Polizeigewalt in Deutschland Ein Polizist redet Klartext

David* ist Polizist im Streifendienst. Er hat uns erzählt, warum Polizeigewalt ein schwieriges Thema unter den Kollegen ist, was er innerhalb der Polizei verändern würde, und warum Transparenz im Umgang mit dem Thema die Lösung sein könnte.

Von: Sebastian Meinberg, Conny Neumeyer

Stand: 20.02.2020 | Archiv

Grafik eines Polizisten | Bild: BR

Polizeigewalt ist auch in Deutschland immer wieder ein Thema. Erst vergangenes Jahr ergab eine Studie von Bochumer Kriminologen, dass es fünfmal mehr Übergriffe durch Polizist*innen gäbe, als bekannt sei. Die Untersuchung ist nicht repräsentativ. Trotzdem „lassen sich aus den Befunden durchaus Schlussfolgerungen für die Gesamtsituation ziehen“, heißt es im Zwischenbericht der Studie. Wie schlimm ist die Situation also in Deutschland? Gehen Polizist*innen wirklich oft zu brutal vor? Und wie steht man dem Problem eigentlich innerhalb der Polizei gegenüber? Sebastian Meinberg sucht in der PULS Reportage nach Antworten auf diese Fragen. Unter anderem spricht er deswegen mit David*, einem Polizisten im Streifendienst, der eigentlich anders heißt. Im Interview räumt David ein, dass bei der Polizei auch mal Dinge schieflaufen und Polizeigewalt ein Problem sei. Er erzählt aber auch, dass in weiten Bereichen der Polizei sauber gearbeitet wird und spricht darüber, was er verändern würde, um Polizeigewalt zu verhindern.

PULS: David, wir hatten bei der Recherche das Gefühl, dass man innerhalb der Polizei nicht gerne über das Thema Gewalt spricht. Siehst du das auch so?

David: Das Thema Polizeigewalt ist schwierig, weil die Definition oftmals nicht so ganz klar ist. Die Vorfälle, die ich auch so bezeichnen würde, das sind ganz unangenehme Geschichten für die Kollegen, die nicht direkt involviert waren, aber davon wissen. Das ist schwierig, weil im Normalfall ist es genau unser Job solche Dinge in anderen Bereichen zu verhindern und dann passiert’s bei uns. Und dann hat man natürlich dieses Problem, dass es ja Kollegen sind, nicht irgendjemand. Da kommt dieser Korpsgeist ins Spiel, wir verstehen uns in einer gewissen Weise als Schicksalsgemeinschaft. Man geht raus mit jemandem, man kennt die Leute um sich rum, man kennt die Leute in einem Revier, in einem Präsidium. Wenn man zwölf Stunden zusammen in einem Streifenwagen hockt, dann erfährt man viel über den Menschen, dann entstehen sehr enge Bindungen und dann wird es wahnsinnig schwierig, Fehler anzusprechen, weil man weiß, dass die Konsequenzen bei Disziplinarverfahren so immens groß sind. Es ist dann halt nicht irgendein Polizist, der Gewalt angewendet hat, sondern der Thomas.

Wenn du dich also einmischen würdest, bekommst du Ärger mit Kolleg*innen?

Es gibt natürlich krasse Vorfälle, nach denen man sich an Vorgesetzte wenden muss. Das wird dann auch von deinen Kollegen nicht hinterfragt, da wirst du nicht zum Verräter. Ich glaube, das Problem mit der Polizeigewalt ist, dass viele Leute Dinge sehen, die ihnen nicht gefallen, aber dagegen vorzugehen, ist mit hohen Hürden verbunden. Auch wenn man nicht der Gewalttäter war, kann das Konsequenzen haben. Dieses Interview kann ich nur anonym geben, weil offen darüber mit der Presse zu sprechen innerhalb unseres Ladens schwierig ist. Bei der Berichterstattung gibt’s auch zwei Seiten der Medaille. Nicht alles, was als Polizeigewalt bezeichnet wird, ist es auch und da hat glaub ich jeder seine Erfahrungen gemacht, dass Dinge in einem falschen Licht dargestellt werden. Durch dieses Misstrauen gegenüber der Berichterstattung haben viele große Probleme damit, öffentlich darüber zu sprechen, weil man ja diesen Generalverdacht nicht auch noch bestärken will: „Ja, bei der Polizei, da gibt’s schon auch ungerechtfertigte Gewalt.“ Wir wollen ja eigentlich das Image einer professionell arbeitenden, einer sauber arbeitenden Polizei aufrechterhalten. Und das gleich mal vorweg: Das stimmt ja auch in weiten Bereichen.

Warum hast du dich trotzdem dazu entschieden, das Interview zu geben?

