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Brüssel – Hauptstadt des Europäischen Terrors? "Wer wo wohnt, weiß man in Brüssel oft einfach nicht"

Das Problem mit Terroristen im Brüsseler Problemviertel Molenbeek hat nichts mit fehlender Integration zu tun und Polizeipräsenz ist das falsche Mittel, sagt Bas van Heur. Er ist Professor für Urban Studies in Brüssel.

Von: Laura Goudkamp

Stand: 23.03.2016 | Archiv

Polzei in Molenbeek, Brüssel  | Bild: picture-alliance/dpa

PULS: Haben Dich die Anschläge in Brüssel überrascht?

Bas van Heur: Es hat mich eigentlich gar nicht überrascht. Brüssel ist die Hauptstadt von Europa und hat eine hohe Konzentration von anschlagsbereiten Leuten. Besonders im Hinblick auf die Ereignisse der letzten Tage, der Verhaftung von Salah Abdeslam, dem mutmaßlichen Haupttäter der Pariser Anschläge, waren die schrecklichen Szenen nur eine Frage der Zeit. Dass es genau jetzt kam, ist natürlich immer eine Überraschung.

Du wohnst in Brüssel. Schwingt dort immer eine Terrorangst mit, oder denkt man da irgendwann gar nicht mehr dran, wenn man auf die Straße geht?

Das hängt wirklich von der Situation ab. Ich selber nehme das inzwischen als Hintergrundrauschen war. Wenn man das rational sieht, ist die Chance, dass man bei einem terroristischen Anschlag stirbt bei weitem kleiner, als zum Beispiel von einem Auto überfahren zu werden. Natürlich ist man trotzdem verunsichert, besonders wenn man mit Frau und Kindern in Brüssel lebt. Man ist sich schon bewusst, dass ein Anschlag jederzeit passieren könnte.

Molenbeek ist mittlerweile ein Schlagwort, wenn man über Brüssel spricht. Was sind denn aus deiner Sicht die Gründe, warum das Brüsseler Viertel zum "Hotspot des europäischen Terrorismus" geworden ist?

Ich glaube, da gibt es mehrere Ebenen. Belgien und besonders auch Brüssel hatten immer schon eine liberale Verwaltungsstruktur – sehr laissez faire. Leute können hier ankommen und leben und werden im Grunde in Ruhe gelassen, wenn sie keine verrückten Sachen machen. Ich finde das in erster Linie positiv, weil das Brüssel zu einer unglaublich lebenswerten Stadt macht. Gleichzeitig hat das aber auch seine dunklen Seiten, wie wir jetzt sehen. Diese für Belgien typische laissez faire Struktur clasht mit der komplexen und ineffizienten Stadtstruktur, wo verschiedene Verwaltungsstellen nicht richtig miteinander reden. Diese Kombination hat dazu geführt, dass es wenig Transparenz gibt, was in Molenbeek oder an anderen Orten in Belgien passiert. Das ist aber nicht spezifisch für Molenbeek, sondern eher der hohe Migrationsanteil, der  sehr muslimisch geprägt ist. Ich würde schätzen, dass 40 Prozent der Bevölkerung dort einen muslimischen Hintergrund haben, aber nicht unbedingt praktizierend. Das in Kombination mit einer liberalen Verwaltung bedeutet natürlich auch, dass sich Teile einer Gemeinschaft, die eher kriminell unterwegs sind, weitgehend unsichtbar machen können.

Würdest Du sagen, dass ein großes Problem von Molenbeek die fehlende Integration von Muslimen ist, wie jetzt oft in den Medien zu lesen ist?

Das ist Quatsch. Da muss man wirklich dagegen halten. Dieses Klischee wird gerne vom rechten Rand angeführt, aber ich glaube, die einzige Art und Weise solche terroristischen Anschläge zu verstehen, ist, sie als Folge von kriminellen Netzwerken zu betrachten. Wenn man sich anschaut, wer diese Anschläge begeht und was ihre Hintergründe sind, zeigen sich schnell Verbindungen in die Schwerstkriminalität. Das sind also kriminelle Netzwerke, die mit Integration erst mal überhaupt nichts zu tun haben. Man könnte sogar sagen, diese Terroristen sind sehr gut integriert, weil sie wissen, wie sie europäische Netzwerke nutzen können. Sie reisen auch sehr aktiv in Europa rum. Die Integrationsfrage ist irreführend in diesem Kontext, was aber nicht heißt, dass es keine Probleme mit Integration gibt.

Du hast die liberale Politik der Stadt angesprochen. Befürchtest Du nach den Anschlägen, dass die Politik jetzt zum Gegenangriff übergeht, also "Zero-Tolerance"-Politik und hartes Durchgreifen in Molenbeek?

Die Gefahr sehe ich schon. Wenn ich mich an die ersten Reaktionen des belgischen Staates erinnere, nachdem klar wurde, dass die Pariser Anschläge in Verbindung mit Brüssel stehen, war das sicherlich eine Art von "No-Tolerance"-Strategie. Es wurde sehr auf Militär- und Polizeipräsenz im öffentlichen Raum gesetzt und es gab sehr intensive Überwachung. Das ist natürlich höchst problematisch. Zwar ist es als Reaktion schon verständlich, aber eigentlich ist das letztendlich nur Symbolpolitik. Die Anschläge in Brüssel haben auch ganz klar gezeigt, dass die Präsenz von Polizei und Militär im öffentlichen Raum wirklich gar nichts gebracht hat. Die Polizei stand ja an jeder Metrostation, aber das hatte keine Wirkung. Es ist die absolut falsche Reaktion, um solche Anschläge zu verhindern.

Was wäre dein Lösungsvorschlag, das Terrorismusproblem im Kontext von Molenbeek und Brüssel in den Griff zu kriegen?

Man muss die terroristischen Anschläge als Folge von kriminellen Netzwerken betrachten. An dieser Ebene muss man ansetzen – also einen Ausbau der Geheimdienstarbeit und nicht der repressiven Seite. Das wäre ein wichtiges Element, an dem der belgische Staat gescheitert ist. Ein anderer Aspekt ist eine stärkere Regulierung des Wohnungsmarktes in Molenbeek, aber auch in anderen Vierteln in Brüssel, wo Wohnungen unter der Hand vermietet werden. Es ziehen sehr viele Leute ein und wieder aus, ohne dass die Stadt da einen genauen Überblick hat. Das muss die lokale Verwaltung mehr kontrollieren und aktiver eingreifen. Wer wo wohnt, weiß man in Brüssel oft einfach nicht.


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