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Dialekt "Auffa, obi, eini": Orientierung auf Bairisch

Warum wissen die Bayern immer, wo’s lang geht? Ihre Sprache ist ein 3-D Geflecht; sie kennt jede Richtung zwischen „auffe“ und „auffa“. Über die bayerische Sprache als Landkarte - und mentale Parameter.

Von: Thomas Kernert

Stand: 27.11.2021 | Archiv

Der eine findet im Leben fast alles, der andere nur die Hälfte oder fast nichts. Will heißen: Mit dem Orientierungssinn ist es so eine Sache. Ebenso wie die Weisheit ist er sehr ungleich verteilt. Der eine findet von überallher nach überallhin, die andere von der Toilette im Hofbräuhaus nicht zurück an den Tisch. Tatsächlich sollen Männer besser „finden“ als Frauen, aber vielleicht verdankt sich diese Erkenntnis auch nur einem patriarchalen Forschungsansatz.

Wissenschaftlich gesichert bleibt: Der Raum ist ein gefährliches Wunder

Der Versuch, sich im virtuellen Raum zurecht zu finden

Während man mit den Augen sehen, mit der Nase riechen, mit den Ohren hören und mit der Haut fühlen kann, gibt es für das Wunder des Raums kein spezifisches Sinnesorgan. Was den Raum zu einem Spekulationsobjekt höchsten Grades macht.

Wer dieses Spekulationsobjekt auch nur rudimentär zu erfassen begehrt und, sagen wir, von der Kirche in der Ortsmitte zum Sportplatz am Dorfrand, bzw. vom Stachus nach Fröttmaning gelangen will, benötigt nicht nur alle soeben genannten Sinnesorgane, sondern entweder auch noch jede Menge Gehirnzellen, die die von den diversen Sinnesorganen übermittelten Informationen auswerten, sie mit früheren Informationen vergleichen und synchronisieren, sie sodann sowohl in eine Art Landkarte als auch in eine Liste wiedererkennbarer Markierungen transferieren, das Ganze abspeichern und zu einem Muster verarbeiten.

Das weißblaue Raum- und Weltgefühl

Ruhe bewahren!

Nach Passau fährt man „obi“, nach Altötting „eini“, auf New York „ummi“. Und wenn man sich weder in Passau, noch in New York, sondern weißgott wo aufhält, dann heißt das im Berchtesgadener Land: „Dea is scho wieda zon Dementn aus!“

Die räumliche Begrifflichkeit ist sehr differenziert. Allgemein gilt: Die deiktischen Elemente des Bairischen passen sich der breznförmigen bayerischen Logik stets nahtlos an. Dies erklärt übrigens auch, warum Auswärtige in Bayern so schnell den Überblick verlieren: Weil sie zwar die Erde vom Mond unterscheiden können, nicht aber ein „eidui (talein) von „ausdui“ (talaus).

Der Bayer ist ein radikal Da-Seiender

Das Bairische ist nicht expansiv, sondern intensiv bzw. konzentriert: Es weiß, was es in seinem jeweils vielleicht nur ein paar lächerliche Kilometer umfassenden Habitat zu sagen hat. Das reicht. Das reicht, weil der Bayer ein radikal Da-Seiender ist. Einer, der auf seinen sprachlich präzise geeichten Mikrokosmos nicht verzichten kann.

Ob ihn der Wunsiedler versteht, ist dem Königsseer deshalb relativ wurscht. Und umgekehrt. Ob der Feriengast aus Oldenburg-Tweelbäke sie versteht, ist beiden wurscht. Das heißt: Nachfragen darf er ja. Und im örtlichen Tourismusbüro gibt es sicher ein paar bunte Wanderkarten, ja vielleicht sogar eine Wander-App.

Vor waghalsigen Aktionen indes sei gewarnt. Vor allem in der Vertikalen birgt die Fortbewegung für Auswärtige in Bayern ein nicht zu unterschätzendes Restrisiko. Dies gilt fürs Bergsteigen ebenso wie fürs Fensterln.

Thomas Kernert versucht, dem weißblauen Raum- und Weltgefühl linguistisch ein Stück weit auf die Schliche zu kommen.


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