Ich würde sagen, der Großteil des Apparats arbeitet sauber. Dass es aber Polizeigewalt gibt, ist gar keine Frage. Mir gefällt generell der Umgang mit dem Thema nicht. Das wird stiefmütterlich behandelt, weil‘s unangenehm ist, weil‘s Folgen für Kollegen haben könnte. Wir hinken da unglaublich hinterher und ich sehe das als Nachteil. In welchem Umfang es Polizeigewalt gibt, kann man nicht mal richtig beantworten, weil es keine entsprechende Auseinandersetzung intern gibt. Die ganz gravierenden Fälle werden aufgearbeitet, klar. Wenn wir dieses Thema aber anders offener angehen würden, auch mit einem anderen Bestrafungskonzept, dann halte ich Transparenz für eine Stärke.

Warum bist du Polizist geworden?

Für mich ist es die Abwechslung. Ich geh in den Dienst und weiß nicht, was kommt. Natürlich entwickelt sich eine gewisse Routine, aber die wird dann doch immer wieder aufgebrochen, dadurch, dass dann ein Fall wieder ganz anders läuft als man denkt, weil man halt mit Menschen arbeitet. Und ich wollte immer was Relevantes machen. Ich könnte mir einen Job als Werbetexter nicht vorstellen, weil mir dann die Konsequenz der Handlung fehlen würde. Ich weiß, es gibt Menschen, die sich nicht so sehr freuen, uns zu sehen, aber es gibt auch einen Haufen Leute, die froh sind, dass wir da waren. Ich mag auch den Impact, den man auf das Leben anderer hat. Das klingt jetzt seltsam, aber man greift manchmal doch sehr tief in einzelne Leben ein. Das ist natürlich nicht der Alltag, aber gerade in größeren Fällen können das sehr einschneidende Erlebnisse sein. Überbringe ich die Todesnachricht an jemanden, dann finde ich das bis heute eine faszinierende Tätigkeit. Das ist natürlich eine der schwersten Sachen. Aber zu wissen, ich hab‘s jetzt auf eine Art und Weise gemacht, die die Person weniger traumatisiert, als wenn das ein emotionsloser Kollege gemacht hätte, dann hat das einen Reiz. Und das finde ich beim Polizeiberuf spannend, dass ich draußen als Streifenpolizist auf der Straße sehr viel Gestaltungsspielraum hab. Diesem Gestaltungsspielraum kann man auch einen anderen Namen geben und das Ganze mit Macht betiteln. Es ist ein Job, bei dem man Macht hat. Das muss einem klar sein. Wer keinen Bock auf Macht hat und die Gefahren, die damit einhergehen, der sollte nicht Polizist werden. Damit muss man umgehen können, das kann nicht jeder, und das ist eigentlich das größte Problem bei uns, weil man das vorher niemandem ansehen kann. Das zeigt sich erst, wenn man die Macht hat und sie ausleben darf und muss. Das ist ja auch der Punkt, ich kann meinen Beruf nicht ausüben ohne Macht. Im Zweifelsfall muss ich jemandem sagen, was er zu tun oder zu lassen hat. In manchen Situationen sehr viel mehr, als es Menschen gewohnt sind. Ein Demonstrationsgeschehen ist so ein Thema. Bei einer Demo hab‘ ich aber die Ressourcen und die Zeit nicht und die Situation erlaubt mir nicht zu sagen: „Bitte bitte, wenn’s Ihnen Recht wäre, gehen Sie da nach rechts, wenn nicht, is‘, auch ok.“ Im Zweifelsfall heißt es dann halt nur „Sie gehen jetzt darüber“ und wenn die Person das dann nicht macht, dann muss sie halt geschoben werden.

Dass die Polizei in bestimmten Situationen Gewalt ausüben muss, ist klar. Ab wann beginnt für dich Polizeigewalt und ist somit nicht mehr gerechtfertigt?

Ich hab‘ ein bisschen das Gefühl, dass von Polizisten erwartet wird, dass sie wie Roboter agieren. Wir sind aber Menschen, keine Roboter. Und wenn ich Gewalt abrufe, dann bin ich nicht mehr kalt. Ich werde niemandem völlig emotionslos und gefühllos dem Arm verdrehen und richtig wehtun können. Da fährt der Körper hoch, da fährt meine Psyche hoch. Genau abzuschätzen, wie stark ein Schlag war oder wie viele Schläge ich brauche, bis mein Gegner ablässt, das ist sehr schwer. Ich persönlich ziehe meine Trennlinie aus der Situation heraus. Sprich, hab‘ ich eine Festnahme, die eskaliert, dann verwende ich lieber Schmerzpunkte. Das heißt, wenn mir da jemand zu nahekommt, dann werde ich ihn im Zweifelsfall nicht schubsen, sondern die lange Hand auf den Kehlkopf gerichtet kann schon sehr effektiv sein. Es ist sehr unangenehm, wenn man unterhalb des Kehlkopfs reindrückt, dann kommt man nicht näher. Es gibt keinen Kollegen, der nicht mal das Gefühl gehabt hat: Ich hätte vielleicht auch zwei Sekunden früher aufhören können. Aber man konnte es halt dann gerade nicht. Ihn deswegen anzuzeigen, ist auch wieder schwierig, weil wir befinden uns da immer auch ein bisschen in einer moralischen Zwickmühle. Im Normalfall hat unser Gegenüber halt auch etwas falsch gemacht. Man kommt irgendwo hin und muss aufpassen, dass man neutral bleibt. Wenn dann die Rollen plötzlich vertauscht werden und plötzlich ist mein Kollege, der ja eigentlich der Gute ist, der Schlechte in der Situation. Und mein Gegenüber, der charakterlich ein Mistkerl sein kann, wird falsch behandelt, dann ist der ja immer noch ein Mistkerl für mich. Aber jetzt ist er auf einmal Täter und Opfer. Und das ist schwierig, das auseinander zu dividieren.

