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Übergewicht Abnehmen, aber wie?

Jedes Jahr aufs Neue der gute Vorsatz, der Versuch während der Fastenzeit: endlich Abnehmen. Vielleicht gelingt es sogar für ein paar Wochen oder Monate, doch irgendwann kommt der Rückfall. Wie geht es, neue Essgewohnheiten dauerhaft zu etablieren?

Author: Katharina Hübel, Klaus Schneider

Published at: 14-6-2022

Abnehmen | Bild: imago / Revierfoto

Abnehmen funktioniert nicht mit Crash-Diäten, auch nicht mit extremen Umstellungen wie plötzlich gar keinen Zucker mehr zu sich zu nehmen oder überhaupt keine Kohlenhydrate mehr zu essen. Diese Ansicht hat sich in der Ernährungsmedizin durchgesetzt, dennoch gibt es immer wieder neue Ernährungstrends.

Expertin:

Prof. Dr. Yurdagül Zopf
Klinische und Experimentelle Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Erlangen / Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Wie viel sie bringen, für wen sie was sind und wo ihre Grenzen liegen – dazu gibt Professorin Dr. Yurdagül Zopf Antworten. die sich an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg speziell mit klinischer und experimenteller Ernährungsmedizin beschäftigt,. Sie betreut viele Patient*Innen, die verzweifelt sind, weil sie schon zahlreiche Diäten in ihrem Leben durchgemacht haben und immer noch stark übergewichtig sind und unter Folgeerkrankungen leiden. Sie begleitet sie bei dem Prozess, alte Gewohnheiten aufzugeben und neue Essmuster zu etablieren. Ihr Anliegen: dass die Ernährungsumstellung dauerhaft funktioniert.

Der vorliegende Text beruht auf einem Interview mit Professorin Dr. Yurdagül Zopf, Klinische und Experimentelle Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Erlangen / Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Fast jeden stören irgendwann im Leben Speckröllchen, Bierbauch oder Doppelkinn. Doch wer muss wirklich abnehmen? Bei wem ist zu viel Fett wirklich ein gesundheitliches Risiko? Und wer darf entspannter mit ein paar Kilos zu viel umgehen?

Yurdagül Zopf, Professorin für Ernährungsmedizin in Erlangen, beobachtet eine massive Zunahme adipöser Menschen in Deutschland. Aktuelle Daten zeigen, dass etwa jeder vierte Mann und jede fünfte Frau krankhaft fettleibig ist; vor wenigen Jahren waren es noch unter 20 Prozent. Was ihr vor allem Sorge bereitet, ist, dass auch viele Kinder und Jugendliche betroffen sind und der Anteil Übergewichtiger vom Kindergarten- über das Grundschul- bis zum Jugendalter deutlich ansteigt. Für Erwachsene gilt, dass ab einem Body-Mass-Index (BMI) von über das Risiko für verschiedenste Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Krebs erhöht ist.

"Leichtes Übergewicht von einem BMI zwischen 25 und 29 mag man selber vielleicht nicht so gerne sehen, muss aber nicht problematisch sein. Ab einem BMI von 30 sieht das anders aus, insbesondere bei der bauchbetonten Fettleibigkeit. Diese Patient*Innen sollten dringend abnehmen, wenn sie dauerhaft gesund bleiben möchten."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Professorin für Klinische und Experimentelle Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Erlangen

Beim Abnehmen geht es nicht darum, den nächsten Modelwettbewerb zu gewinnen, sondern darum, ein Gewicht dauerhaft zu halten, das gesund ist. Ein paar Kilo zu viel sind vielleicht ein ästhetisches Problem, jedoch kein medizinisches. Mit zunehmendem Alter sollte man auch besonders auf seine Muskulatur achten.

"Der Muskelaufbau wird irgendwann immer schwieriger, weil man nicht mehr so intensiv Sport machen kann, wie als junger Mensch, wenn zum Beispiel die Gelenke nicht mehr mitmachen. Leider muss man geduldiger sein, auch weil sich der Stoffwechsel über die Jahre umstellt und dadurch ein Muskelaufbau nicht mehr so leicht ist. Prozesse dauern länger."

Yurdagül Zopf, Professorin für Klinische und Experimentelle Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Erlangen

Ein paar Kilo zu viel bei gesundem Lebenswandel sind auch nicht schädlich, im Gegenteil: im Alter ab 65 Jahren werden sie sogar zum Vorteil.

