Bayern 2

     

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Umbruch und Neuanfang Bamberg wird bayerisch

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde aus Bamberg eine bayerische Provinzstadt. Davor war Bamberg die Hauptstadt des Hochstiftes Bamberg. Wie kam es zu diesem epochalen Umbruch? Und was bedeutet er für die Stadt Bamberg heute?

Von: Susanne Roßbach

Stand: 02.08.2022 | Archiv

Er muss eine sehr lange Leiter gehabt haben, der Steinmetz, der das Wappen über dem Haupteingang der Neuen Residenz in Bamberg umgearbeitet hat.

Der Haupteingang der Neuen Residenz in Bamberg

Dort oben, in knapp zehn Metern Höhe, prangte ursprünglich das Wappen der Fürstbischöfe von Schönborn, Erbauer der Neuen Residenz auf dem Domberg. Doch als Bayern 1806 zum Königreich wurde, sollte das neue Wappen die neue staatliche Souveränität Bayerns betonen. Alt- und Neubayerische Gebiete sollten in einem einheitlichen Staatsgebilde aufgehen. Der Mittelschild zeigt nun Zepter, Schwert und Krone. Die umgebenden Rauten symbolisieren die zum neuen Königreich zusammengeschlossenen Territorien. Die Zeit der Fürstbischöfe war schon 1802 vorbei. Die Säkularisation hatte sie hinweggefegt, erklärt Günter Dippold, Bezirksheimatpfleger des Bezirks Oberfranken.

"Säkularisation, das heißt ja Verweltlichung, das bedeutet: Zunächst einmal wurden in einem ersten Schritt die geistlichen Staaten aufgelöst, dem Kurfürstentum Bayern angegliedert, und in einem zweiten Schritt wurden dann die geistlichen Institutionen in Alt- wie auch in Neubayern aufgelöst, also Stifte, Klöster und der Besitz jeweils, der fiel dem Staat anheim. Für Bamberg bedeutete das, dass der letzte Fürstbischof seine weltliche Herrschaft niederlegen musste. Fast 1000 Jahre lang hatten die Bamberger Bischöfe weltliche Macht ausgeübt, das war mit einem Federstrich jetzt Vergangenheit. Der letzte Fürstbischof, Christoph Franz von Busek, war ohnehin ein schwacher Herrscher, wohl auch schon dement."

Günter Dippold, Bezirksheimatpfleger des Bezirks Oberfranken

Die Napoleonischen Kriege – und ihre Folgen

Ins Rollen gekommen waren die Veränderungen in Bayern mit der Französischen Revolution. Mit ihr kam ein korsischer Niemand an die Macht, vor dem bald ganz Europa zittern sollte: Napoleon Bonaparte. Er wollte expandieren und führte seit 1792 Krieg gegen die wichtigsten Mächte Europas, die sogenannten Koalitionskriege. Der zweite Koalitionskrieg endete mit dem Frieden von Lunéville, den 1801 Napoleon und Kaiser Franz II. unterzeichneten. Damit endeten zunächst die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich, Österreich und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Frankreich erhielt das linksrheinische Reichsgebiet. In einem Separatvertrag sicherte sich Bayern große Teile Frankens und Schwabens, denn die weltlichen Herrscher sollten auf Kosten der geistlichen Territorien entschädigt werden. Die Säkularisation, also die Enteignung kirchlicher Besitztümer, nahm ihren Lauf. 1802 marschierten bayerische Truppen in Bamberg ein.

Klöster und Stifte aufgelöst, Kirchen geplündert

Blick in die Maria Ward-Schule

Vier Stifte wurden in Bamberg aufgelöst sowie das Benediktinerkloster St. Michael. Die Klöster der Bettelorden, wie z.B. der Dominikaner und Franziskaner, und die Frauenklöster, wurden zu Aussterbeklöstern, d. h. sie durften keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen. Einzig die von der Engländerin Mary Ward gegründete Ordensgemeinschaft der "Englischen Fräulein" durfte bestehen bleiben, weil sie sich für die Bildung von Mädchen einsetzte. Eine Maria Ward Realschule und ein Gymnasium existieren noch heute. Kunstschätze aufgelöster geistlicher Institutionen wurden kistenweise nach München gebracht, erzählt Birgit Kastner, Hauptabteilungsleiterin Kunst und Kultur im Erzbistum Bamberg.

