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Alter Hof sucht neue Liebe Baukultur am Dorf

Im Allgäu machen sich viele Gemeinden Sorgen um die Zukunft der alten Hofstellen und Höfe auf dem Land. Sie bestimmen das Gesicht der Dörfer, sind Tradition. Doch immer mehr stehen leer, verkommen. Den Mut zur Sanierung haben nicht viele.

Published at: 12-10-2022 | Archiv

Alter Hof sucht neue Liebe: Baukultur am Dorf

Abriss und Neubau. Das ist eine Lösung, wenn der Hof zu lange leer steht. Nadja Späth, Wolfgang Bauer und Hedwig Göser haben sich anders entschieden. Alle drei wollen einen alten Bauernhof im Allgäu erhalten - Familie Späth ist mittendrin, Familie Bauer ist bereits so gut wie fertig, Hedwig Göser steckt noch in der Findungsphase, wie sie das Leben auf dem elterlichen Hof wieder neu ankurbeln kann.

Momentan wohnt Hedwig Göser noch gegenüber des alten Anwesens, das bewohnt noch ihr Vater. Aber schon jetzt macht sie sich Gedanken. Was könnte beispielsweise aus der alten Schmiede werden. Ihr Traum: Ein Café. Ideal gelegen zwischen Bäckerei und Metzgerei im Ort. Unterstützung für ihre Träumereien, wie sie die Gedanken selbst nennt, bekommt sie von Ramona Riederer. Die Regionalentwicklerin hat für die Allgäu GmbH das Projekt "Alter Hof sucht neue Liebe" ins Leben gerufen. Weil eben nicht mehr nur die touristische Vermarktung der Region wichtig ist, sondern auch Standort-Faktoren wie zum Beispiel Wohnraum. Denn der ist auch hier knapp. Hedwig Göser bekräftigt, man habe nur eine Chance, wenn Verwandte irgendwo eine Wohnung hätten.

"Einfach auf dem freien Markt eine Wohnung zu kriegen ist hier in Wolfertschwenden momentan fast aussichtslos. Und das ist ein großes Thema hier. Weil es geht hier auch um den Ort selber. Das ist ja wichtig, dass die Jugendlichen hierbleiben, wieder zurückkommen, dass es hier weitergeht. Und von daher ist es auch ganz wichtig, dass man denen Wohnraum zur Verfügung stellt, dass sie sich hier verwirklichen können."

Hedwig Göser, Anwohnerin

Ramona Riederer selbst hat es auch gewagt: Umbauen statt Abreißen. Gemeinsam mit ihrem Freund saniert sie einen ehemaligen Bauernhof. Sie hat sich viel vorgenommen: Mit ihrem Projekt will sie den Leerstand und den damit einhergehenden Verfall der Gebäude stoppen. Und gleichzeitig die Dorfkerne wiederbeleben. Weil noch viel zu oft die Ortsränder mit Neubaugebieten ausfransen.  

Vor rund einem Jahr organisierte sie einen ersten Kurs, eine sogenannte Masterclass, für Althof-Eigentümer. Es ging dabei um Fragen zum Baurecht, was ist überhaupt möglich auf einem alten Bauernhof, was wird gefördert, was muss man bei der Finanzierung beachten. Es geht Ramona Riederer darum zu vermitteln, was alles mit einem alten Hof möglich wäre. Allerdings vermittelt sie keine Immobilien, auch wenn sie täglich neue Anfragen auf den Tisch bekommt. Ein Dilemma, denn es gäbe viele Menschen, die gerade die alten Hofstellen mit neuem Leben füllen möchten.

Hedwig Göser hat einen solchen Kurs besucht und schmiedet Pläne, bei sich im Unterallgäu eine Alters-WG beispielsweise oder auch ein Haus für Jung und Alt zu gründen - alle unter einem Dach.

Mittendrin in der Sanierung stecken Nadja und Martin Späth in einem kleinen Weiler im Westallgäu. Ein alter Bauernhof aus den 1930er Jahren. Hätten sie und ihr Mann Martin den Hof nicht übernommen, stünden dort jetzt Mehrfamilienhäuser mit zehn Eigentumswohnungen. Ein Investor hatte schon konkrete Pläne für das Anwesen: Abreißen, durch Neubauten ersetzen. Durch einen Grundstückstausch konnten die Späths den Hof letztlich erwerben und retten. Auch sie wollen später Wohnungen schaffen, nämlich mit Wohnen auf Zeit.

Nadja Späth ist Lehrerin, Martin ist Zimmerer. Dadurch kann er vieles selbst erledigen, außerdem kennt er durch seine Arbeit auf Baustellen viele andere, gute Handwerker, die ihnen jetzt unter die Arme greifen. Er hat für die Hochphase des Umbaus mit seinem Chef eine Vier-Tage-Woche ausgehandelt, sie kümmert sich derweil um die zwei Kinder Vincent und Franziska, um kleinere Arbeiten auf der Baustelle und um die Versorgung der Handwerker. Der Altbau fordert die ganze Familie, Martin haben unter anderem die Kellerwände manchmal zur Verzweiflung getrieben.
Dennoch sei der Hof die richtige Entscheidung gewesen.

Der Hof der Familie Bauer bei Obergünzburg vor der Sanierung

Im  Ostallgäu haben Wolfgang Bauer und seine Frau, zusammen mit Schwester und Schwager einen leerstehenden Bauernhof bei Obergünzburg erworben. Vor 10 Jahren war das. Das Haus war noch weitgehend im Original erhalten. Die Herausforderung: Es energetisch auf einen KfW55-Stand bringen, ohne auf modernen Wohnkomfort zu verzichten. Der sanierte Bauernhof war Sieger im Wettbewerb "Energiezukunft Altbau" vor zwei Jahren, ausgeschrieben vom Energie- und Umweltzentrum Allgäu. Insgesamt entstehen in dem Bauernhof-Komplex vier Wohneinheiten, zwei Wohnungen für die Eigentümer, zwei weitere werden vermietet. Ganz im Sinne des Projekts der Allgäu GmbH, auch wenn Wolfgang Bauer den Hof schon deutlich früher erworben und umgebaut hat. Heute ist es ein Schmuckstück in dem Ort. Und ein Stück Geschichte wurde erhalten.

In der Sanierung von Gebäuden, gleich welchen Alters, steckt viel Potential, und die Sorge um den Bestand hat die bayerischen Architekten im Frühjahr dazu veranlasst, sich mit einem 13 Punkte umfassenden Forderungskatalog an die Landes- und Bundesregierung zu wenden. Das Motto: "Die Abreisserei muss ein Ende haben". Sie schlagen eine Umbauordnung vor: Der Bestand könne schließlich nicht mit den gleichen Bauordnungen, nach den gleichen Vorgaben bearbeitet werden, die für Neubauten gemacht worden seien.

Unter anderem sollten künftig in den Vergleich von Neubau und Sanierung alle Kosten für einen Neubau einbezogen werden. Also auch die Ausgaben für Abriss und Entsorgung der alten Bausubstanz.

Ramona Riederer treibt das Projekt "Alter Hof sucht neue Liebe" weiter voran, für den anstehenden Winter ist bereits ein neues Seminarprogramm aufgelegt. In der Hoffnung, dass sie weitere Eigentümer alter Bauernhöfe erreicht, gleichgültig ob die Anwesen schon verwaist sind oder noch nicht. Denn jeder Abriss, den sie verhindern und in eine neue Nutzung überführen kann, ist ein Erfolg. Für den Ort, fürs Allgäu, für die Baukultur und nicht zuletzt die Umwelt.


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