"Bei den älteren Patient*Innen wissen wir, dass es von Vorteil ist, wenn sie ein etwas höheres Körpergewicht haben. Und – egal, in welchem Alter: Wenn jemand adipös ist, also schwer übergewichtig, sollte er das Zuviel an Fett abbauen und einen BMI von unter 30 anstreben."

Yurdagül Zopf, Professorin für Klinische und Experimentelle Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Erlangen

Um gesund zu bleiben oder gesund zu werden, sollte abnehmen, wer einen BMI über 30 hat, vor allem bei einer bauchbetonten Adipositas. Der BMI wird errechnet aus einer Formel, bei der Körpergröße und Gewicht berücksichtigt werden. Der BMI sagt aber nichts über die Körperzusammensetzung aus. Denn wer sehr sportlich ist und sehr viel Muskelmasse hat, schneidet beim BMI genauso schlecht ab wie eine Person mit zu viel Körperfett. Dennoch ist der BMI für die meisten Menschen ein guter Richtwert. Der BMI berechnet sich nach Körpergewicht (Kilogramm) dividiert durch Körpergröße (Meter) im Quadrat.

Beispiel:

BMI-Berechnung:
83 kg : 1,88 x 1,88m = 23,48 kg/m² (d.h. ca. 23,5)

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterteilt:

Personen mit Normalgewicht: BMI zwischen 18,5 und 24,9

Übergewichtige: BMI zwischen 25 und 29,9

Adipositas: BMI ≥ 30

Messung der Körperzusammensetzung

Zuverlässigere Aussagen über die Zusammensetzung des Körpers und das Gesundheitsrisiko liefert eine so genannte Bioimpedanzanalyse. Mittels dieser einfach anzuwendenden Messtechnik lässt sich relativ genau bestimmen, aus wie viel Fett, Muskel und Wasser sich ein Körper zusammensetzt. Dabei ist es entscheidend, wie viel Fett im Verhältnis zur Muskulatur ein Mensch hat und wie das Fett im Körper verteilt ist. Je höher der Fettanteil, je mehr Bauchfett und je geringer der Muskelanteil, desto höher ist das Risiko für bestimmte Erkrankungen – je nach Alter und Geschlecht. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Frauen in der Regel mehr Körperfett als Männer haben und auch ältere Menschen mehr als jüngere. Mit dieser differenzierten Messung können auch besser Erfolge bei einer Ernährungs- und Sporttherapie gesehen werden, wenn sich beispielsweise Muskelmasse auf- und Körperfett abbaut. So steigt auch die Motivation beim Abnehmen und Sporteln.

"Die Menschen, die zu mir kommen, sind häufig erschüttert, wenn sie von mir erfahren, dass sie von zu viel Fett krank werden können. Dieses Gesundheitsrisiko sollte den Menschen jedoch bewusster sein -  Ästhetik ist bei Adipositas eigentlich zweitrangig."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen

Professorin Yurdagül Zopf beobachtet unter ihren Patientinnen und Patienten einen Wandel über die letzten Jahre im Lebensstil und in der Esskultur. Sie stellt fest, dass sich immer mehr stark übergewichtige Patient*Innen in erster Linie ungesund ernähren und zu wenig bewegen. Sie leben nach der so genannten "Western Diet". Sie zeichnet sich aus durch zu viele:

  • Fertigprodukte, in denen viel Zucker und schlechte Fette versteckt sind, damit ist beispielsweise auch das Brötchen "to go" vom Bäcker gemeint, das mit fettreicher Remouladensauce bestrichen ist
  • zuckerhaltige Getränke
  • Fleisch- und Wurstwaren
  • stark verarbeitete Lebensmittel

Wie geht gesundes Essen?

Prof. Dr. Yurdagül Zopf begleitet ihre Patientinnen und Patienten bei einer Umstellung der Gewohnheiten. Ihr Ziel ist es, dass die Menschen, die zu ihr kommen, zu einer gesund-mediterranen Ernährung zurückfinden. Das bedeutet:

  • viel frisches Gemüse, frischer Salat
  • frisches Obst
  • Vielfalt auf dem Teller
  • wenig Fleisch und Wurst
  • Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte
  • gesunde Fette und Öle, wie Olivenöl, Rapsöl
  • täglich Milchprodukte, wie Joghurt, Buttermilch, Kefir
  • regional einkaufen: saisonale Nahrungsmittel aus dem Umland
  • keine Fertigprodukte, keine Fertigsaucen
  • Essen in Gemeinschaft
  • Bewegung

"Die Zauber-Pille, um schnell abzunehmen oder gesund zu bleiben, gibt es nicht. Das Nahrungsmittel in seiner natürlichen Form ist immer gesünder als die Inhaltsstoffe in einer Kapsel zu sich zu nehmen."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen

Statt viel Geld für Superfood oder Kapseln auszugeben, ist es günstiger und zielführender, regional und frisch einzukaufen. Normale Lebensmittel aus Deutschland reichen völlig aus, empfiehlt die Ernährungsmedizinerin.