"Es gibt die berühmte Kiste 3, da sind die wichtigsten Teile des Domschatzes reingekommen, d.h. aus den Stiftungen des Bistumsgründers Heinrich II., also Dinge aus dem 11. Jahrhundert. Es sind Goldschmiedearbeiten wie der Tragaltar Heinrich II., das sog. Portatile. Es sind auch wertvolle Handschriften aus Heinrichs Bibliothek nach München verbracht worden, natürlich auch die Kronen von Heinrich und Kunigunde, die Kaiserkrone. Rein rechtlich gehört das Säkularisationsgut nach München, es ist im Besitz des Freistaates Bayern, der Wittelsbacher Landesstiftung und des Wittelsbacher Ausgleichsfonds. Man kann also in dem Fall nicht von Beutegut sprechen, das wir uns jederzeit wiederholen können. Es ist natürlich nicht schön, und es ist nur schwer zu akzeptieren, dass fränkisches Kulturgut in München verweilt, aber es ist rechtmäßig ausgestellt in der Schatzkammer der Residenz. Es wäre schön, wenn wir Dauerleihgaben bekommen könnten, keine Frage, und dazu sind meines Wissens auch immer wieder Gespräche geführt worden. Vielleicht sollte man die Hoffnung nicht aufgeben."

Birgit Kastner, Hauptabteilungsleiterin Kunst und Kultur im Erzbistum Bamberg

Was nicht nach München ging, wurde versteigert oder eingeschmolzen: Wein, Pferde, Kutschen samt Geschirr, Rindvieh und Schweine, Heu, Stroh, Kartoffeln, Uhren, Spiegel, Porzellan, Musikalien, Gebäude. Die Kirchenschätze wurden gesammelt, aufgelistet, gewogen und geschätzt. Gold und Silber getrennt. Dabei wurden wertvolle Kultgegenstände zerstört. Stadttore wurden abgerissen und "unnütze Kapellen". Um repräsentative Plätze zu schaffen, wurden zwei Kirchen abgerissen, darunter Alt St. Martin, wodurch der heutige Maxplatz entstand. Diese große freie Fläche, auf der lediglich ein Brunnen steht, ist noch heute eine offene Wunde im Stadtbild. Immer wieder flammt die Diskussion darüber auf, wie der Platz attraktiver gestaltet werden könnte. Das klingt alles hochdramatisch, und doch gab es keine großen Widerstände in der Bevölkerung.

Kein Aufstand in Bamberg

"Anders als einige Jahre später in Tirol, wo es ja – Stichwort Andreas Hofer – einen Aufstand gegen diese radikal aufklärerische Politik Bayerns gibt, gab es so etwas in Bamberg nicht. Das hatte verschiedene Gründe: Der eine Grund: Man hat durchaus gesehen, dass ein Reformstau besteht und was die neuen Herren verfügt haben, das lag im Trend der Zeit, das wurde in Bamberg vielleicht auch herbeigesehnt. Das andere: Es gab in Bamberg ja keine Dynastie, anders als Tirol. Über Tirol hatten lange die Habsburger geherrscht.  D.h. man konnte die 'gute alte Zeit' mit einer Herrscherfamilie verknüpfen und konnte die wieder herbeisehnen. In Bamberg? Was hätte man sich herbeisehnen wollen? Es fehlte einfach die Projektionsfläche für einen Widerstand."

Günter Dippold, Bezirksheimatpfleger des Bezirks Oberfranken

Engagement zeigten die Bamberger Bürger als es darum ging, einen Teil der Kirchenschätze zu bewahren. So sammelten sie Geld, um den heiligen Nagel zu kaufen, der angeblich vom Kreuz Christi stammt. Noch heute wird er im Dom in der Nagelkapelle verehrt. 1805 sollte die Kirche St. Jakob öffentlich versteigert werden. Auch sie ging mit Hilfe von Spenden schließlich an die Bamberger selbst und wurde der Marianischen Bürgersodalität für ihre Gottesdienste zur Verfügung gestellt.

