Kommentar zum Wahlalter Jung heißt nicht dumm: Lasst 16-Jährige wählen!

Demonstrieren ja, bestimmen nein – so sieht’s gerade für unter 18-Jährige aus. Bei der Europawahl dürfen junge Menschen wieder mal nicht mitreden, dabei steht europaweit viel auf dem Spiel. Doch entscheiden werden wieder nur die Alten.

Von: Ilka Eliana Knigge

Stand: 23.05.2019 | Archiv

Jugendliche demonstrieren | Bild: picture alliance

Unsere Politik wird von und für alte Menschen gemacht. Das klingt hart, ist aber traurige Wahrheit. Die größte Wähler*innengruppe bei der letzten Bundestagswahl waren die über 70-Jährigen. Und auch bei der Europawahl sieht es nicht besser aus. Die meisten Menschen, die wählen dürfen, sind über 60. Der Verein "Demokratische Stimme der Jugend" wollte dafür sorgen, dass auch Menschen unter 18 wählen dürfen. Daraus wurde nichts. Dabei gibt es so viele Gründe, das Wahlalter auf 16 runterzusetzen, findet PULS-Autorin Ilka Knigge.

1. 16-Jährige wählen in Deutschland schon – und es funktioniert!

Ich bin in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, einem Bundesland in dem 16-Jährige zur Kommunalwahl gehen dürfen. Das ist in insgesamt elf Bundesländern in Deutschland so. In vier Bundesländern gilt es sogar auch für den Landtag. Und es funktioniert. Warum passen alle anderen Bundesländer das Wahlalter nicht einfach an? Aktuell kann eine 16-Jährige aus Brandenburg sich für eine Partei entscheiden, die zum Beispiel Studiengebühren ablehnt, ein 16-Jähriger aus Bayern muss die Entscheidung aber allen über 18 überlassen. Das ist absurd! Genauso absurd wie der Fakt, dass bei Bundestags- und Europawahlen nur 18-Jährige wählen dürfen.

2. Älter heißt nicht unbedingt schlauer!

Wenn die Gegner*innen gegen das Wahlrecht mit 16 wettern, geht es meistens um Reife, um Verstand oder Verantwortung. Die Argumente funktionieren nach dem Muster: Jung = Unreif = Überlass das Wählen mal den Profis!
Was die Christian Lindners dieser Welt nicht bedenken: In jedem Alter gibt es Menschen, die Entscheidungen treffen, die wir gut und sinnvoll finden und Menschen, die das nicht tun. Niemand wird mit 18 plötzlich wach und ist schlauer als am Tag zuvor. Und wahrscheinlich kommt auch niemand mit 60 auf die Idee, sich für Politik zu interessieren, wenn er*sie das vorher nie getan hat. Aber auch die Ignoranten, die Trolle und Ahnungslosen dieser Welt dürfen wählen. Das steht so in Artikel 20 unseres Grundgesetzes: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Und diese Staatsgewalt wird "vom Volke in Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt. Was nicht dort steht, ist dass das "Volk" nur ü18, schlau und verantwortungsvoll sein darf. Mit der Argumentation müsste man nämlich nicht nur 16-Jährige von der Wahl ausschließen.

3. Die "magische 18" ist auch nur eine Entscheidung

1972 hat der deutsche Bundestag entschieden: Ab jetzt dürfen 18-Jährige in Deutschland den Bundestag wählen – das war vorher nicht so. Nur 21-Jährigen wurde das zugetraut. Warum sollte sich diese magische Grenze also heute nicht noch einmal verschieben? Gegner des Wahlrechts ab 16 argumentieren oft damit, dass man mit 16 nicht einmal voll strafmündig ist. Wer nicht für seine Taten geradestehen kann, der*die soll auch nicht wählen dürfen. Aber was ist mit den Entscheidungen, die wir mit 16 Jahren in Deutschland längst treffen dürfen? Jede*r 16-Jährige darf sich frei für seine*ihre Religion entscheiden. Mit 16 beginnen viele eine Ausbildung. Sie müssen also nicht nur entscheiden, welcher Job gut zu ihnen passt, sondern ab einem bestimmten Gehalt auch Steuern zahlen. Aber mitentscheiden in der Steuerpolitik? Nö. Mit 16 darf ich in Deutschland vor Gericht einen Eid ablegen, ich darf mein Testament machen, heiraten und sogar in Parteien als Mitglied eintreten. Aber mir dann bei der Wahl überlegen, welche Partei meine Interessen gut vertritt? Unmöglich. Es mag ja Sinn machen, für einige Dinge im Leben ein Mindestalter zu haben. Aber diesem dann ewig hinterherzurennen mit der Argumentation "das haben wir immer schon so gemacht" ist nicht sinnvoll.

4. Die 16 ist längst der Kompromiss!

Während ich hier ein Wahlrecht für 16-Jährige fordere, sind einige Organisationen und Vereine schon bei ganz anderen Zahlen. Der Verein "Demokratische Stimme der Jugend" will ein Kinderwahlrecht einführen. Jedes Kind, das wählen möchte, soll zum Bürgerbüro gehen dürfen und dort seine Wahlunterlagen bekommen – wenn es denn eigenständig mitteilen kann, dass es wirklich will. Der Bayerische Jugendring fordert das Wahlrecht ab 14 Jahren. Und zwar mit dem Argument, dass 14-Jährige längst reife Entscheidungen treffen können. Auf seiner Website zitiert der BJR den Jugendforscher Klaus Hurrelmann: "Mit etwa zwölf Jahren ist eine stabile intellektuelle Basis erreicht, auch eine grundsätzliche soziale und moralische Urteilsfähigkeit ist gegeben. Von diesem Alter an ist es möglich, politische Urteile zu treffen; es wäre auch möglich, sich an Wahlen zu beteiligen." Die 16 ist also längst zu einem Kompromiss geworden.

5. Das alte Deutschland kann es sich erlauben!

Auch wenn alle 16- und 17-Jährigen bei der nächsten Bundestagswahl wählen dürften, wäre der Anteil an alten Wahlberechtigten immer noch höher. Ein bisschen Mathe: Bei der letzten Bundestagswahl 2017 durften 12 Millionen ü70er wählen, dafür nur 2,2 Millionen 18 bis 21-Jährige. Kommen zu denen dann die ungefähr 1,5 Millionen 16- und 17-Jährige, dann kommen auf jede*n junge*n Wähler*in immer noch drei alte…. Müssen wir da wirklich noch diskutieren, ob man mit 16 wählen dürfen soll?

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Sendung: PULS am 23.05.2019 - ab 15 Uhr