Missbrauch in der katholischen Kirche So denkt ein Priesteranwärter über den Missbrauchsskandal

Ramon Rodriguez ist Priesterseminarist in Regensburg und muss sich oft dafür rechtfertigen. Aber er macht es gerne, denn was die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals angeht, sieht er seine Kirche auf einem guten Weg.

Von: Hannah Heinzinger

Stand: 28.02.2019 | Archiv

Priesterseminarist Ramon Rodriguez | Bild: Ramon Rodriguez

Ramon Rodriguez (24) studiert im 9. Semester im Regensburger Priesterseminar und schreibt gerade seine Masterarbeit. Nicht mehr lange, dann ist er Priester. Ein Beruf, der Ramon schon immer fasziniert hat. Bei Freunden und Familie ist sein Berufswunsch anfangs skeptisch beäugt worden, mittlerweile finden sie Ramons Job aber auch spannend. Bei anderen jungen Leuten eckt er mit seinem Beruf jedoch immer wieder an.

PULS: Ramon, musst du dich oft für deine Kirche rechtfertigen?

Ramon Rodriguez: Das kommt ganz oft vor, ja. Im Lauf meiner Ausbildung ist ein externes Jahr, also ein Jahr in dem man nicht im Priesterseminar wohnt, vorgesehen. Da habe ich in einem ganz normalen Wohnheim mit anderen Studenten gelebt. Und da kamen immer wieder sehr viele kritische Fragen. Auf der einen Seite finde ich das schön, weil ich so auch ein Zeugnis für meinen Glauben und die Kirche ablegen kann. Aber es kann auch ziemlich anstrengend sein, wenn ich nach einem harten Tag in der Uni nach Hause komme, mir nur schnell Abendessen machen möchte und dann alle heiklen Fragen aufgeworfen werden. Aber grundsätzlich bin ich froh, dass die Leute interessiert sind und Fragen stellen.

Nach der großen Missbrauchs-Konferenz in Rom vergangenes Wochenende hat es nochmal viel Kritik für den Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Missbrauch gegeben. Wie hast du die Konferenz wahrgenommen?

Jeder, der irgendwie im kirchlichen Umfeld zu tun hat, hat das natürlich mit großer Spannung verfolgt. Ich finde, angesichts der Ereignisse gibt es berechtigten Grund zur Hoffnung – allerdings ist das wirklich erst ein Anfang. Die Kinderschutz-Konferenz in Rom hat für die ganze Weltkirche klar gemacht: Ab sofort müssen die Opfer die absolute Priorität haben, sie gilt es zu schützen und Gerechtigkeit herzustellen. Und dass das jetzt für die Weltkirche der verpflichtende Weg ist, ist ein Durchbruch würde ich sagen, weil das davor leider oft nicht der Fall war. Ich hoffe, dass in den folgenden Schritten mehr umgesetzt wird.

Bis jetzt hat die Kirche sich ja ziemlich gesträubt, bei der Umsetzung mit der Justiz zusammenzuarbeiten: Akten wurden vorsortiert, bevor sie der Staatsanwaltschaft übergeben wurden und intern viele Beschuldigte einfach "weg-versetzt". Kann eine Umsetzung überhaupt funktionieren, wenn die Kirche sich nur an ihr eigenes Recht hält?

Genau da sehe ich einen der großen Durchbrüche. Die Kirche hat erkannt, dass sie das aus sich selbst heraus nicht lösen kann. Wir brauchen einfach weltliche Hilfe. Deswegen war diese Konferenz so wichtig! Es gab diese furchtbaren Fälle der Vertuschung und es mag immer noch Bischöfe geben, die das lieber intern und heimlich klären würden - aber dass diese Methode jetzt offiziell vorbei ist und die ganze Weltkirche auf diesen Konsens gebracht wurde, halte ich für ganz wichtig.

Der Papst steht auch in der Kritik, weil er auf der Konferenz keine praktischen Handlungsanweisungen gegeben hat. Für viele hat sich das alles nach sehr oberflächlichen Worten angehört...

Das liegt auch daran, dass es keine Beschluss-Konferenz war. Darauf hat Kardinal Marx auch hingewiesen. Es ging gar nicht darum einzelne, konkrete Maßnahmen zu benennen, sondern erstmal Konsens zu finden. Dass wir eben transparent und konsequent agieren müssen. Das war erstmal wichtig. Aber jetzt haben wir natürlich eine gewisse Erwartungshaltung an die einzelnen Zuständigkeiten, die Bischofskonferenzen, auch zu handeln und es nicht bei Worten zu belassen. Da bin ich aber zuversichtlich.

Du bist als Nachwuchs-Priester auch jemand, der etwas ändern und neu machen kann. Wie gehst du denn mit dem Thema Missbrauch in der Kirche um?

Die einzige Möglichkeit ist Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit. Und der Opferschutz steht an erster Stelle. Wenn irgendwas in meinem Umfeld passieren würde, dann würde ich alles daran setzen, das Opfer zu schützen, alles aufzuklären und so transparent wie möglich damit umzugehen. Einen anderen Weg gibt es nicht.

Transparenz hat sich die katholische Kirche nicht unbedingt auf die Fahnen geschrieben. Der Hildesheimer Bischof hat sogar gesagt, der Missbrauch von Macht sei in der DNA der Kirche festgeschrieben. Liegt es nicht auch an den Machtstrukturen der Kirche, das Missbrauch so oft passieren kann und so selten ans Licht kommt?