Die Aufhebung der Klöster hatte für die ehemaligen Bewohner gravierende Folgen. Die Klostergebäude wurden vielfach zu Kasernen. Die Kirchen dienten zur Aufbewahrung von Waffen, Futter oder als Pferdeställe. Die ehemalige Kirche der Dominikaner diente viele Jahre lang als Konzertsaal der Bamberger Symphoniker. Heute ist sie die Aula der Universität. In den ehemaligen Klostergebäuden der Franziskaner ist heute die Polizei untergebracht. Mönche und Nonnen mussten nach der Säkularisation ihre Klöster verlassen. Die Regierung wollte die ehemaligen Mönche als Pfarrer oder Schulmeister anstellen, um Pensionszahlungen einzusparen und die neu eingeführte Schulpflicht durchzusetzen. Doch viele Geistliche, vor allem die älteren, zogen sich ins Private zurück, lebten in ihren Elternhäusern oder in einer Stadtwohnung.

Die Anfänge der Staatsbibliothek in Bamberg

Andere fanden eine neue Aufgabe, wie Heinrich Joachim Jaeck. Der ehemalige Zisterzienser aus dem aufgelösten Kloster Langheim wurde erster Bibliotheksleiter der kurfürstlichen und ab 1806 königlichen Bibliothek. Bettina Wagner ist eine Nachfolgerin von Heinrich Joachim Jaeck. Sie leitet heute die Staatsbibliothek in Bamberg. In ihrem Dienstzimmer hängt ein Porträt des Bibliotheksgründers und sogar einige Möbelstücke hier standen schon an Jaecks Arbeitsplatz. Die Bibliothek ist seit 1965 in der Neuen Residenz untergebracht. Zu Jaecks Zeiten war sie in den Räumen des ehemaligen Jesuitenkollegs am Grünen Markt, hinter der Martinskirche.

"1803 wurde er dann mit zwei ehemaligen Geistlichen zum Verwalter der Klosterbibliotheken ernannt. Das waren insgesamt elf Klöster in Oberfranken, die die drei übernehmen mussten. Die ganzen Bestände, das waren so 50.000 Bücher, die wurden in Bamberg zusammengeführt, eben in das Jesuitenkolleg gebracht und Jaeck war sicher der Aktivste."

Bettina Wagner, Leiterin der Staatsbibliothek Bamberg

Heinrich Joachim Jaeck war nicht nur an Büchern interessiert. Er reiste viel, brachte sich im Selbststudium Englisch bei und wollte daran mitwirken, ein aufgeklärtes Bürgertum entstehen zu lassen. "Seine" Bibliothek war für jeden zugänglich. Er beteiligte sich am Leben des aufstrebenden Bürgertums, war Mitbegründer des Bamberger Tagblatts, des Kunstvereins und des Historischen Vereins. Die letzten beiden gibt es bis heute.

Neues Gesundheitswesen – vom Kloster zum Bürgerspital

Blick auf das Kloster Michaelsberg

In dieser Zeit wurden auch die Weichen für das Gesundheitswesen neu gestellt. Auf Initiative des ehemaligen fürstbischöflichen Leibarztes Adalbert Friedrich Marcus wurde das ehemalige Kloster Michelsberg zum Bürgerspital umgewandelt. Kurfürst Max IV. Joseph, der spätere König, hat die besondere Begabung des Adalbert Friedrich Marcus erkannt und ihn zum Direktor aller medizinischer Krankenanstalten in den fränkischen Fürstentümern ernannt. Dem weitsichtigen Marcus war es auch zu verdanken, dass im ehemaligen Hochstift Bamberg als einem der ersten deutschen Staaten die Impfung gegen Kuhpocken eingeführt wurde.

Neben der Medizin war das Theater die große Leidenschaft des Friedrich Adalbert Marcus´. So unterstützte er die Gründung des Bamberger Theaters und dessen Leiter Reichsgraf Julius von Soden immer wieder großzügig. Der Arzt und Kunstmäzen Marcus freundete sich mit dem Dichter ETA Hoffmann an, der ab 1808 als Musikdirektor ans Bamberger Theater kam. Friedrich Adalbert Marcus gilt auch als Retter der Altenburg, die er als Ruine erwarb und umfangreich restaurieren ließ. Der Künstler Hoffmann malte dort für seinen Freund ein Turmzimmer aus. Marcus liegt am Fuße der Altenburg begraben.

