen Kinder, die nach wie vor so vehement ans Licht dieser Erde drängen; allen Problemen, Zweifeln, Krisen und Katastrophen zum Trotz!

Buchtipp:

Tagebuch einer Landhebamme

  • Autorin: Rosalie Linner
  • Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
  • Verlag: Rosenheimer Verlagshaus; Auflage: 13. (24. September 2014)
  • ISBN-10: 9783475543326
  • ISBN-13: 978-3475543326
  • ASIN: 347554332X

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