"Wir brauchen keine exotischen Superfoods. Statt Quinoa und Chia-Samen können Haferflocken und Leinsamen eingesetzt werden, diese sind günstiger, ökologisch besser und gesünder."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen

Machbare Diäten im Sinne einer gesunden Ernährungsumstellung und ein machbarer Umfang an Bewegung sind der Schlüssel zum Erfolg. Wer einen BMI über 30 hat, dem rät die Ernährungsmedizinerin Yurdagül Zopf zu einer engmaschigen professionellen Ernährungsberatung.

"Die Güte der Ernährungsberatung zeichnet sich dadurch aus, dass der Patient individuelle Ernährungsempfehlungen erhält, die an seine Lebenssituation und sein Risikoprofil angepasst sind. Komplette Verbote sind nicht hilfreich. Wichtig ist auch, mit den Patient*Innen klare und realistische Ziele zu besprechen, zu vereinbaren und zu überprüfen."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Bei bestimmten Diättrends ist die Gefahr hoch, dass der Betroffene zu wenig Kalorien zu sich nimmt, beispielsweise bei 'Low Carb'. Das ist eine Ernährungsweise, bei der möglichst wenige oder sogar gar keine Kohlenhydrate gegessen werden sollen. Auch gibt es beispielsweise den Trend, gar keinen Zucker zu essen, also nicht einmal Milchzucker oder Fruchtzucker – keine Milch- und Milchprodukte, kein Obst. Damit fehlen wichtige Nährstoffe.

"Wenn sich jemand sehr stark unterkalorisch ernährt, wichtige Nährstoffe fehlen und er nicht fit genug ist, dass er Sport machen kann, dann passiert es, dass über die Zeit Muskelmasse abgebaut wird. Dann ist der Grundumsatz dieser Person sehr niedrig, und das Gehirn passt den Stoffwechsel in dem Sinne an. Dann nehmen diese Menschen nach der Diät rasch zu, wiegen plötzlich sogar mehr als vor der Diät."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Der so genannte Jo-Jo-Effekt schlägt zu, wenn der Grundumsatz, also der Energiebedarf, der notwendig ist, um die Körperfunktionen aufrecht zu erhalten, absinkt und der Stoffwechsel auf "Sparflamme" umschaltet. Dies geschieht, wenn man weniger Muskulatur hat, weil man die falsche Diät macht und/oder sich zu wenig bewegt.

Die Empfehlung:

Die Ernährung langfristig umstellen ohne zu hungern, eine moderate Kalorienreduktion (zirka 500 Kalorien/Tag) und viel Sport treiben.

"Ich versichere Ihnen, dass jeder, der sich gesund mediterran ernährt und hoch verarbeitete Lebensmittel, wie etwa Fertigprodukte weglässt, automatisch eine gesunde Umstellung hat, sich nicht hungrig fühlt und trotzdem weniger Kalorien zu sich nimmt. Und wenn er dann noch zusätzlich Sport macht, hat er auf Dauer mehr Erfolg, als diese ganzen Diäten, die immer postuliert werden."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Die Erlanger Professorin Yurdagül Zopf rät von einer ausgeprägten Low Carb-Diät ab. Wer zu stark Kohlenhydrate reduziere, könne in eine Mangelsituation kommen. Zudem könnte sich die Zusammensetzung der Bakterien im Darm verändern.

"Wir haben Bakterien im Darm, die eine bestimmte Zufuhr an Kohlenhydraten brauchen, damit ein stabiles Milieu für ihr Wachstum gegeben ist. Eine ganz einseitige Diät kann sehr ungünstig für ein gesundes Gleichgewicht der Darmbakterien sein. Low Carb kann ich mit Sicherheit nicht empfehlen, und es ist auch nicht zielführend, wie sich in Untersuchungen gezeigt hat."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Sicherlich ist es sinnvoll, rät die Ernährungsmedizinerin Prof. Dr. Yurdagül Zopf, wenn man darauf achtet, in welchen Lebensmitteln versteckte Zucker enthalten sind. Oft nämlich auch da, wo man es nicht vermutet: Vor allem in Fertigprodukten, Fertigsaucen in Kantinen, aber auch auf Bäckersemmeln, wenn zuckerhaltiger Ketchup darauf ist oder auch in bestimmten Wurstsorten. „Zero Zucker“, ganz ohne, findet die Professorin jedoch nicht sinnvoll.