Die Auflösung der Universität

Neben all den positiven gesellschaftlichen Entwicklungen in Sachen Aufklärung, Bildung und Kultur gab es neben der Zerstörung von Kunstschätzen und Gebäuden noch einen weiteren herben Rückschritt: 1803 wurde die Universität aufgelöst, weil für den neuen fränkischen Landesteil eine Universität – Würzburg – zu genügen schien. Nur die theologische und die philosophische Fakultät bestanden in Bamberg als "Lyzeum" fort. Grundlegend neu organisiert wurde auch die Verwaltung – gemäß den aufklärerischen Prinzipien des Maximilian Graf von Montgelas, der heute als der Erneuerer Bayerns gilt. Über Bamberg schrieb Montgelas nur verächtlich: "Die Stadt Bamberg stellt in jeder Hinsicht ein trauriges Beispiel der Desorganisation vor."

Bambergs Abstieg zur bayerischen Provinzstadt

Die Stadtverwaltung wurde neu organisiert. Ein einheitliches Stadtgericht und eine Polizeidirektion wurde ebenso neu geschaffen wie ein Stadtverwaltungsrat, der sich um alle öffentlichen Aufgaben kümmern sollte – von der Begräbnisordnung bis zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse. Die Blaupause für die Veränderungen waren die Reformen, die Montgelas bereits in den Altbayerischen Städten durchgeführt hatte. Bamberg wurde von der Hauptstadt eines Hochstiftes zu einer bayerischen Provinzstadt. Ihr Verwaltungschef war de facto der bayerische Beamte Stephan von Stengel.

"Stepan von Stengel war ein typisches Kind seiner Zeit, ein Aufklärer, und wir wissen, dass Stephan von Stengel zusammen mit Adalbert Friedrich Marcus einer der Kristallisationspunkte des schöngeistigen Lebens in Bamberg war. Von ihm ist in Bamberg vor allen Dingen eines geblieben: Er war ja vorher in München und kannte natürlich den Englischen Garten und einen kleinen Englischen Garten, den legte er eben auch in Bamberg an - in einer bis dahin eher verwilderten Gegend - dem Mühlwörth. Da entstand nämlich der Hain. Der Hain ist ja bis heute wirklich für Bamberg ein Schatz und den verdankt die Stadt diesem außerordentlichen Beamten, der Bamberg so liebte, dass er gar nicht mehr aus Bamberg wegwollte."

Günter Dippold, Bezirksheimatpfleger des Bezirks Oberfranken

Es war eine zwiespältige Zeit. Einerseits ging vieles voran, wie die flächendeckende medizinische Versorgung, die Einführung der Schulpflicht und die Schaffung öffentlicher Einrichtungen wie Bibliothek, Theater und Volksgarten. Die christlichen Konfessionen wurden als gleichberechtigt anerkannt und eine neue evangelische Gemeinde entstand. Andererseits ging einiges verloren. Kunstschätze wurden zerstört. Viele Menschen, die direkt oder indirekt von den Klöstern abhängig waren, gerieten in Not. Die tonangebenden Kräfte waren radikale Aufklärer.

1806 – Bayern wird Königreich

Wichtig und richtig war, was dem Gemeinwohl diente. Traditionen wurden geringgeschätzt oder gar verboten, wie die Teilnahme an Wallfahrten. Die Menschen sollten lieber arbeiten als ihre Zeit mit beten zu verschwenden. 1806 schließlich wird Bayern ein Königreich von Napoleons Gnaden. Bayern ist jetzt ein Einheitsstaat und nicht mehr die Summe seiner Teile. Mit dem Beitritt zum Rheinbund ist Bayern militärisch Frankreich gegenüber zur Bündnistreue verpflichtet und Napoleon zieht die größte Armee der Geschichte zusammen.

"Bayern musste Hilfstruppen für die Napoleonischen Kriege stellen, vor allem beim Russlandfeldzug 1812 haben abertausende bayerische Soldaten, darunter auch etliche aus Bamberg, ihr Leben gelassen."

Günter Dippold, Bezirksheimatpfleger des Bezirks Oberfranken

Diese Sendung ist eine Wiederholung vom 27.11.2021.


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