Interview // Hilfsorganisation Sea-Eye e.V. Wie Regensburger mit einem alten Fischkutter Menschen im Mittelmeer retten

Am Dienstag sticht der zweite Fischkutter des Regensburger "Sea-Eye e.V." in See. Die Mission der Helfer: Menschen in Seenot im Mittelmeer retten. Dabei würden sie sich eigentlich nur wünschen, endlich überflüssig zu sein.

Von: Miriam Harner

Stand: 10.04.2017 | Archiv

Der Kutter der Regensburger Flüchtlingsinitiative "Sea Eye" | Bild: pa/dpa/Bernd Wüstneck

Letztes Jahr sind mindestens 5000 Menschen bei ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Ohne die Hilfsorganisation Sea-Eye aus Regensburg wären aber vermutlich noch viel mehr Geflüchtete auf ihrer lebensgefährlichen Reise gestorben. Die Organisation rettet nämlich mit Hilfe eines ehemaligen Fischkutters Schiffbrüchige aus Seenot – 2016 waren es knapp 5600. Morgen bricht die Sea-Eye-Crew mit einem zweiten Rettungsschiff von Stralsund in Richtung Mittelmeer auf. Wir haben mit dem Gründer Michael Buschheuer gesprochen.

PULS: Warum rettet eine private Initiative aus Regensburg Flüchtlinge auf dem Mittelmeer - wäre das nicht der Job von Europa oder der EU?

Michael Buschheuer, Sea-Eye e.V.: Unserer Ansicht nach gäbe es viele, die das besser könnten als wir: Afrika oder Europa, eigentlich jeder andere, der das professioneller hinbekommen würde oder mehr zuständig wäre. Aber wenn sich diese Institutionen dem Thema nicht annehmen, dann ist man schlicht persönlich gefordert etwas zu tun. Und diese Chance und Pflicht haben wir wahrgenommen. Wir haben an allen Stellen angeprangert, dass dieser Zustand nicht dem europäischen oder afrikanischen Entwicklungsstand entspricht: Aber wenn von denen niemand etwas tut, dann machen wir es halt.

Wie muss man sich so eine Rettungsaktion denn vorstellen? Allein die Schiffbrüchigen zu finden ist doch bestimmt total schwierig. Das Mittelmeer ist ja doch ganz schön groß.

Einerseits ist es ganz schwierig, andererseits verblüffend einfach. Man muss sich einfach vorstellen, man fliegt nach Malta, setzt sich dort auf ein Boot und fährt dann einen Tag Richtung Süden. Dort kreuzt man hin und her bis man über ein Flüchtlingsboot stolpert. Oder bis eines vom internationalen Seenotrettungszentrum gemeldet wird, dass sind etwa die Hälfte der Boote. Dann setzen wir ein Schlauchboot ins Wasser und versorgen die Leute mit Rettungswesten und dem Allernötigsten, damit sie ein paar Stunden überleben, bis ein größeres Schiff da ist, das sie aufnehmen kann. Wir tragen Sorge, dass niemand über Bord geht. Wenn wir sehen, dass die Leute am Leben bleiben, sind wir glücklich. Damit ist eigentlich unser Job schon erledigt.

Das heißt, ihr nehmt gar keine Flüchtlinge selbst an Bord?

Nur im absoluten Notfall. Unsere kleinen Fischkutter sind nicht dafür ausgelegt 120-150 Menschen aufzunehmen.

Sind eure Kutter speziell für den Einsatz umgebaut und ausgestattet?

Da ist nicht viel umgebaut: Das sind 60 Jahre alte Schiffe, die sind allerdings hochseetauglich. Wir haben auch zwei gute Schlauchboote dabei, 500-1000 Rettungswesten und ein paar Rettungsinseln für den schlimmsten Notfall und dann geht’s los.

Wo genau seid ihr im Einsatz?

Gerettete Flüchtlinge von "Sea-Eye" | Bild: Sea-Eye

Wir patroullieren konkret zwischen Italien und Libyen in internationalem Gewässer, ungefähr 50-60 Kilometer von der libyschen Küste entfernt. Also immer noch möglichst weit weg, um nicht selber Opfer der Kriegswirren zu werden, aber nah genug, um die Leute schnell zu finden. Wir sind immer im Zwei-Wochen-Rhythmus unterwegs, also nach zwei Wochen setzt man seinen Fuß wieder an Land. Das ist schon eine sehr hohe Herausforderung für unsere achtköpfige Crew, die da mit Platzenge usw. zu kämpfen haben.

Aber auch psychisch müssen die Rettungsaktionen doch unheimlich belastend sein?

Natürlich ist das nicht schön, aber darum geht es ja nicht. Wenn jemand vor den eigenen Augen in die Isar fällt, dann springt man ja auch nach und denkt nicht darüber nach, ob man das eigentlich will, ob das Wasser zu kalt ist oder man nass wird, sondern versucht doch dem Menschen zu helfen.

Was ist denn so die größte Sorge bei den Einsätzen?

Man hofft immer, dass man nicht auf ein desaströses Boot stößt, also eines das gekentert ist oder man Menschen findet, die im Wasser treiben. Aber da hatten wir bisher Glück.

Manche Leute werfen euch vor, mit den Rettungsaktionen Schleuser zu unterstützen. Was sagt ihr dazu?

Das ist schlicht Humbug. Wir wollen ja nicht noch mehr Menschen aufs Meer ziehen, ganz im Gegenteil. Wir missachten diese Menschen aufs Tiefste. Wir wünschen uns, dass niemand sich in diese Gefahr begibt, weil wir wissen, wie es ausgeht. Die schlimmste Krise ist es ja, mit Verlaub, nicht für uns als Flüchtlingsempfängerland, sondern für die Flüchtlinge.

Wie lange soll die Sea-Eye Mission dauern? Gibt’s ein Zeitlimit?

Es gibt ein ganz klares Limit: Bis jemand anderes sich verantwortlich zeigt, das endlich zu übernehmen oder bis die Menschen sich nicht mehr in so eine Gefahr begeben. Wir sind nicht Leute, die besonders gerne Schiff fahren. Wir wünschen uns nichts mehr, als endlich überflüssig zu werden.

Sendung: Filter, 10.04.2017 ab 15 Uhr