"Ein mäßiger Zuckerkonsum ist völlig in Ordnung. Es ist nicht sinnvoll, dass man sich nicht mal mehr traut, zu seinem Kaffee einen Löffel Zucker zu nehmen oder mit Zucker zu backen. Da darf man nicht zu radikal sein, weil das nicht klappen wird. Zuckergesüßte Getränke, wie Limonaden und Nektare, sollte man jedoch meiden."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Ein relativ neuer Trend in der Ernährungsmedizin ist das Intervallfasten. Das bedeutet, dass es Zeiten gibt, in denen gegessen werden darf, und Zeiten, in denen gefastet, also nichts oder wenig gegessen, wird. Dabei kann man wählen zwischen täglichen Essenspausen: über Nacht 16 Stunden pausieren und tagsüber binnen acht Stunden normal essen (Methode 16:8) und wöchentlichen Essenspausen: fünf Tage in der Woche normal essen, zwei Tage nur wenig (Methode 5:2). 

"Studien zeigen, dass das Intervallfasten am Anfang zwar effektiv ist – wie alle Diäten, die die Alltagsgewohnheiten durchbrechen –, aber im Verlauf auch nicht erfolgreicher als die Gesamtenergiezufuhr zu reduzieren bzw. dem Bedarf anzupassen. Es werden zudem keine konkreten Empfehlungen für eine gesunde Lebensmittelauswahl an den fastenfreien Tagen gegeben. Die Patient*Innen lernen so auch nicht, wie sie sich dauerhaft gesund und ausgewogen ernähren können."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Prof. Zopf kann aus ihrer Praxis nicht bestätigen, dass Intervallfasten eine sinnvolle Ernährungsumstellung bewirkt. Vielmehr stellt sie fest, dass nur ganz wenige Patient*Innen die zeitlichen Essregeln dauerhaft durchhalten.

"Die Community kann hilfreich sein, wenn man keine krankhafte Situation hat und wenn der Patient keine anderen Möglichkeiten hat. Aber die Community geht nicht auf den Patienten ein in dem Sinne: Hat er eine entzündliche Erkrankung? Hat er Rheuma? Hat er Bluthochdruck? Hat er eine Insulinsensitivitätsstörung? Bei einer krankhaften Adipositas und/oder bei Vorliegen von Folgeerkrankungen durch das Übergewicht ist eine ärztliche Mitbetreuung unerlässlich."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Jeder ist genetisch ein bestimmter Körper- und auch Ess-Typ. Eine völlige Veränderung ist nicht möglich. Jedoch rät Professorin Zopf davon ab, teure Bluttests in Auftrag zu geben, die herausfinden sollen, welcher genetische Ess-Typ man ist:

"Das sind Maßnahmen, die nicht wirklich valide sind. Die Patient*Innen geben zum Teil sehr viel Geld aus für irgendwelche Blutuntersuchungen. Man muss individuell auf den Patienten eingehen, indem man fragt: Welche Form der gesünderen Ernährung ist machbar für dich, welche nicht?"

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Essen, was der Körper einem sagt – das ist das Grundprinzip von intuitivem Essen. Das soll die Lösung sein für alle, die schon zu viele Diäten in ihrem Leben abgebrochen haben, weil sie sich nicht dauerhaft an bestimmte Verbote und Verzicht gewöhnen können. Wer auf die Intuition in seinem Körper hören kann, so die These, isst automatisch die Lebensmittel und Nährstoffe, die der Körper braucht, und hört auf zu essen, wenn er satt ist. Das bedeutet: Essen aus Appetit findet nicht mehr statt – Völlerei ade! So soll das Normgewicht des Körpers erreicht und dauerhaft gehalten werden. Die Erlanger Ernährungsmedizinerin hält das jedoch für graue Theorie.

"Das halte ich für unsinnig und gefährlich: Sprich, wenn du Lust hast auf drei Burger, dann sollst du dich auch so ernähren. Der Punkt ist: Wenn jemand krank ist, dann kann sein Körper nicht immer alles richtig wissen. Wenn jemand krankhaftes Übergewicht hat, dann wäre es katastrophal, wenn er seiner Intuition nachgibt."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Neue Gewohnheiten

Zum Beispiel wissen die Ärzte, dass Menschen mit einer bestimmten entzündlichen Darmerkrankung, gerne Zucker konsumieren, weil ihre Geschmacksnerven zerstört sind. So essen sie immer mehr Zucker, was wiederum die Entzündung befördert.