Ich persönlich denke, es geht um den rechten Gebrauch von Macht. Wenn ich Macht und Einfluss habe, dann habe ich ja auch die Möglichkeit, die Schwachen zu beschützen und die Täter zu bestrafen. Ich denke, das Problem ist nicht, dass es in der Kirche Verantwortlichkeiten und Autoritäten gibt, das Problem ist eher, wie jeder einzelne mit dieser Verantwortung umgeht, also selbst verantwortungsbewusst handelt.

Aber gerade die Tatsache, dass jeder alleine Verantwortung trägt, begünstigt doch, dass einzelne Personen so handeln können wie sie wollen - ohne dass es korrigierende Kollegen oder Strukturen in der Gemeinde gibt.

Also ich glaube die Zeiten, in denen der Pfarrer als alleiniger Chef in der Gemeinde "geherrscht" hat, sind lange vorbei. In den Pfarreien gibt es eine kollegiale Struktur: Pfarrgemeinderäte, verschiedene Gremien die auch im Kontakt mit der Diozöse stehen. Diese hierarchisch gegliederte Struktur in der Gemeinde ist vorbei, da sind wir schon viel weiter.

Redest du mit deinen Priesterseminar-Kollegen denn über solche Themen wie Missbrauch?

Bei uns ist das natürlich extrem oft Gesprächsstoff. Wir sind alles junge Leute, die mal für die Kirche arbeiten wollen - und wir wollen ja glaubwürdige Zeugen für den Glauben und die Institution Kirche sein. Da finden Diskussionen auf allen Ebenen statt, wir haben im Seminar Wohngruppen, wo wir oft im Wohnzimmer zusammensitzen und darüber diskutieren, wie wir was verbessern oder verhindern können. Auch das ganze Seminar spricht dann in der Aula darüber, wenn wir Konferenzen haben. Wir haben nächstes Semester auch ein "Themen-Wochenende", wo genau das thematisiert wird. Grundsätzlich reden wir vor allem drüber, wie wir mit dem Thema umgehen und was man tun kann, damit Missbrauch nie wieder vorkommt.

Und seid ihr schon zu Ergebnissen gekommen?

Im Priesterseminar gibt es schon ein paar konkrete Maßnahmen. Zum Beispiel muss ein junger Mann, der Seminarist werden will, vor seinem Eintritt ein erweitertes Führungszeugnis ablegen, ohne das kann er nicht eintreten. Es gibt Präventionsschulungen, die jeder Seminarist machen muss. Jeder hat auch vor seinem Eintritt eine Selbstverpflichtung unterschrieben, dass er dem Regens, also dem Leiter des Seminars, sofort Bescheid gibt, falls er angezeigt werden würde. Also es gibt ganz viel Selbstkontrolle, damit schwarze Schafe sofort entdeckt werden. Und externe Kontrolle nimmt auch eine immer größere Rolle ein.

Glaubst du, es würde die Situation besser machen, wenn auch Frauen in der Kirche arbeiten dürften?

Grundsätzlich ist es natürlich wichtig, zu überlegen, wie man Frauen am besten in die Kirche integriert. Sie sind genauso wichtig für die Kirche wie Männer. Aber einen Zusammenhang zu so kirchenpolitischen Themen wie Frauenpriestertum sehe ich nicht.

Priester sind ja zum Zölibat verpflichtet, das auch von vielen Seiten kritisiert wird. Siehst du einen Zusammenhang zu den vielen Missbrauchsfällen?

Also einen direkten Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch kann ich in keiner Weise sehen. Es ist notwendig für das Priestertum und das Zölibat, dass man eine gesunde und reife Sexualität hat. Das ist eine Grundvoraussetzung, die ein Priesterkandidat mitbringen muss - und das muss auch überprüft werden. Es gibt einmal im Semester Gespräche mit einer geistlichen Begleitung darüber, wie man sich selbst verortet und wie man über das Thema denkt. Denn nur wenn man eine erwachsene Persönlichkeit und reife Einstellung zu Sexualität hat, kann man das Zölibat gut leben. Und wenn das nicht der Fall ist, dann ist der Kandidat auch nicht für ein Priesterseminar geeignet.

Wie kann man eine gesunde Sexualität haben, wenn man sie nicht ausleben darf?

Es geht darum, dass ich mir selbst bewusst bin, dass ich ein normaler, gesunder, heterosexueller Mann bin, aber dass ich das nicht triebhaft ausleben muss, sondern reif damit umgehe ohne sie aktiv auszuleben.

Wenn Leute sagen, sie könnten niemals hinter einer Institution stehen, die trotz all der Missbrauchsfälle nur unglaublich langsam anfängt, dagegen aktiv zu werden – wie antwortest du dann?

Grundsätzlich habe ich da immer Verständnis. Mich persönlich schockiert das ja auch zutiefst! Jede Form der Ablehnung oder Kritik kann ich verstehen. Grundsätzlich gebe ich aber immer einen Ausblick auf die Hoffnung, dass sich jetzt wirklich etwas tut. In meinem persönlichen Umfeld merke ich, wie es jeden, der für die Kirche arbeitet, einfach schockiert was passiert. Und das gibt mir die Hoffnung, dass sich in Zukunft etwas ändern wird.

Sendung: Filter, 28.02.2019 - ab 15.00 Uhr