Was muss sich innerhalb der Polizei verändern?

Ich würde mir tatsächlich eine Reformierung des Systems wünschen. Es würde viel mehr Fehlverhalten aufgearbeitet werden, wenn es andere Rahmenbedingungen gäbe. Wenn man sagen könnte: „Okay, das ist blöd gelaufen, das war falsch, aber hier haben wir eine Möglichkeit, den Kollegen zu bestrafen und das auch der Öffentlichkeit gegenüber zu zeigen.“ Dass man bloß, weil man Polizist ist, eben nicht alles darf. Ich würde mir wünschen, dass man situationsabhängig bestraft. Und der geschädigten Person auch mitteilen kann: 90% was wir mit dir an dem Abend gemacht haben, war richtig und 10% waren falsch. Und da seh‘ ich die größte Baustelle bei der Polizei. Ich nehme jetzt einfach mal den Einsatz beim G20 Gipfel. Wenn sich ein Olaf Scholz vor die Kamera stellt und sagt: „Die Polizei hat nichts falsch gemacht“, dann krieg ich das hysterische Kichern. Natürlich hat die Polizei da was falsch gemacht. Das wär‘ auch komisch, wenn ich da tausende Beamte einsetze und da nicht irgendwer was falsch gemacht hat. Das wäre A) himmelschreiend unrealistisch und B) dann wären wir tatsächlich Roboter. Das kann nicht sein bei einem mehrtägigen Einsatz der hochemotional ist und so eine hohe Intensität an Arbeitsbelastung hat. Dann zu sagen, es hat keiner von meinen Kollegen etwas falsch gemacht, das macht einen einfach nur unglaubwürdig.

Ist das generell ein Problem, dass es keine Fehlerkultur innerhalb der Polizei gibt?

Ja. Im Prinzip ist genau das der Knackpunkt. Im Studium gibt es Professoren, die das ansprechen. Das Thema ist erkannt worden, aber es ist viel zu wenig gemacht worden bisher. Wir müssen einen Rahmen schaffen, in dem ich sagen kann: „Das war nicht gut, das sollte so nicht passieren und das wird in Zukunft so nicht mehr passieren, weil wir uns jetzt zusammensetzen und überlegen, wie wir das verhindern.“

Nicht gerechtfertigte Polizeigewalt, lässt sich nie zu 100% verhindern. Ihr seid Menschen und ihr macht auch mal Fehler. Aber es scheint ja vor allem der Umgang mit diesen Fehlern ein Problem zu sein. Wie könnte man da ansetzen?

Das eine Thema ist wie gesagt die Fehlerkultur, das andere sind die Strafen für die Polizisten. Die können eine Karriere vielleicht auch beenden. Und ich wünsche mir auch, dass man genauer hinguckt bei der Rekrutierung, bei wem man sich in der Hinsicht Sorgen machen muss. Und dass man da halt genau hinguckt und im Zweifelsfall auch früh einschreitet, wenn man Entwicklungen merkt. Derjenige muss ja dann deswegen nicht schon komplett rausfliegen. Aber man kann mal sagen: „Hey, wir sind nicht hier um Kampfsport zu spielen.“ Sondern die Gewalt soll in einem kontrollierten Rahmen angewandt werden. Und es müsste möglich sein, dass ich zu meinem Vorgesetzten gehe und den Vorfall melde. Das klingt jetzt irgendwie verdreht, aber es müsste eigentlich belohnt werden, wenn ich sage: „Oh, ich hab‘ hier einen richtigen Bock geschossen.“ Weil das dann in der Konsequenz dazu führen würde, dass andere das auch machen. Aber auch ganz wichtig ist, dass in den letzten 20 Jahren schon viel passiert ist. Also die Polizei ist heute schon eine ganz andere als damals. Auch durch das Interesse der Öffentlichkeit, weil das Thema viel mehr in den Medien auftritt. Heute ist immer eine Handykamera dabei. Videoaufnahmen von Festnahmen sehen fast immer scheiße aus... Ich weiß genau, was für Kommentare da drunter stehen würden. Fakt ist: Wenn ich Gewalt anwenden muss, ist das hässlich. Es ist nicht wie im Jackie-Chan-Film. Wir machen da keine Showkämpfe, sondern es geht um echte Gewalt. Es ist eben eine Festnahme. Wenn ich einen erwachsenen Mann zu etwas zwingen muss, dass er nicht möchte, ist das hässlich.

*Name von der Redaktion geändert

PULS am 20.02.2020 ab 15 Uhr