"Generell halte ich nichts vom so genannten intuitiven Essen. Meist ist falsches Essen anerzogen. Wenn ein Kind immer nur bestimmte Lebensmittel gegessen hat, dann hat es auch Lust drauf. Die Gewohnheit rauszukriegen, ist schwierig. Die gesunde Intuition existiert in diesem Fall gar nicht. Krankhaft dicke Menschen brauchen Aufklärung über Ernährung und neue Gewohnheiten."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum

Gesunde Lebensmittel einkaufen, selbst zubereiten, sich ausreichend bewegen – was so einfach klingt, ist oft schwer umzusetzen. Denn wir müssen unsere Gewohnheiten ändern. Wie kann das gelingen?

Am einfachsten ist es, wenn die Person, die ihre Gewohnheiten umstellt, engmaschig begleitet und betreut wird. Am besten von einem professionellen Team aus Arzt, Ernährungsfachkraft, Sportmediziner und Psychotherapeuten. Wichtig ist auch, dass das private Umfeld mitzieht.

"Der richtige Weg wäre, dass die Familie zusammenhält. Zum Beispiel, wenn ein Jugendlicher abnehmen möchte, wäre es eine Katastrophe, wenn sich die restliche Familie ganz anders ernährt. Er ist ja nicht umsonst so übergewichtig geworden."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen

Einen Plan B haben

Die Unterstützung aus dem Umfeld ist auch wichtig für die Motivation. Bei vielen Menschen, die krankhaft übergewichtig sind, spielt die Psyche eine große Rolle. Sie müssen beim Abnehmen mentale Stärke beweisen. Sie werden beispielsweise auf der Arbeit oder auch privat immer wieder mit Versuchungen konfrontiert. Da empfiehlt es sich, einen Plan zu haben: Wie gehe ich damit um, dass meine Kollegen vielleicht etwas ganz Anderes zu Mittag essen als ich? Wie reagiere ich, wenn ich ein Stück Geburtstagstorte angeboten bekomme?

"Wichtig ist, dass man auch nicht unrealistisch sein darf, dass wir bei besonderen Anlässen, wie Geburtstag oder Weihnachten, einen Menschen nicht aus seinem sozialen Gefüge nehmen dürfen. Das geht natürlich nicht. Aber auf lange Zeit können Sie den Patienten nur mental so stärken und das Sättigungsgefühl so aufbauen, dass er nicht jedes Mal das Stück Torte mit Sahne nimmt, sondern vielleicht den Obstkuchen und ohne Sahne."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen

Unterstützung für die Seele

Aber auch: Wie gehe ich mit Stress und Konflikten um? Wie kann ich sie anders lösen als mit Essen? Wie kann ich mich anders belohnen?

"Da führt kein Weg dran vorbei, dass man den Patient*Innen Tipps und Tricks an die Hand gibt, wie sie die Ernährungsumstellung mit einer Verhaltensänderung trotzdem bewältigen können; sie brauchen auch hier professionelle Unterstützung."

Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen

Sie können das beispielsweise beim Psychotherapeuten erlernen. Es müssen individuell Mechanismen entwickelt werden, damit die Patient*Innen aus ihrem Negativkreislauf herauskommen. Allgemeine Tipps gibt es dazu leider nicht, meint die Ernährungsmedizinerin.

Wie viel Sport muss ich machen?

Neben einer adäquaten Ernährung spielt auch regelmäßige Bewegung eine zentrale Rolle, um dauerhaft ein Normgewicht zu halten. Idealerweise sollte man laut Empfehlungen der WHO mindestens 150 Minuten pro Woche körperlich aktiv sein. Hierzu zählen Alltagsaktivitäten, wie z.B. Treppensteigen, ein flotter Spaziergang oder Radfahren, um von A nach B zu kommen. Neuere Studienergebnisse unserer Arbeitsgruppe zeigen jedoch, dass bei einem zielgerichteten, individualisierten Trainingsprogramm auch mit wesentlich geringerem Aufwand eine effektive Gewichtsabnahme und vor allem auch eine Steigerung der Herz-Kreislauf-Leistung sowie eine Verbesserung verschiedener Risikoparameter (z.B. Blutdruck, Blutzucker- und Blutfettwerte) erzielt werden können. Eine Verbesserung der körperlichen Fitness und des Risikoprofils ist letztendlich für die Langzeitprognose entscheidender als das, was auf der Waage steht.